Hamburg. Der Coach des HSV verlor beim VfB Stuttgart 2019 einen Tag vor Heiligabend seinen Job. Es gibt Parallelen und Unterschiede.

Tim Walter ist ein Fan von Weihnachten. An Heiligabend nimmt der Familienvater alles selbst in die Hand. Der 48-Jährige, der in einem Haus in der Nähe von München wohnt, hat seine festen Rituale. Er besorgt zunächst bei einem Bauern das Fleisch für das traditionelle Fondue und bereitet es anschießend selbst zu. Auch um die Geschenke für seine drei Kinder Maxima, Lara und Lennart kümmert er sich höchstpersönlich. Mittendrin: Labrador Kobe und der kleine Hamster Fritz Walter. Der große Walter geht zu Weihnachten voran – so wie er es auch als Trainer mit seiner Mannschaft macht. Die Führungsqualitäten des HSV-Trainers sind es, die Sportvorstand Jonas Boldt so sehr an ihm schätzt. Und die der Hauptgrund sind, warum Walter trotz zweier verpasster Aufstiege noch immer Trainer in Hamburg ist.

HSV News: Walters Zukunft ist noch offen

Sportlich war die Weihnachtszeit für den Fußballlehrer aber nicht immer die einfachste. Insbesondere seine Freistellung beim VfB Stuttgart vor vier Jahren hatte den Heiligabend im Hause Walter ziemlich getrübt. Am Abend zuvor hatte der Club die Beurlaubung des Trainers offiziell verkündet. Walter hatte zwar zur Winterpause 31 Punkte geholt, doch die damaligen VfB-Verantwortlichen um Sportdirektor Sven Mislintat und Sportvorstand Thomas Hitzlsperger hatten den Glauben verloren, dass es mit Walter reicht für die Rückkehr in die Bundesliga.

Wiederholt sich die Geschichte vier Jahre später beim HSV? Parallelen gibt es in jedem Fall einige. Walter hat in der Hinrunde ebenfalls 31 Punkte geholt und liegt wie damals mit Stuttgart auf Platz drei. Beim VfB hatte er sogar noch ein Spiel mehr vor Weihnachten absolviert. In Stuttgart kam Walter auf einen Punkteschnitt von 1,7, beim HSV auf 1,8. Und das nun schon im dritten Jahr in Folge. Die größte Parallele ist aber noch eine andere: Ähnlich wie die VfB-Verantwortlichen im Dezember 2019 hat nun auch Boldt im Dezember 2023 erstmals Zweifel geäußert, ob der Aufstieg mit Walter noch gelingen werde.

Jonas Boldt äußerte erstmals Zweifel

„Klar gefällt es mir nicht, dass wir jetzt Dritter sind mit nur 31 Punkten, vor allem nach so einem Start“, sagte Boldt trotz des 2:0-Siegs zum Hinrundenabschluss in Nürnberg. Boldt deutete an, dass er mit der Entwicklung der Spielweise nicht zufrieden ist. „Heute haben wir vielleicht auch gezeigt, dass es zum Fußball auch gehört, nicht immer alles superschön zu erledigen, sondern auch zu verteidigen und ein Spiel über die Zeit zu bringen. Natürlich sind das Punkte, die mit reinfließen. Man muss gucken, ob wir auf dem richtigen Weg sind oder vom Weg abgekommen sind und was wir brauchen, um unser Ziel endlich mal zu erreichen.“

Es waren ungewohnt deutliche Worte von Boldt, die darauf hindeuteten, dass es noch in dieser Woche nach der Analyse zu einer Freistellung von Walter kommen könnte. Und das wenige Tage vor Heiligabend? Noch ist die Entscheidung offen. Laut „Bild“ geht die Tendenz zu einem Verbleib Walters. Möglicherweise erinnert sich Boldt bei seiner Entscheidung auch an die Geschichte des VfB, der vor vier Jahren unter Walters Nachfolger Pellegrino Matarazzo zwar den Aufstieg schaffte. Allerdings hatte Matarazzo im Schnitt weniger Punkte geholt als Walter. Stuttgart profitierte am Ende vor allem von einem unerklärlichen Einbruch des HSV unter Trainer Dieter Hecking. Der VfB stieg mit nur 58 Punkten direkt auf. Zum Vergleich: Dem HSV reichten in der vergangenen Saison 66 Punkte nur zu Platz drei.

Der HSV fiel zuletzt in alte Muster

Walter wird zugutegehalten, dass er trotz des dramatischen Saisonfinals mit dem zu früh geglaubten Aufstieg in Sandhausen und der zweiten verlorenen Relegation – diesmal ausgerechnet gegen Stuttgart – den HSV trotz einer schwierigen Vorbereitung wieder zu einem starken Saisonstart geführt hat. Doch in den vergangenen Wochen machte seine Mannschaft wieder die Fehler, die man in dieser Saison eigentlich abstellen wollte. Einfache Gegentore, individuelle Patzer, fehlende Konterabsicherung.

Es sind genau die Gründe, die zu Walters Freistellung in Stuttgart geführt haben. Dort sorgte der Trainer zudem auch für erhebliche Kritik an seiner Innen- und Außendarstellung. Die Vorwürfe: beratungsresistent gegenüber der Führung, zu schroff im Umgang mit den Spielern und den Medien. Walter identifizierte sich zwar total mit seiner Aufgabe, übertrieb es aber wie schon in Kiel mit seiner Art.

Walter zeigt sich in dieser Saison von einer anderen Seite

In Hamburg ist das in dieser Saison anders. Im Umgang mit seinen Spielern ist Walter nicht mehr ganz so extrem wie etwa noch in Kiel oder auch Stuttgart. Und auch in seiner Außendarstellung hat sich Walter nach interner Kritik vor der Saison spürbar verändert. Kleines Beispiel: Walter spricht mittlerweile nicht mehr davon, dass der HSV aufsteigen werde, sondern dass man aufsteigen wolle. Insbesondere Co-Trainer Julian Hübner und Sportdirektor Claus Costa üben auf dieser Ebene Einfluss auf Walter aus.

Auch taktisch hat der Trainer in der Hinrunde versucht, Anpassungen vorzunehmen. Diese wurden immer wieder durch personelle Probleme erschwert. Die Frage aber bleibt: Hat Boldt noch das Vertrauen, dass es in der Rückrunde mit der Rückkehr von Ludovit Reis und einem fitten Sebastian Schonlau besser wird?

Entscheidung soll noch vor Weihnachten fallen

Dass sich der HSV-Manager mit solchen wegweisenden Entscheidungen durchaus etwas Zeit lässt, zeigte das Beispiel Hecking. Trotz des 1:5-Debakels am letzten Spieltag gegen Sandhausen wartete Boldt im Sommer 2020 noch eine gemeinsame Analyse mit dem Trainer fünf Tage später ab, ehe sich der HSV-Vorstand für eine Trennung entschied.

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Noch in dieser Woche wollen die Hamburger verkünden, ob es mit oder ohne Walter in die Rückrundenvorbereitung geht. Walter würde die Vorbereitung des Weihnachtsfests sicher einfacher fallen, wenn die Entscheidung diesmal nicht erst einen Tag vorher fällt. Schon in Nürnberg wirkte Walter trotz des Sieges nicht allzu glücklich. Ob er zu diesem Zeitpunkt ein schlechtes Gefühl hatte?

Um zuversichtlich auf die kommenden Tage bis Heiligabend zu blicken, könnte sich Walter in jedem Fall an sein erstes Weihnachten als Profitrainer erinnern. Am 23. Dezember 2018 gewann er mit Holstein Kiel zum Jahresabschluss mit 3:1. Gegen den HSV. Für den Weihnachtsfan Walter der perfekte Beginn eines frohen Festes.