Hamburg. Hermann-Rieger-Neffe und Freund des HSV-Coaches gibt Einblicke in Tim Walters Gedanken. Mannschaft sucht das Gespräch.
Den 28. Mai 2023 wird Christian Winkler nie wieder vergessen. Es war der 34. Spieltag der vergangenen Saison – und sowohl für den HSV als auch für den langjährigen Fan schien sich an diesem Auswärtsspieltag beim SV Sandhausen das Pech der gesamten Welt zu vereinen, als die HSV-Fans den Rasen stürmten, der Stadionsprecher den freudentaumelden Rothosen bereits zum Aufstieg gratulierte, Winkler am Telefon aber vom Last-Minute-Sieg des 1. FC Heidenheim bei Jahn Regensburg erfuhr.
„Das war ein brutaler Tiefschlag“, erinnert sich der 52-Jährige, während er am Mittwoch per „Zoom“ im Abendblatt-Podcast „HSV, wir müssen reden“ zugeschaltet ist. „Das Schlimmste für mich war, die älteren HSV-Fans weinen zu sehen.“ Erst vor Freude, dann vor Enttäuschung.
HSV News: Langjähriger Walter-Freund gibt Einblicke
Für Winkler, der zwar leidenschaftlicher Fußballfan ist, hauptberuflich aber seit mehr als 19 Jahren als Manager des amtierenden deutschen Eishockeymeisters EHC Red Bull München arbeitet, ging der Horrortag nach dem Abpfiff noch weiter. Auf der Rückfahrt ins heimische Garmisch-Partenkirchen hatte er eine Reifenpanne, zum Eishockey-WM-Finale zwischen Deutschland und Kanada, das am Abend – natürlich – auch noch verloren ging, schaffte er es fast nicht mehr rechtzeitig vor den Fernseher.
„Das sind Momente, von denen man sich nicht auf Knopfdruck befreit“, sagt Winkler über den Nichtaufstieg. Im Sommer, das gab Tim Walter später zu, überlegte der HSV-Trainer, ob er wirklich die Kraft für einen erneuten Aufstiegsanlauf hat. Wie sich Walter in dieser Zeit fühlte, weiß Winkler noch genau, der Eishockeymanager und der HSV-Trainer sind gut miteinander befreundet. Sogar so gut, dass die Freundschaft auch nicht davon erschüttert wird, dass sich Winklers Labradordame Lotta bei einem seltenen Missgeschick einmal auf dem Lieblingsteppich von Walters Frau Katrin erleichterte. „Wir sind dann im Sommer mit unseren Hunden spazieren gegangen“, erzählt Winkler. „Tim hat dabei aus der schwierigen Zeit erzählt und alles noch mal reflektiert.“
Tim Walter und Christian Winkler stehen wöchentlich in Kontakt
Kennengelernt haben sich beide über Tobias Schweinsteiger, mit dem Walter von 2015 bis 2017 die U17 des FC Bayern München trainierte und zudem leidenschaftlicher Eishockeyfan ist. Mittlerweile telefonieren Winkler und Walter mindestens einmal pro Woche, häufig treffen sie sich auch in Hamburg oder München. „Wenn man Tim als Freund hat, dann hat man ihn. Er meldet sich nicht nur, wenn Dinge gut laufen. Als es mir gesundheitlich mal nicht gut ging, war er der erste, der sich gemeldet hat“, sagt Winkler. Natürlich komme Walter öffentlich manchmal „schroff“ rüber, privat sei er aber „einer der herzlichsten Menschen überhaupt“.
Winkler weiß aus knapp 20 Jahren als Profisportmanager, wie sehr die allgemeine Stimmung und Jobsicherheit von Ergebnissen abhängt. Und die waren in den vergangenen Wochen beim HSV nicht gut. Nach der 1:2-Niederlage gegen den SC Paderborn wächst der Druck auf Walter immer mehr, eine Trennung im Winter ist nicht mehr ausgeschlossen. „Ich bin nach wie vor zu 100 Prozent davon überzeugt, dass wir in dieser Saison aufsteigen. Trotzdem ist es verständlich, dass momentan nicht alle glücklich sind, weil man als HSV einen anderen Anspruch hat“, sagt Winkler, der auch die großen Zeiten des HSV hautnah miterlebt hat.
Winkler war verwandt mit Kultmasseur Rieger
Denn der Bayer war der Neffe des 2014 verstorbenen HSV-Kultmasseurs Hermann Rieger. Trotz seiner bayerischen Herkunft verliebte er sich dank Rieger schon als Kind in den HSV. „Als Hermann nach Hamburg gewechselt ist, war es um mich geschehen. In den Ferien durfte ich ihn besuchen kommen, ich saß damals in Ochsenzoll in einem kleinen Kämmerchen neben ihm, wenn er die Spieler massiert hat“, erinnert sich Winkler.
Von Kevin Keegan bekam er ein Trikot geschenkt, Franz Beckenbauer erlebte er hautnah auf Riegers Behandlungsliege. „Franz Beckenbauer hatte damals große Achillessehnenprobleme, weil er vorher in New York auf Kunstrasen spielen musste“, erzählt Winkler. „Hermann hat dem Franz daraufhin Weißwürste und Weißbier besorgt, sodass er während der Behandlung auch die bayerische Küche genießen konnte.“ Heute undenkbar.
Rieger ist bis heute extrem beliebt
Rieger, der unter den HSV-Fans immer noch extrem beliebt ist, galt als ruhiger Kümmerer, der sich dem Vereinswohl stets unterordnete. „Hermann würde heute sagen: ‚Leute, bleibt mal ruhig. So schlecht schaut es doch nicht aus‘“, sagt Winkler. „Und Tim Walter würde er sagen: ‚Trainer, mach weiter so.‘“
Ob das auch HSV-Vorstand Jonas Boldt nach der sportlichen Zwischenbilanz im Winter sagt, ist fraglich. Am Dienstagabend schipperten Boldt, sein Vorstandskollege Eric Huwer, der gesamte Trainerstab und viele Profis bei der HSV-Weihnachtsfeier auf einem Eventschiff durch den Hafen, die Stimmung soll nach Abendblatt-Informationen locker gewesen sein. „Man hört aus der Mannschaft, dass sich die Spieler alle positiv zu Tim Walter äußern. Er hat viele Spieler besser gemacht. Ich glaube nach wie vor, dass das Konstrukt zusammenpasst“, sagt Winkler.
Führungsspieler suchten das Gespräch mit Walter
Tatsächlich sollen die Spieler weiterhin hinter dem Trainer stehen. „Er hat mittlerweile in zweieinhalb Jahren bewiesen, dass er ganz gut im Wind stehen kann. Wir sind froh, dass er da vorne steht. Die Mannschaft weiß, dass da eine ganz schön große Welle kommen muss, damit es ihn umhaut und die Welle habe ich bis jetzt noch nicht gesehen“, sagte Kapitän Sebastian Schonlau bei Sky.
Wie das Abendblatt erfuhr, gingen in den vergangenen Wochen dennoch immer wieder Führungsspieler mit dem Wunsch nach taktischer Veränderung auf Walter zu. Insbesondere die riskante Spielweise und die vielen einfachen Gegentore sind immer wieder das zentrale Thema. „Tim ist ganz klar im Kopf. Ich habe das Gefühl, dass er alles im Griff hat“, sagt Winkler. „Ich weiß, wie Tim denkt. Sein Werk in Hamburg ist noch nicht zu Ende. Er ist mit aller Energie und aller Kraft da, um das Werk zu Ende zu bringen.“
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Aus seiner eigenen Managerlaufbahn weiß der 52-Jährige, dass man Entscheidungen bestenfalls nicht emotional, sondern mit einer nüchternen Herangehensweise treffen muss. Sportvorstand Boldt, den Winkler ebenfalls privat kennt, traut er diese Entscheidungsfindung zu. „Jonas ist ein absoluter Stratege, der nicht emotional handelt. So etwas hilft in unserem Job“, sagt Winkler. „Jonas Boldt hält nicht zu Tim Walter, weil er ihn privat schätzt, sondern weil er von ihm überzeugt ist.“
Am Sonnabend (13 Uhr/Sky) ist Winkler im Max-Morlock-Stadion dabei, wenn der HSV beim 1. FC Nürnberg auch um Walters Zukunft spielt. So sehr er die gemeinsame Zeit mit dem HSV-Trainer auch schätzt, so sehr hofft Winkler, dass Walter bald nicht noch viel mehr Zeit für gemeinsame Spaziergänge hat.