Hamburg. Der Hamburger spielte einst bei neun verschiedenen Clubs, trainierte mehrere Teams parallel. Auch das Biologie-Studium hilft ihm heute.
Der Kellerraum des ehemaligen HSV-Internats in Norderstedt ist gemütlich eingerichtet. Ein großes Sofa, Teppichboden, ein XXL-Fernseher – nur die Massageliege und die Taktiktafel an der Wand verraten, dass es sich nicht um ein privates Wohnzimmer handelt. Der Raum sei das Herz des HSV-Frauenteams, erläutert Trainer Marwin Bolz, als er das Abendblatt zum Gesprächstermin empfängt. Hier finden Videoanalysen und Behandlungen statt, kommen die Spielerinnen vor und nach jedem Training und Zweitligaspiel zusammen.
Bolz, zurückgekämmte Haare, Trainingsanzug, fester Händedruck, ist mit 25 Jahren der mit Abstand jüngste Trainer, den die ersten drei Ligen im Frauen- und Männerbereich in Deutschland zu bieten haben. „Ich selbst entwickle mich und auch meinen persönlichen Trainerstil natürlich immer noch weiter“, sagt der gebürtige Duvenstedter, der mit den HSV-Frauen derzeit auf Aufstiegsplatz zwei rangiert und im DFB-Pokalachtelfinale an diesem Sonnabend (14 Uhr, Sportpark Eimsbüttel) Bundesligist Bayer 04 Leverkusen empfängt.
HSV News: Bolz trainiert die HSV-Frauen seit Sommer als Chefcoach
Nachdem Bolz in der vergangenen Saison an der Seite des bisherigen Cheftrainers Lewe Timm in die Zweite Liga aufgestiegen und nach Timms überraschender Entlassung zum Cheftrainer befördert worden war, gab es für ihn zu Saisonbeginn ein paar ungemütliche Tage. Wie das Abendblatt exklusiv berichtete, ist Bolz privat mit Catharina Schimpf, Koordinatorin Frauen- und Mädchenfußball beim HSV, liiert.
Obwohl Frauen-Managerin Schimpf die Entscheidung damals öffentlich verkündete, teilte der HSV mit, dass Horst Hrubesch die Entscheidung des Trainerwechsels getroffen habe. Nachfragen zu diesem Thema, beispielsweise wie er selbst den Trainerwechsel erlebte und ob es einen Gewissenskonflikt gibt, lassen Bolz und der HSV bei diesem Termin bewusst unbeantwortet. Für sie ist das Thema erledigt, der Fokus soll jetzt auf Bolz liegen.
Marwin Bolz lernte viele Vereine als Spieler und Trainer kennen
Dass der 25-Jährige ein vielversprechendes Trainerrüstzeug besitzt, wird im Gespräch schnell deutlich. Bolz ist ein selbstbewusster und offener Netzwerker, kennt von fast jeder Station seiner Spieler- und Trainerlaubbahn Menschen, die früher oder später für seine Karriere wichtig werden könnten. Als Kind spielte er zunächst beim Lemsahler SV, Duvenstedter SV, TuRa Harksheide und Eintracht Norderstedt, ehe es ihn in die U 15 des FC St. Pauli zog. Sein damaliger Co-Trainer Bilal Aframe ist auch sein heutiger Co-Trainer. Nur, dass sich die Verhältnisse im Vergleich zu früher mittlerweile gedreht haben.
Bei den Kiezkickern wurde Innenverteidiger Bolz nach der U 16 aussortiert, wechselte zur U 17 von Eintracht Braunschweig und ein Jahr später zurück nach Hamburg zum Niendorfer TSV. Den Schritt in den Herrenbereich wagte er beim TSV Sasel in der Oberliga Hamburg, 2019 ging er zum Eimsbütteler TV, damals Landesligist. „Spieler beziehungsweise Spielerin zu sein, ist das Elementarste, was es im Fußball gibt. Man kann unmittelbar auf das Spiel einwirken, ist dort direkt für das Geschehen verantwortlich. Trotzdem fühle ich mich als Trainer jetzt total wohl, habe Spaß daran, ein Team zu formen. Ich mag es, eine Gruppe an Prinzipien zu gewöhnen und dazu zu bringen, in dieselbe Richtung zu denken“, sagt Bolz heute.
Als Trainer arbeitete er das erste Mal im Alter von 19 Jahren beim TSV Sasel, als der Club einen Coach für die U 12 suchte. Es folgten Engagements beim Hamburger Fußballverband, wo er für unterschiedliche Auswahlteams im Mädchen- und Jungen-Bereich zuständig war. Mit dem Wechsel zum ETV übernahm Bolz zudem die U11 des Clubs, parallel machte er seine Trainerlizenzen. „Ich habe lange Zeit parallel zwei Mannschaften trainiert, selbst gespielt und auch noch studiert. Irgendwann habe ich gemerkt, dass es gut wäre, diese Themen etwas zu bündeln. Da kam das damalige Angebot, Co-Trainer der HSV-Frauen zu werden, genau zum richtigen Zeitpunkt“, sagt Bolz, der 2021 mit Timm bei den Rothosen anheuerte. „Lewe war wie ein Mentor für mich.“
Trainerlehrgang mit vielen Ex-Profis
Bolz besitzt die B-Plus-Lizenz, die Bewerbungsphase für den A-Lizenz-Lehrgang läuft gerade. Die benötigt er, wenn er die HSV-Frauen irgendwann auch in der Ersten Liga coachen will. Im vergangenen B-Plus-Lehrgang traf er unter anderem auf die Ex-Profis Lars und Sven Bender, Alex Meier sowie Philipp Bargfrede. „Das Netzwerk ist als Trainer elementar“, sagt Bolz, der in der Norderstedt nur wenige Minuten von der Trainingsanlage entfernt wohnt.
Seit er im Sommer den Cheftrainerposten übernommen hat, hat er beim HSV eine Vollzeitstelle, zuvor war er als Minijobber und in Teilzeit angestellt. Zeit für ein Studium bleibt da nicht mehr, häufig ist er von morgens bis abends auf der Anlage. Weil viele Spielerinnen tagsüber noch zur Schule gehen, studieren oder arbeiten, finden die Trainingseinheiten ausschließlich abends statt. Tagsüber arbeitet Bolz in seinem Trainerbüro oder bietet Individualtrainings an.
„Ich bin ein sehr analytischer Typ“
„Ich bin ein sehr analytischer Typ, arbeite gerne in Systemen und Details. Trotzdem weiß ich, dass auch eine gewisse Emotionalität dazugehört und manchmal sogar wichtiger als die Taktik sein kann“, sagt er. Um zu verstehen, wie detailliert und analytisch Bolz denkt, muss man sich nur seine Laufbahn an der Universität Hamburg ansehen, wo er bis zum vergangenen Herbst Biologie studierte. Für seine Bachelorarbeit im Bereich der Infektions-Biochemie bekam er die Note 1,0.
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„Ich habe zu Pflanzenviren und einem besonderen Protein dieser Pflanzenviren geforscht“, sagt Bolz. „Das war eine coole, detailversessene Arbeit, die mir auch für den jetzigen Job geholfen hat. Ich habe gelernt, wie man strukturiert arbeitet, aber auch, was Scheitern bedeutet. Da gab es Experimente, die man hunderte Male versucht hat, die aber nur dreimal funktioniert haben.“ Wäre er nicht zum HSV gekommen, wäre er heute vermutlich wohl immer noch an der Universität, sagt er.
Spielerlaufbahn seit mehr als zwei Jahren beendet
Seine eigenen Spielerlaufbahn hat Bolz 2021 beendet. „Als Trainer muss ich mir andere Ventile suchen, um ausgeglichen zu sein. In meinem Fall sind das Joggen und Lesen“, sagt er. Aktuell liest er „Der Mann, der die Welt ordnete“, ein Roman über den schwedischen Botaniker Carl von Linné. Das sei typisch für ihn, sagt Bolz und lacht.
Mittlerweile ist Spielerin Amelie Woelki eingetroffen, in einer Viertelstunde beginnt das vereinbarte Individualtraining. „Momentan ist das hier beim HSV mein absoluter Traumjob. Wenn ich ganz weit in die Zukunft blicke, fände ich es aber auch spannend, irgendwann mal eine spanische oder südamerikanische Mannschaft zu coachen“, sagt Bolz, ehe er sich verabschiedet. „Man darf aber nichts zu sehr wollen, sondern sollte sich auf die aktuelle Aufgabe konzentrieren. Dann wird sich alles andere ergeben.“
Das gilt auch für das Pokalspiel an diesem Sonnabend, gegen Leverkusen sind die HSV-Frauen klarer Underdog. „Leverkusen ist ein Topgegner aus der Bundesliga, der uns maximal fordern wird. Für uns ist das eine Challenge, die wir gerne, aber auch nicht zu verbissen angehen werden“, sagt Bolz.