Hamburg. Der HSV-Trainer äußert sich öffentlich bei kritischen Fragen häufig nach demselben Muster. Welches Ziel er dabei verfolgt.
Am Montag war es weitestgehend ruhig im Volkspark. Abgesehen von den Handwerkern, die den Bau des neuen Athleticums und die Modernisierung des Stadions vorantrieben, hatte HSV-Trainer Tim Walter seiner Mannschaft nach der 2:4-Pleite bei Holstein Kiel am Sonnabend zwei freie Tage gewährt. Erst an diesem Dienstag trifft sich das Team um 15 Uhr wieder zum Training.
Walter nutzt die freien Tage gerne, um zu seiner Familie nach München zu fliegen. Bevor sich der Trainer am Sonnabendnachmittag aber dem Privatleben widmen konnte, wurde er bei der Pressekonferenz im Holstein-Stadion wieder einmal mit der offensichtlichen Auswärtsschwäche konfrontiert. Ein Sieg aus sieben Spielen in der Ferne sind zu wenig für den eigenen Anspruch, das Problem ist offensichtlich und statistisch belegbar – auch Walter weiß das.
HSV News: Walter weicht negativen Fakten aus
Bei der öffentlichen Kommunikation aber verwehrt sich der Trainer bereits seit geraumer Zeit den Fakten. „Das hat mit auswärts und heim nichts zu tun“, sagte der 48-Jährige etwa nach dem Spiel in Kiel. Man mache auswärts nun mal mehr Fehler, ergänzte er, gefolgt von dem ironischen Satz: „Wir sind ja auch zu Gast, also kann man auch ein paar Geschenke verteilen.“
Es war nicht das erste Mal, dass Walter auf kritische Fragen zu den mangelhaften Auswärtsleistungen auf diese Art und Weise reagierte. Schon als er vor dem Nordduell in Kiel gefragt wurde, was ihm für die Partie in der Ferne Hoffnung mache, antwortete er: „Es geht nicht darum, auswärts oder zu Hause zu spielen, sondern darum, immer weiter nach vorne zu schauen.“ Er sei optimistisch, dass der HSV dies sehr gut hinbekomme.
Walter lenkt in seinen Antworten gerne ab
Anstatt konkret auf die Frage zu antworten, nutzte Walter den Umstand, dass der aus privaten Gründen fehlende Pressesprecher Philipp Langer derzeit von Rasmus Godau vertreten wird. „Wir haben einen neuen Pressesprecher, das bewirkt noch zusätzlich etwas“, sagte er und grinste. „Ich habe Philipp sehr gerne und vermisse ihn auch.“ Das mag so sein – beantwortete die Frage aber nicht.
Auch auf das erneute Nachhaken, was genau ihn denn optimistisch mache, wich Walter aus. „Weil wir das in uns haben“, sagte er, ohne konkret zu werden. Stattdessen wiederholte er: „Für uns gibt es die Devise, dass es nur vorwärts geht. Darum sind wir auch sehr optimistisch.“
Wissenschaftlerin erklärt Walters Strategie
Für Dr. Jessica Kunert gibt es bei Walters Äußerungen ein klares Muster. „Als Sportkommunikationsforscherin kann ich sagen, dass Tim Walter in Pressekonferenzen und Interviews das anwendet, was er in Medientrainings gelernt hat. Eine zentrale Strategie ist dabei, immer die Kernbotschaft unterzubringen. Walter will zum Beispiel deutlich machen, dass es keinen Unterschied zwischen Heim- und Auswärtsspielen gibt“, sagt die Juniorprofessorin für Journalistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. „In Medientrainings wird geschult, dass die Kernbotschaft in jeder einzelnen Antwort mitschwingen soll.“ Das gelingt Walter.
Abgesehen von Phrasen arbeitet er dabei seit mehreren Wochen häufig auch mit Ironie, vermeidet es, über eigene Probleme zu sprechen. Den Spruch mit den Gastgeschenken brachte Walter vor dem Kiel-Spiel bereits zweimal in dieser Saison. „Wenn man dem Gegner Tore schenkt, wird es für jede Mannschaft schwer“, sagte Walter nach der 1:2-Niederlage in Elversberg. Wenige Tage später wiederholte er sich vor der Partie in Osnabrück. „Genau wie uns in der Zweiten Liga nichts geschenkt wird, dürfen wir auch keine Geschenke verteilen“, sagte er. Auch dieses Spiel verlor der HSV mit 1:2.
Walter interpretiert Statistiken für seine Argumentation um
Wieso tut sich der Trainer so schwer damit, die Auswärtsschwäche auch öffentlich anzusprechen? „Eine Strategie ist, kritische Fragen eher abzuwiegeln und ins Positive zu drehen, indem man seine Antwort mit Beispielen untermauert“, sagt Kommunikationsforscherin Kunert.
Zuletzt versuchte Walter infolge dieser Strategie, eine Statistik für seine Sichtweise umzuinterpretieren. „Es ist so, dass wir auswärts gar nicht so schlecht sind“, behauptete er vor dem Kiel-Spiel. „Wir sind im Pokal zweimal auswärts weitergekommen.“ Falsch war diese Aussage nicht. Bei genauer Betrachtung waren es jedoch zwei glückliche Siege bei den Drittligisten Rot-Weiss Essen und Arminia Bielefeld, die auch nicht nach 90 Minuten, sondern mit einer gewissen Portion Glück erst in der Verlängerung sowie im Elfmeterschießen zustande kamen. Bei der Kommunikation seiner Botschaft scheint dies für Walter aber zweitrangig zu sein, schließlich hat der HSV diese beiden Auswärtsspiele letztendlich gewonnen.
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Kunert sieht Walter als leidenschaftlichen und emotionalen Trainer, der sich auch schützend vor seine Mannschaft stellt. Bei der Anwendung seiner Medienstrategie gebe es jedoch noch Verbesserungspotenziel. „Ich glaube, dass sich Walter noch mehr kloppisieren könnte. Er könnte noch mehr mit seiner ganzen Authentizität kommunizieren. Auch Jürgen Klopp sagt öffentlich selten spektakuläre Dinge, ist dabei aber total authentisch“, sagt Kunert.
Insbesondere im Gespräch mit Journalisten stelle dies eine Herausforderung dar. „Ein Interview hat nur selten Gesprächscharakter, weil es eine künstliche Situation ist. Vor allem bei Pressekonferenzen sitzt man als Trainer vorne auf einem Podest. Das allein fühlt sich schon nicht natürlich an“, sagt Kunert.
In dieser Woche bleibt Walter die vor und nach jedem Spiel verpflichtende Pressekonferenz erspart – der Länderspielpause sei Dank.