Hamburg. Wenn das Spotlight ausgeht: René Adler widmet diesem Thema einen Videopodcast. Was er über Walter, Nagelsmann und Kühne denkt.

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An die erste Woche nach seinem Karriereende kann sich René Adler vier Jahre später noch gut erinnern. Der ehemalige Torwart des HSV und der deutschen Nationalmannschaft konnte aufgrund eines Knorpelschadens im Knie in seiner letzten Saison bei Mainz 05 nur zuschauen. Auf Anraten seiner Ärzte traf Adler im Alter von 34 Jahren die Entscheidung: Das war’s. Schluss mit Profifußball. „Der erste Tag war total geil. Der Druck war weg. Ich war selbstbestimmt. Das fühlte sich eine Zeit lang richtig gut an.“

Adler sitzt am Donnerstagmittag unter einem Scheinwerfer in der Abendblatt-Redaktion, um in der 179. Folge des Podcasts „HSV – wir müssen reden“ über seine Zeit im Rampenlicht zu sprechen – und die schwierig Zeit danach. „Es kam die Zeit, in der es sich wieder gedreht hat. Ich falle immer noch jedes Jahr und jede Woche in kleine Löcher. Immer wieder zweifle ich an mir. Deswegen probiere ich vieles aus.“

René Adler (l.) und Milan Marcus haben den Videopodcast Spotlight gestartet.
René Adler (l.) und Milan Marcus haben den Videopodcast Spotlight gestartet.

Wie schafft man den Übergang in die Karriere nach der Karriere? Es ist ein Thema, das Adler bewegt. Deswegen hat der 38-Jährige seinen eigenen Videopodcast gestartet mit dem passenden Namen „Spotlight“. In zehn Folgen spricht Adler zusammen mit dem befreundeten Schauspieler Milan Marcus mit Persönlichkeiten aus verschiedenen Branchen, die auf unterschiedliche Arten den Wechsel in das Rampenlicht und wieder heraus vollzogen haben: Die ehemaligen Wintersportler Felix und Miriam Neureuther, Ex-Telekom-Vorstand Ron Sommer, die Moderatoren Laura Karasek und Steven Gätjen, Unternehmer Philipp Westermeyer oder Wimbledon-Sieger Michael Stich.

Adler wollte nach der Karriere beim HSV bleiben

„Das Projekt ist ein wichtiges Puzzleteil meiner Identitätsfindung“, sagt Adler, der heute eigentlich in einer Funktion beim HSV hätte arbeiten wollen. So hatte er es 2016 in seiner fünften Saison mit dem damaligen Clubchef Dietmar Beiersdorfer besprochen. Doch Beiersdorfer wurde freigestellt, Heribert Bruchhagen und Jens Todt ließen die Gespräche ruhen. „Ich bin Opfer davon geworden, dass keiner mehr wusste, wer mit wem gesprochen hat“, sagt Adler mit ein paar Jahren Abstand. „Es ist schade, dass man es nicht geschafft hat, gewisse Leute an sich zu binden.“

Stattdessen ging Adler andere Wege. Schon in seiner Zeit in Mainz startete er seine ersten Projekte als Unternehmer. Heute ist er nicht nur Gründer, TV-Experte und Podcaster – sondern auch zweifacher Familienvater. Ein neues Leben, mit dem er sich in seiner aktiven Karriere erst spät beschäftigt hat. „Dir wird im Fußball immer fremdbestimmt gesagt, was du zu machen hast. Wenn deine Karriere vorbei ist, hast du plötzlich ein weißes Blatt Papier, das gefüllt werden muss. Was passiert, wenn die Anker wegbrechen?“

Adler referiert heute in NLZ's

Über diese Fragen referiert Adler heute auch in Nachwuchsleistungszentren. „Ich habe in der Jugend nie das Scheitern gelernt. Ich wurde immer hoch gehypt.“ Mit 22 Jahren stand Adler 2007 mit einem Mal bei Bayer Leverkusen auf der Bundesligabühne. Ein Jahr später wurde er die Nummer eins der Nationalmannschaft und hätte auch die Weltmeisterschaft 2010 gespielt, wenn er sich nicht wenige Wochen zuvor zwei Rippen gebrochen hätte. Heute sagt Adler: „Im Endeffekt bin ich selbst schuld. Meine Rippen sind an dem Druck gebrochen, den ich mir selbst gemacht habe. Ich habe das Rad überdreht und weniger mit meinem Coach gearbeitet.“

Mit seinem Coach meint Adler seine persönliche Vertrauensperson, mit er all die Jahre zusammengearbeitet hat. Diesen Rat gibt er heute auch jungen Fußballern, die in das Rampenlicht des Profifußballs stoßen oder gestoßen werden. „Sprecht über euer Karriereende, sprecht über eure Interessen“, rät Adler den Profis, um auf die Zeit nach der Karriere vorbereitet zu sein. „Junge Spieler sollten darauf achten, nicht irgendeine Kopie zu werden.“

Im Spotlight: René Adler hat seine gesamte Karriere im Scheinwerferlicht verbracht.
Im Spotlight: René Adler hat seine gesamte Karriere im Scheinwerferlicht verbracht. © FUNKE Foto Services | Mark Sandten

Obwohl Beispiele wie Fiete Arp zeigen, dass ein zu früher Schritt ins Spotlight eine Karriere gefährden kann, sieht Adler den HSV grundsätzlich als gute Station für Talente auf dem Weg in den Profifußball. „Es ist aktuell deutlich besser für junge Spieler zum HSV zu gehen, weil es geschafft wurde, Ruhe in den Verein zu bringen“, sagt Adler. Das sei zu seiner Zeit noch anders gewesen. „Spieler wurden beim HSV oft als Heilsbringer geholt und dann schnell wieder fallen gelassen.“

Adlers Verbindung zum HSV aber ist bis heute geblieben. Mit dem aktuellen Torhüter Daniel Heuer Fernandes trifft er sich ab und an in Hamburg, Sportvorstand Jonas Boldt kennt er noch aus Leverkusen. „Ich schätze ihn“, sagt Adler. Aber auch Trainer Tim Walter ist er bereits mehrfach begegnet. Immer mal wieder schaut Adler bei seiner früheren Mannschaft in der Kabine vorbei. „All die Male, als ich beim HSV in der Kabine war, hatte ich das Gefühl, dass alle an einem Strang ziehen, dass es keine Grüppchen gibt“, sagt Adler. „Es ist eine Leistung des Trainers, dass er eine Einheit geschaffen hat.“

Was Adler über Tim Walter denkt

Als TV-Experte hat Adler mittlerweile die Seiten gewechselt und kann daher auch Walters Auftritte in der Öffentlichkeit einordnen. Nachdem der HSV-Trainer vor zwei Wochen auf der Pressekonferenz auf viele Fragen noch genervt reagiert hatte und dafür viel Kritik kassierte, gab er sich am Donnerstagnachmittag deutlich besser gelaunt vor dem Heimspiel gegen Greuther Fürth am Sonnabend (13 Uhr). Für Adler ist dieses Verhalten aber auch Teil eines Plans. „Das Wichtigste ist, dass man authentisch ist. Und das ist Tim Walter. Wenn ich da war, war er immer freundlich und höflich.“

Walter ist beim HSV mittlerweile länger im Amt als Thomas Doll. Adler dagegen erlebte in seinen fünf Jahren beim HSV zwischen 2012 und 2017 acht verschiedene Trainer. Trotzdem sagt er, dass er die schönste Zeit seiner Profikarriere beim HSV erlebt hat: 2015 in den letzten acht Wochen unter Bruno Labbadia. „Wir waren tot. Es war eine katastrophale Stimmung in der Kabine. Bruno war der Gamechanger. Wir hatten wieder einen Glauben, ein Teamgefühl. Dieses Gefühl habe ich selten erlebt“, sagt Adler über die zwei Monate mit dem Höhepunkt der Rettung in der Relegation in Karlsruhe.

Adler sucht nach Klarheit in seinem Leben

Momente wie diese sind es, die Adler heute vermisst. „Diese Emotionalität und der Adrenalinkick fehlen mir.“ Einerseits. Andererseits ist er froh, dass dieser Druck in seinem Leben nicht mehr da ist. Jetzt sucht Adler nach neuen Aufgaben und neuen Strukturen. „Die Klarheit war nach meiner Karriere weg. Auf diesem Weg bin ich immer noch. Der Videopodcast ist ein wichtiger Teil des Prozesses“, sagt Adler.

Ob man ihn eines Tages beim HSV in einer Funktion wiedersieht? Eine Trainertätigkeit schließt er aus. Auch ein Managerposten ist – Stand jetzt – kein Thema. Und auch auf die Frage im Podcast von OMR-Gründer Philipp Westermeyer, ob er Klaus-Michael Kühne Anteile am HSV abkaufen würde, antwortet Adler mit einem klaren Nein. Aber: „Es ist ein Geschenk, wenn du als HSV jemanden hast wie Herrn Kühne. Er hat ein unglaubliches unternehmerisches Gespür."

Fans können den früheren Torwart in Kürze dafür mal wieder im Volkspark sehen. Zum Heimspiel gegen Magdeburg wollte er seinen Sohn Casper (3) eigentlich erstmals mit ins Stadion nehmen. Doch weil das Spiel auf den Abend terminiert wurde, ist die Aktion vorerst verschoben – aber nicht aufgehoben. Wie so vieles im neuen Leben des René Adler.