Hamburg. Der Spielervermittler Marcus Haase fordert vom HSV 1,4 Millionen Euro Honorar. Vor dem Landgericht bezichtigt er Boldt der Lüge.
Jonas Boldt saß am Montagmittag vor Raum B 335 des Landgerichts Hamburg auf einer Bank und grinste. „Normalerweise treffen wir uns zum Mittagsgericht. Jetzt treffen wir uns am Mittag vor Gericht“, sagte der Sportvorstand des HSV. Auf der Bank neben ihm saß sein Vorgänger im Vorstandsbüro des Volksparkstadions, Ralf Becker.
Eine Bank weiter nahm Michael Mutzel Platz, der ehemalige Sportdirektor des HSV, der sich vor einem Jahr noch mit Boldt vor dem Arbeitsgericht über seine Freistellung gestritten hatte. Und dann stand da auch noch Bernd Hoffmann, der ehemalige Vorstandsvorsitzende des HSV, der vor vier Jahren dafür gesorgt hatte, dass Boldt der Nachfolger von Becker wurde, ein Jahr später aber selbst freigestellt wurde, nachdem er einen internen Machtkampf gegen seine Vorstandskollegen Boldt und Frank Wettstein verloren hatte.
Haase fordert 1,4 Millionen Euro vom HSV
Der Grund für dieses fast schon groteske Zusammentreffen aktueller und ehemaliger HSV-Manager stand in der ersten Pause der Zeugenanhörung wenige Meter daneben: Marcus Haase, Anwalt und Spielervermittler, klagt mit seiner Firma macospo GmbH gegen die HSV Fußball AG auf Zahlung einer Vergütung in Höhe von 1,4 Millionen Euro für den Transfer des Brasilianers Douglas Santos vom HSV zu Zenit St. Petersburg im Sommer 2019.
Seit fast vier Jahren läuft der Prozess mit wechselnden Richtern. Am Montag ging die Verhandlung mit dem Aktenzeichen 308 O 402/19 unter der Leitung von Richterin Anna-Lena Scheffler mit der Anhörung der Zeugen Hoffmann, Becker und Mutzel in die entscheidende Runde. Auch Boldt war mit drei Anwälten anwesend.
Nach fünf Stunden zog sich das Gericht zurück und verkündete nach interner Beratung, noch immer Bedenken zu haben, ob es vor vier Jahren eine rechtskräftige Provisionsvereinbarung im Fall Santos gegeben habe, der zu einem ersten Streit zwischen Hoffmann und dem damals noch neuen Sportvorstand Boldt geführt hatte. „Wir sind uns nicht sicher, ob eine Beauftragung stattgefunden hat“, sagte Richterin Scheffler. Kläger Haase will diese Einschätzung aber nicht akzeptieren. „Ich fühle mich geprellt“, sagte der 47-Jährige gleich zu Beginn der Sitzung.
Becker bestreitet mündliche Vereinbarung mit Haase über Provision
Rückblick: Am 4. Juli 2019 verkündete der HSV auf seiner Homepage: „Douglas Santos wechselt zu Zenit St. Petersburg“. Der russische Meister zahlte eine Ablösesumme von zwölf Millionen Euro für den Linksverteidiger, den der HSV drei Jahre zuvor für 6,5 Millionen Euro vom brasilianischen Erstligisten Atlético Mineiro gekauft hatte.
Haase, zu diesem Zeitpunkt der Berater des Spielers auf dem europäischen Markt, verlangte für die Vermittlung des Transfers als Provision eine zehnprozentige Summe des Nettogewinns, den der HSV durch den Verkauf erzielt hatte: 550.000 Euro. So hatte er es im Februar 2019 im Büro von Ralf Becker besprochen. Sagt Haase. Becker aber verneinte, dass es eine mündliche Vereinbarung gegeben habe. „Es gab keinen Auftrag des HSV“, sagte Becker, seit drei Jahren Sportchef bei Dynamo Dresden.
Treffen am 3. Mai 2019 sorgt für Diskussionen
Der 52-Jährige erzählte stattdessen, dass der HSV im Mai 2019 unzufrieden war mit der Arbeit von Haase. Das teilten die Verantwortlichen Becker, Mutzel und Hoffmann dem Agenten in einem Gespräch am 3. Mai auch mit. Schließlich galt der Verkauf des Brasilianers als wichtigster Transfer für die Planungssicherheit des HSV, der sich aufgrund des absehbaren Nichtaufstiegs in einer „angespannten finanziellen Lage“ befand, wie es Hoffmann am Montag zu Protokoll gab.
Diese beiden Treffen im Februar und im Mai 2019 waren zwei der entscheidenden Gespräche zwischen dem HSV und Haase, um die es in dem Prozess geht. Ein dritter war der 21. Juni im Lokstedter Restaurant Pulvermühle. Dort soll es ein erneutes Gespräch zwischen Hoffmann und Haase über eine mögliche Provision gegeben haben. Hoffmann, das bestätigte er vor Gericht, habe Haase ein Honorar in Aussicht gestellt für den Fall, dass ein Verkauf mindestens 15 Millionen Euro einbringen würde, musste diese Idee aber noch von seinen Vorstandskollegen sowie dem Aufsichtsrat absegnen lassen. Boldt und Wettstein lehnten ab.
Boldt will Haase nie zuvor begegnet sein - der widerspricht
Zu diesem Zeitpunkt hatte Boldt bereits die Verhandlungen mit Zenit St. Petersburg aufgenommen, was er Haase in einem Telefonat am 18. Juni auch mitteilte. „Wir sind uns vorher nie über den Weg gelaufen. Ich habe Herrn Haase deutlich gesagt, dass er sich aus den Verhandlungen raushalten soll, weil es meine Zuständigkeit war“, sagte Boldt vor Gericht.
Haase wiederum bezichtigte Boldt der Lüge. „Das Gespräch hat so nicht stattgefunden“, sagte der Anwalt. Boldt soll ihm lediglich mitgeteilt haben, dass er das erste Angebot von Zenit in Höhe von neun Millionen Euro plus eine Million Euro Bonuszahlungen abgelehnt hatte. Zudem erklärte Haase, dass er mit Boldt sehr wohl bereits zu tun hatte. 2017 habe er ihm in dessen Zeit bei Bayer Leverkusen zwei brasilianische Spieler vorgeschlagen: Diego Carlos und Raphinha, heute bei Aston Villa und dem FC Barcelona aktiv. „Sie waren ihm nicht gut genug“, sagte Haase.
Boldt konnte die Ablösesumme im Poker mit Zenit steigern
Boldt jedenfalls nahm den Transfer von Santos zu Zenit in die eigenen Hände und verhandelte mit dessen spanischen Sportdirektor Javier Ribalta, heute bei Olympique Marseille, und steigerte die Summe im Ablösepoker auf zwölf Millionen Euro, die sich durch Erfolgsprämien bereits auf 14 Millionen Euro erhöht hat. Haase meint dagegen, er habe schon am 22. Mai mit Ribalta gesprochen, als Boldt noch gar nicht beim HSV war. Wer also hat recht?
Was für das Gericht aller Voraussicht nach entscheidend sein wird: Zwischen dem HSV und Haase hat es nie eine schriftliche Vereinbarung über eine Provision gegeben. „Das ist auch total abwegig“, sagte Hoffmann. Schließlich sei im Normalfall der aufnehmende Club, also Zenit St. Petersburg, für die Zahlung der Vermittlungssumme verantwortlich. Nur in Ausnahmefällen könne es zu einer sogenannten Wegvermittlung kommen. So wie ein Jahr zuvor, als der HSV den Hamburger Spielerberater Thies Bliemeister dafür bezahlte, dass er den Brasilianer Walace an Hannover 96 vermittelte und der HSV sechs Millionen Euro einnehmen konnte.
Ein Vorgang, den auch Haase am Montag versuchte für sich zu nutzen. Denn auch in diesem Fall sei eigentlich die brasilianische Agentur TFM um Roberto Dantas für Walace verantwortlich gewesen. Für diese Agentur habe Haase auch bei Douglas Santos die Vermittlung auf dem europäischen Markt übernommen.
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Ob diese Argumente am Ende reichen, dass Haase doch noch seine Provision zugesprochen bekommt, darf nach diesem Tag allerdings bezweifelt werden. Der Anwalt hat nun bis zum 16. Oktober Zeit, erneut schriftlich Stellung zu nehmen. Am 30. November steht dann vor dem Gericht der Verkündungstermin an. Ob es dann nach vier Jahren wirklich zu einem Urteil kommt, ist noch offen.