Hamburg. Der HSV-Trainer machte für die neue Ausgabe der “11Freunde“ ein ungewöhnliches Fotoshooting. Walter gibt private Einblicke.
Wer vor zwei Wochen im Regen durch Winterhude gelaufen ist, hatte gute Chancen, Tim Walter in ungewöhnlichen Situationen zu erleben. Der HSV-Trainer war in der Nähe des Winterhuder Marktplatzes mit vier kleinen Hunden an der Leine unterwegs. Er war im Waschsalon, verschenkte Blumen vor einem Blumenladen, umarmte einen Baum und verteilte „free hugs“ – Umarmungen umsonst. Anlass dieses Fotoshootings war ein Artikel in der neuen Ausgabe des Magazins „11Freunde“, das an diesem Donnerstag erscheint. Titel der Geschichte: Der nette Herr Walter.
Eine Zuschreibung, die man in der öffentlichen Wahrnehmung nicht unbedingt mit dem HSV-Trainer verbindet. Der 47-Jährige eckt gerne an, er polarisiert sowohl mit seiner Persönlichkeit als auch mit seiner Art und Weise, Fußball spielen zu lassen. Und er klopft gerne mal einen großen Spruch. So wie im März, als er nach dem 2:4 beim Karlsruher SC über die Häme des KSC-Publikums sagte: „Diejenigen, die sagen: HSV, immer Zweite Liga“, wissen nicht, dass wir nächstes Jahr in der Bundesliga spielen.“ Ein Satz, der Walter nach dem verpassten Aufstieg um die Ohren flog. „Es ist klar, dass mir so ein Satz auf die Füße fallen kann. Aber: Ich war von meiner Mannschaft, von unserer Spielidee so überzeugt, dass die Glaube größer war als der Gedanke an ein Scheitern“, sagt er nun.
Tim Walter: Als Kind war ich sehr sensibel
Dass der oft als arrogant oder überheblich bezeichnete HSV-Coach auch eine andere Seite hat, zeigt er mit seinen Aussagen in dem „11Freunde“-Artikel. Offen wie nie erzählt Walter in der Ich-Form, wie er als Kind so wurde, wie heute ist. „Ich weiß, wie wuchtig ich mit meiner Größe und meinem Rauschebart auf andere Menschen wirke. Dabei war ich als Kind sehr sensibel, meine Mutter hat mich sehr behütet, und das hat auch dazu geführt, dass ich mit Kritik nicht umgehen konnte. Alles, was ich gemacht habe, war aus ihrer Sicht richtig, sie hat mich immer bestärkt. Mit Kritik umzugehen, habe ich erst spät erlernt“, sagt Walter.
Schon vor zwölf Tagen sprach Walter in der Pressekonferenz vor der Neuauflage des KSC-Spiels darüber, dass er privat auch lieb und nett sein kann, woraufhin Pressesprecher Philipp Langer ihn als den „lieben netten Herrn Walter“ bezeichnete und der Trainer bereits „free hugs“ in Aussicht stellte. Was zu diesem Zeitpunkt noch kaum einer wusste: Wenige Tage vorher hatte er zusammen mit den Reportern von „11Freunde“ in Winterhude bereits „free hugs“ verteilt.
Warum Walter seine Spieler häufig umarmt
Im Umgang mit der Mannschaft verteilt der Trainer gerne Umarmungen. Das habe auch mit seiner eigenen Vergangenheit als Fußballer zu tun, sagt Walter. „Auch als Fußballer wollte ich geliebt werden, ich war ein extrovertierter Offensivspieler. Ich hätte einen Trainer gebraucht, der mich in den Arm nimmt und beruhigt. Deshalb nehme ich meine Spieler regelmäßig in den Arm, jeden einzelnen. Wenn ich jemanden gernhabe, dann umarme ich ihn zur Begrüßung, gebe ihm nicht nur die Hand.“
Die Idee des Fußballmagazins war für Walter nun eine gute Möglichkeit, sich von seiner zweiten Seite zu zeigen. So wie er von Mitarbeitern der HSV-Geschäftsstelle beschrieben wird, denen der Trainer regelmäßig Kaffee kocht. „Ich mache mir keine Sorgen um mein Image. Aber ich hinterfrage mich schon“, sagt Walter gleich zu Beginn des Artikels.
An der Seitenlinie erleben Fernsehzuschauer aber vor allem den emotionalen und wilden Walter, der nicht immer sonderlich freundlich wirkt. „Ich stehe zu meinen Aussagen und Taten“, sagt Walter. Die Szene in Karlsruhe, als er die Rote Karte sah, bereut er. Vor allem weil seine Kinder im Stadion in der ersten Reihe saßen. Walter fühlte sich gekränkt. „Dass mich Fans provozierten und beleidigten, nachdem ich jahrelang engagiert in der Jugend des KSC gearbeitet hatte, ließ mich nicht kalt.“
Walter dachte nach dem verpassten Aufstieg an Rücktritt
Auch der verpasste Aufstieg hinterließ bei Walter Spuren. Er dachte sogar für einen Moment an Rücktritt, wie er im „11Freunde“-Artikel erzählt. „Ich finde es merkwürdig, dass in der Öffentlichkeit nie darüber diskutiert wurde, ob ich Trainer beim HSV bleiben wollte. Ganz ehrlich: Nach dem verpassten Aufstieg habe ich mir ein paar Tage Gedanken gemacht. Wir hatten alles gegeben, es hat wieder nicht gereicht, ich war tief enttäuscht. Ich hatte die Erwartungen selbst nicht erfüllt.“
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Erst nach ein paar Tagen war klar, dass er einen neuen Anlauf starten wird. Aber anders als bisher. „Ich bin derjenige, der sich in den Wind stellt, der alles vom Team fernhält, aber auch ich brauche Energie. Meine Konsequenz war, dass ich meine Führungsspieler wie Sebastian Schonlau und meine Assistenten noch mehr in die Pflicht genommen habe, ihnen mehr Verantwortung übertrage.“
Klar ist aber auch: Tim Walter bleibt Tim Walter. Vor allem am Spielfeldrand. Das wird man am späten Sonnabend wieder erleben, wenn der HSV im Volksparkstadion Hertha BSC empfängt.