Essen. Auch beim 4:3-Sieg im DFB-Pokal bei Rot-Weiss Essen bekommt der HSV die Defensive nicht in den Griff. Walter beendet Diskussion.
Tim Walter hatte seinen Humor trotz einer unüberhörbaren Erkältung nicht verloren. „Die Frage hätten Sie mir auch stellen können“, sagte der HSV-Trainer am Sonntagnachmittag bei der Pressekonferenz nach dem 4:3 (1:1)-Sieg beim Drittligisten Rot-Weiss Essen. RWE-Trainer Christoph Dabrowski war gefragt worden, ob er die mutige Spielweise seiner Mannschaft nach diesem Spiel nicht überdenken sollte. Schließlich hatte Essen gegen den HSV mit der für Walter typischen Spielweise zwei vermeidbare Gegentore bekommen, als Bakery Jatta nach zwei riskanten Aufbaupässen von Torhüter Jakob Golz zweimal erfolgreich ins Pressing ging und den mutigen Spielaufbau mit zwei Toren bestrafte.
Walter gewinnt lieber 5:4 als 1:0
Es war eine Frage, die Walter in den vergangenen zwei Jahren beim HSV schon mehrfach gehört hat. Auch nach dem abermals wilden Spiel in Essen wurde Walter wieder gefragt, wie er die vielen Gegentore vermeiden könne. Seine Antwort: gar nicht. „Ich gewinne lieber 5:4 als 1:0“, sagte Walter über das erneute Spektakel im dritten Pflichtspiel der Saison. „Ist doch gut, oder? Es ist immer Spektakel geboten, wenn der HSV kommt. Und heute stimmte auch das Ergebnis.“
Wie schon beim 5:3-Sieg gegen Schalke 04 zum Saisonstart und beim 2:2 in Karlsruhe musste der HSV auch in Essen mehrere Gegentore in Kauf nehmen. Walter machte das offenbar gerne. Sportvorstand Jonas Boldt sah den Auftritt insbesondere der Abwehr dagegen deutlich kritischer. „Es gab viel zu viele Nachlässigkeiten und einfache Fehler“, sagte Boldt und wurde noch schärfer. „Wir spielen hier gegen einen Drittligisten und nicht an der Freibadstraße. Dass da ein bisschen Tempo drin ist und man den Ball etwas schneller abspielen muss, hat der eine oder andere heute auch mal deutlich gemerkt.“
Boldt kritisiert die Mannschaft des HSV
Insbesondere die Innenverteidiger Dennis Hadzikadunic und Guilherme Ramos hatten im Spielaufbau große Probleme, ohne dass der Gegner sonderlich großen Druck gemacht hatte. Dreimal ging der HSV durch Jatta (37./54.) und Robert Glatzel (66.) in Führung, dreimal glich Essen schnell wieder aus. „Wenn man dreimal führt, ist es unerklärlich, dass wir sie immer wieder zurückholen“, sagte Boldt und mahnte vor dem Heimspiel gegen Hertha BSC am Sonnabend: „Am Wochenende muss es eine Leistungssteigerung geben.“
In Essen wurde ohne die beiden Stabilisatoren Sebastian Schonlau und Jonas Meffert einmal mehr deutlich, dass die spezielle Spielweise des HSV zu Problemen führt, wenn Walter zu viele personelle Wechsel vornehmen muss. Meffert hatte das Abschlusstraining wegen muskulärer Probleme abgebrochen, Schonlau wird am Montag noch einmal im UKE untersucht. „Ich hoffe, das Bild gibt mehr Aufschlüsse“, sagte Walter. Der Kapitän fällt nun schon seit sechs Wochen wegen eines Faserrisses in der Wade aus.
Ambrosius mit deutlichen Worten über Abwehrprobleme
Wie sehr der Abwehrchef beim HSV vermisst wird, wurde in Essen mehr als deutlich. Der Viererkette mit drei Neuzugängen sowie Rückkehrer Miro Muheim fehlte die Organisation und die Abstimmung. Meffert-Vertreter Elijah Krahn war als alleiniger Sechser überfordert, die Innenverteidiger verloren im Spielaufbau viele Bälle. „Wir schießen uns die Tore selbst rein durch individuelle Fehler. Das darf nicht sein. Wir sind alle Profis“, sagte Stephan Ambrosius, der in der Verlängerung Hadzikadunic ersetzte.
Walter wiederum sagte: „Es hatte heute wenig mit Risiko zu tun. Es war nicht der Fall, dass wir irgendwelche Gegentore durch Ballverluste bekommen haben“, sagte der Trainer, vergaß dabei aber offenbar die Szene vor dem 2:2, als Krahn im Mittelfeld den Ball verlor, Muheim zu weit aufrückte und Essen sich über so viel Raum freute, wie es ihn im Drittligaalltag nur selten gibt.
Walter beendet Debatte über Spielstil
Doch diese Momente werden beim HSV unter Walter weiter dazugehören. „Das Thema ist eine Endlosschleife. Ich mache das so, seit ich beim HSV bin. Irgendwann solltet ihr das auch wissen“, sagte Walter und nahm einen letzten Schluck aus seiner Wasserflasche. Erst am Morgen war der 47-Jährige aus Hamburg nachgereist, nachdem er das Wochenende erkältet im Bett verbracht hatte.
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Am Ende freute sich der Trainer darüber, dass der Lauf von Laszlo Benes weitergeht. Der Slowake erzielte in der Verlängerung drei Minuten vor Schluss mit einem haltbaren Schuss das Siegtor (117.), weil der frühere HSV-Torhüter Jakob Golz auf dem weichen Rasen nicht richtig abspringen konnte und den Ball passieren lassen musste.
Das Glück des HSV war an diesem Nachmittag, dass Essen noch mehr Fehler machte als die Hamburger. Am Sonnabend gegen Absteiger Hertha BSC wird sich Walter aber etwas einfallen lassen müssen. So einfach wie Rot-Weiss Essen werden es die Berliner dem HSV in jedem Fall nicht machen.
Essen: Golz – Felix Götze, Bastians, Rios Alonso (80. Berlinski) – Wiegel (106. Voufack), Müsel (80. Eisfeld), Sapina, Brumme – Young, Doumbouya (114. Friessner Montas), Obuz (67. Vonic).
HSV: Raab – van der Brempt, Ramos, Hadzikadunic (91. Ambrosius), Muheim – Krahn (59. Nemeth) – Öztunali (91. Königsdörffer), Benes – Jatta, Glatzel, Dompé (80. Heyer).
Tore: 0:1 Jatta (37.), 1:1 Müsel (42.), 1:2 Jatta (54.), 2:2 Doumbouya (56.), 2:3 Glatzel (66.), 3:3 Brumme (83.), 3:4 Benes (117.). Schiedsrichter: Zwayer (Berlin). Z: 18.800 (ausverkauft). Gelb: Krahn, Van der Brempt, Ramos, Ambrosius, Königsdörffer.