Hamburg. Beim 5:3 gegen Schalke zeigten sich die Hamburger von einer ungewohnten Seite. Doch ist der Eindruck auch nachhaltig?

Wer am Montag in Ottensen einen Kaffee trinken geht, hat gute Chancen, Jonas Meffert zu treffen. Der Mittelfeldspieler des HSV wird den freien Tag zu Wochenbeginn in aller Ausführlichkeit genießen und möglicherweise in seinem Stadtteil bei einem Cappuccino entspannen. Gleich zweieinhalb freie Tage hatte Trainer Tim Walter seiner Mannschaft am Sonnabend nach dem Auslaufen genehmigt.

Und wahrscheinlich wird kein anderer HSV-Spieler diese kurze Pause so sehr genießen wie Meffert. Schließlich war es eine ebenso kurze Pause, die der Mittelfeldspieler nach seiner vierten verlorenen Relegation im Sommer hinter sich hatte. „Ich hätte gerne noch länger Urlaub gehabt“, sagte Meffert am Freitagabend nach dem spektakulären 5:3-Sieg gegen den FC Schalke 04 mit einem Lächeln.

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Ganz im Ernst gab der 28-Jährige aber offene Einblicke in seine Gefühlswelt nach dem verpassten Aufstieg vor acht Wochen. „Nach dem Stuttgart-Spiel war sehr viel Leere in mir, vor allem die Tage danach. Es war schon schwierig, sich wieder zu motivieren. Anderen ging es genauso“, sagte Meffert. Umso überraschender war es, dass der HSV trotz vieler Verletzungsprobleme und der kurzen Integrationszeit für die Neuzugänge gegen Schalke eine bemerkenswerte Energieleistung auf den Platz brachte. „Wir haben aus Frustration von gestern Motivation von heute gemacht“, sagte Walter.

HSV beseitigt Zweifel nach den Personalproblemen

Doch wie auch Meffert bestätigte, waren es neben den Zuschauern gerade die Zugänge, die beim HSV für einen Stimmungsumschwung sorgten. „Die neuen Spieler haben viel Energie reingebracht, das war sehr wichtig“, sagte Meffert, der in Abwesenheit von Abwehrchef Sebastian Schonlau (Wadenverletzung) und Stellvertreter Ludovit Reis (Schulterverletzung) die Mannschaft als Kapitän anführte. Gab es vor dem Saisonstart aufgrund der Personalprobleme große Zweifel am Zustand des HSV, waren sie offenbar sogar ein Faktor dafür, dass die Hamburger mit einem Sieg starteten.

Insbesondere Rechtsverteidiger Ignace van der Brempt und Spielmacher Immanuel Pherai, die jeweils ein Tor durch Robert Glatzel vorbereiteten, brachten eine Menge Power und Tempo in das HSV-Spiel. Schon jetzt zeigt sich, dass die beiden Neuverpflichtungen auch Verstärkungen sind. Pherai bestach durch sein gutes Auge und das gute Zusammenspiel mit Glatzel. „Er ist ein super Kicker, ein geiler Zehner, auch mit viel Tempo“, sagte Glatzel über den für 750.000 Euro aus Braunschweig gekommenen Pherai. Der Niederländer hatte keinerlei Anpassungsprobleme. „Ich hatte nicht das Gefühl, dass vieles neu war“, sagte Pherai.

Belgier van der Brempt bringt neues Tempo in die Defensive

Ein wichtiges Element bringt auch der Belgier van der Brempt in die Defensive. Mit seiner Geschwindigkeit ist die Leihgabe von Red Bull Salzburg immer in der Lage, gegnerische Stürmer abzulaufen. Diese Qualität hatte der HSV in der vergangenen Saison in seiner Viererabwehrkette nicht. Aber auch Levin Öztunali, der in der Offensive überraschend auf Linksaußen den Vorzug vor Jean-Luc Dompé erhielt, überzeugte mit seinem Tempo.

Für das einstige HSV-Talent war es ein emotionaler Abend. Der Enkel von Uwe Seeler machte sein erstes Spiel überhaupt für den HSV im Volksparkstadion. Nach dem Sieg, zu dem er beinahe mit seinem ersten Tor beigetragen hatte, schallten Uwe-Seeler-Sprechchöre durch die Arena. „Alle haben ihn positiv in Erinnerung. Das freut mich sehr“, sagte Öztunali. „Es war ein emotionaler Moment und ein rundum gelungener Tag.“

Öztunali schafft gleich den Topspeed beim HSV

Auch wenn er das 3:3 mit einem Fehlpass einleitete, zeigte Öztunali, dass seine Verpflichtung mehr ist als nur ein Transfer für die Emotionen. Er macht den HSV durch seine Vielseitigkeit variabler und unberechenbarer. Und ganz nebenbei auch schneller. Mit einem Topspeed von 34 Stundenkilometern war Öztunali der schnellste HSV-Spieler auf dem Platz. Vor van der Brempt (33,7) und Dompé (33,6).

Sollte Öztunali in Zukunft auch mal über die rechte Seite spielen, hätte der HSV mit ihm und van der Brempt den wahrscheinlich schnellsten Flügel der Liga. Der 21 Jahre junge van der Brempt spielte und rannte sich direkt in die Herzen der HSV-Fans. Der mutige Spielstil von Trainer Walter macht ihm Spaß. „Es ist noch etwas neu für mich, es geht aber schon sehr gut“, sagte der Vorlagengeber zum 4:3, der in dieser Szene einmal mehr am gegnerischen Strafraum zu finden war. „Ich mag die mutige Spielweise mit dem Ball. Mit viel Initiative, viel Energie nach vorne, das gefällt mir.“

Ändert Walter sein System dauerhaft?

Die Waltersche Spielweise war gegen den Bundesliga-Absteiger Schalke wieder zu beobachten. Doch es zeigte sich auch, dass der Trainer und seine Assistenten die Ibiza-Reise in der Sommerpause tatsächlich genutzt haben, um ein paar Elemente der Spielidee grundlegend zu überdenken. Stephan Ambrosius und Guilherme Ramos brachten die gewünschte Zweikampfhärte in die Innenverteidigung. Und Torhüter Daniel Heuer Fernandes durfte so viele lange Bälle spielen wie nie zuvor. Und die waren gegen Schalke ein entscheidendes taktisches Mittel.

„Wir waren sehr flexibel“, sagte Walter auf der Pressekonferenz und wählte damit sein neues Lieblingswort. Gleich dreimal nutzte der Trainer, der in seiner Karriere bislang nicht durch taktische Flexibilität aufgefallen war, den Begriff, um seinen Matchplan zu erklären. Für diesen gab es Lob von allen Spielern.

„Der Trainer und die Co-Trainer haben uns perfekt auf den Gegner vorbereitet. Wir wussten genau, was zu tun ist, um uns Chancen herauszuspielen“, sagte Meffert. Gegen die mannorientierte Verteidigung der Schalker schaffte es der HSV immer wieder, sich in die Tiefe zu kombinieren. „Wenn wir sie rausgezogen haben, war viel in der Tiefe frei“, erklärte Meffert. Auch Glatzel sagte: „Der Matchplan hat super geklappt.“

HSV hat noch finanzielle Möglichkeiten für weitere Neuzugänge

Der Stürmer war nicht nur wegen seiner zwei Tore und der zwei Vorlagen der überragende Mann auf dem Platz. Die wichtigste Unterschrift unter einen Vertrag in diesem Transfersommer, das wurde am Freitagabend klar, war die Verlängerung des Angreifers bis 2027. Glatzel war überall zu finden. Seinen Abschluss zum 4:3 bezeichnete Vorbereiter van der Brempt als „außergewöhnlich“. Von den rekordverdächtigen 32 Torschüssen gingen acht auf Glatzels Konto. Der 29-Jährige ist in dieser Form nicht zu ersetzen.

Auf allen anderen Positionen hat der HSV mit seinen Neuzugängen dagegen eine Konkurrenzsituation geschaffen, die in der Zweiten Liga ihresgleichen sucht. Und das mit geringen Mitteln. Für die fünf Neuzugänge musste Sportvorstand Jonas Boldt bislang nur für Pherai eine Ablöse zahlen. Finanzielle Möglichkeiten, um im defensiven Mittelfeld sowie links hinten noch Konkurrenten für Meffert und Miro Muheim zu finden, sind vorhanden und dürften auch noch ausgeschöpft werden.

HSV-Defensive bleibt die größte Baustelle

Die größte Baustelle bleibt aber weiterhin das Vermeiden von Gegentoren. Trotz der neuen Zweikampfgier durch Ramos und Ambrosius kam Schalke zu einfach zu seinen Treffern. „Drei Tore zu Hause zu kassieren, geht gar nicht“, sagte auch Glatzel. Neu aber ist das nicht. Das Spiel gegen Schalke erinnerte stark an das Spektakel gegen St. Pauli im April (4:3). Walter sagte daher: „Wir wollen nicht nur Erlebnis, sondern auch Ergebnis.“

Dass das Schalke-Spiel nicht der Maßstab für die Zweite Liga ist, dürfte beim HSV allen klar sein. Räume, wie sie die Gelsenkirchener im Mittelfeld anboten, wird es nicht mehr so häufig geben. Schon in der kommenden Woche dürfte vieles ganz anders aussehen, wenn der HSV beim Karlsruher SC spielt. Ob Walter seine Spielidee tatsächlich dauerhaft verändert, wird man im Wildpark erleben.

Dort zeigte Trainer Christian Eichner beim 4:2-Sieg des KSC im März, wie man den bislang praktizierten Walter-Ball am effektivsten bespielt: Mit aggressivem Anlaufen und Zweikampfhärte. Auf den neuen HSV wird sich aber auch Eichner erst einmal einstellen müssen.