Hamburg. Vor fast 50 Jahren besuchten Fans der Rangers den HSV. Nun spielen die Hamburger erstmals im Ibrox. Die Geschichte einer Freundschaft

Es war ein kalter Abend im November 2009, als der kleine Ross Wilson aus Glasgow zum HSV-Fan wurde. Im Volksparkstadion hing im Europa-League-Rückspiel gegen Celtic Glasgow ein großes Banner auf der Nordtribüne. „No Surrender.“ Keine Kapitulation. Ross’ Vater, der das Spiel mit seinem Sohn im Fernsehen bei ESPN schaute, erklärte ihm, warum die HSV-Fans das Motto des Celtic-Rivalen Glasgow Rangers zeigten: Es war Ausdruck einer ganz besonderen Freundschaft zwischen zwei ganz besonderer Traditionsvereinen: dem HSV und den Glasgow Rangers.

„Ich bin Rangers-Fan, seit ich denken kann. Seit diesem Tag habe ich angefangen, auch den HSV zu verfolgen“, sagt Ross Wilson 14 Jahre später im Gespräch mit dem Abendblatt. Heute ist der Schotte 23 Jahre alt und am Sonnabend (16 Uhr/live auf HSV.tv) im altehrwürdigen Ibrox-Stadion dabei, wenn die Glasgow Rangers und der HSV erstmals seit 2011 wieder ein Freundschaftsspiel bestreiten. Ross geht mit seinem Vater und seinem Kumpel Bennet aus Hamburg ins Stadion. Sie sind Mitglieder der Glasgow HSV Loyal, einer Nachfolgegruppe des 1977 gegründeten Fanclubs Hamburg Loyal Rangers Supporters Club.

Rangers-Fans und HSV-Anhänger verstanden sich von Beginn an

Es war die Zeit, als die Freundschaft zwischen dem HSV und den Rangers nach einem Freundschaftsspiel 1974 im alten Volksparkstadion begann. Die begeisterungsfähigen Fanlager verstanden sich auf Anhieb prächtig. Es entwickelten sich gegenseitige Besuche, die in einer offiziellen Fanfreundschaft mündeten.

Ross Wilson ist einer von vielen Rangers-Fans, die auch Jahrzehnte später diese Verbindung aufrechterhalten. Über seinen Twitter-Kanal vermittelt er HSV-Fans regelmäßig Tickets für die Rangers-Heimspiele im Ibrox-Stadion. Einmal pro Saison reist er zudem selbst nach Hamburg. Sein erstes HSV-Spiel besuchte er 2017 im Alter von 17, nachdem er sich durch sein erstes Ausbildungsgehalt den Trip leisten konnte. Er sah einen 3:0-Sieg gegen 1899 Hoffenheim. „Ich habe die Stadt, die Atmosphäre und die Verbindung der beiden Clubs geliebt“, sagt Wilson, der zuletzt im April den 4:3-Sieg im Stadtderby gegen den FC St. Pauli erlebte. „Die Stimmung war wieder großartig“, sagt er.

2011 trafen Maurice Edu (l.) von den Glasgow Rangers und Heung Min Son vom HSV letztmals in einem Freundschaftsspiel aufeinander.
2011 trafen Maurice Edu (l.) von den Glasgow Rangers und Heung Min Son vom HSV letztmals in einem Freundschaftsspiel aufeinander. © Witters

Dass St. Pauli seit 1987 eine Fanfreundschaft zu Celtic Glasgow pflegt, hat die Verbindung zwischen den Anhängern des HSV und der Rangers noch einmal verstärkt – auch auf politischer Ebene. Seit jeher ist die Rivalität zwischen Celtic und den Rangers auf den alten Konflikt in Schottland zwischen den Katholiken und den Protestanten zurückzuführen. Die Fanlager fühlen sich mehrheitlich den Katholiken (Celtic) sowie den Protestanten (Rangers) zugehörig. Ursprung des Rangers-Leitspruchs „No Surrender“ ist eine 105 Tage lang dauernde Belagerung der nordirischen Stadt Derry durch Truppen des katholischen Königs James II. im Jahre 1690.

Jörg Albertz wundert sich über Seltenheit des Freundschaftsspiels

Im Rahmen der heutigen Freundschaft der Fans spielt die politische Vergangenheit aber keine Rolle mehr. Vielmehr geht es um den Erhalt von Tradition und Fankultur. Ihren Höhepunkt erlebte die Fanfreundschaft in den Jahren 1996 bis 2001, als der ehemalige HSV-Star Jörg Albertz bei den Rangers zum Publikumsliebling wurde. „Die Fans des HSV und der Rangers sind positiv verrückt“, sagt Albertz dem Abendblatt.

In seiner Zeit in Glasgow erlebte der Ex-Nationalspieler immer wieder, wie HSV-Fans nach Schottland kamen. „Ich finde es richtig schön, dass es eine Freundschaft zwischen den Vereinen gibt, für die ich am meisten gespielt habe“, sagt Albertz, der noch heute mehrfach im Jahr nach Glasgow fliegt, um an Fanabenden der Rangers für den guten Zweck teilzunehmen.

HSV arbeitete schon seit einiger Zeit an dem Spiel

Zu gerne wäre der 52-Jährige nun auch zum ersten Spiel des HSV im Ibrox überhaupt gekommen, doch wegen seines Familienurlaubs in Kroatien musste er absagen. Albertz hofft aber, dass es durch die seit zwei Jahren bestehende Kooperation der Clubs häufiger zu Freundschaftsspielen kommt. „Ich war überrascht, dass es in der Vergangenheit so wenige Spiele der beiden Vereine gab“, sagt Albertz.

Das könnte sich in der Zukunft ändern. Schon lange arbeitete der HSV an der Idee eines Freundschaftsspiels. Nun hat es endlich geklappt. Für den HSV entstehen keine Mehrkosten. Die im Februar 2021 geschlossene Kooperation fand bislang hauptsächlich im Bereich der Fankultur statt. Anlässlich des Spiels gibt es aber auch im Merchandising neue Gemeinsamkeiten und gemeinsame Fanartikel.

„We Love You Rangers'': Vor einem Jahr grüßten die HSV-Fans die Glasgow Rangers beim Heimspiel gegen Paderborn mit einem großen Transparent auf der Nordtribüne.
„We Love You Rangers'': Vor einem Jahr grüßten die HSV-Fans die Glasgow Rangers beim Heimspiel gegen Paderborn mit einem großen Transparent auf der Nordtribüne. © Witters

Rund 600 HSV-Fans werden an diesem Wochenende in Glasgow dabei sein. Bereits am Freitag ging es mit dem ersten Fantreffen am Stadion los. In den Pubs dürfte vor allem am Sonnabend nach dem Spiel einiges los sein. „Die Fans verbindet mittlerweile auch eine gemeinsame Leidenszeit“, sagt Albertz.

Der ehemalige schottische Dauermeister erlebte 2012 den Zwangsabstieg in die Vierte Liga, kämpfte sich aber zurück in Liga eins und zog vor einem Jahr ins Finale der Europa League gegen Eintracht Frankfurt ein. Beim Halbfinale in Leipzig unterstützten auch viele HSV-Fans ihre Freunde aus Glasgow. „Ich hoffe, dass bei beiden Clubs in der Zukunft wieder der Knoten platzt. Die Fans hätten das verdient“, sagt Albertz.

Ross Wilson hofft, in Zukunft noch viele Spiele zwischen seinen Rangers und seinem HSV zu sehen. Im Optimalfall irgendwa nn im Europapokal. Da spielte der HSV bislang zweimal gegen Celtic. Doch auch in Glasgow weiß man, dass die Hamburger von solchen Träumen mittlerweile sehr weit entfernt sind.