In der nächsten Woche feiert die Vereinslegende 70. Geburtstag. An Rente denkt der Fußballtrainer nicht. Was er vom aktuellen HSV hält.
Am 26. Juli feiert Felix Magath seinen 70. Geburtstag. Zu diesem Anlass hat der frühere HSV-Profi, -Manager und -Trainer seine Biografie veröffentlicht. „Gegensätzliches“ hat der Europapokalheld von 1983 das Werk getauft. Und in dem Gespräch für den Podcast „HSV – wir müssen reden“ wurde schnell deutlich, dass Magath ein Mensch ist, der nicht in eine Schublade zu stecken ist.
Hamburger Abendblatt: Herr Magath, wenn Sie in Hamburg über die Straße gehen, wie oft werden Sie angesprochen?
Felix Magath: Als ich heute Morgen mit Sonnenbrille über den Markt in Rellingen gelaufen bin, hat sich jemand getraut zu fragen, ob ich ein Double wäre. Daraufhin habe ich die Brille abgesetzt und geantwortet, dass ich tatsächlich in echt da bin.
Magath: Der HSV hat sich mit der Zweiten Liga arrangiert
Und was sagen Sie dann, wenn Sie auf den HSV angesprochen werden?
Unterschiedlich. Nach der Saison hatte ich mit der Situation etwas zu knapsen. Für jemanden, der mit dem HSV drei Meisterschaften gewonnen hat, ist die Zweite Liga schwer zu akzeptieren.
Die Fans haben sich damit arrangiert.
Was unserem Zeitgeist entspricht. Heute wird aus einer Gesamtsituation gerne immer der Teil in den Vordergrund gestellt, der gerade passend erscheint. Natürlich können Sie sagen: 55.000 Zuschauer im Schnitt, das ist sensationell, mehr geht ja nicht, auch nicht in der Bundesliga. Für mich ist das jedoch nicht der richtige Maßstab. Wichtiger als die Zuschauerzahl ist die Klassenzugehörigkeit.
Sie leben seit vielen Jahren in München. Aus der Distanz betrachtet: Warum versucht der HSV es nun schon im sechsten Jahr, wieder in die Erste Liga aufzusteigen?
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Wahrscheinlich war die Sicht von außen schon vor zehn, 15 Jahren eine andere als in Hamburg. Der HSV hat gar nicht mitbekommen, dass er immer mehr Richtung Zweitklassigkeit driftet, auch wenn er einige Jahre gebraucht hat, bis er „endlich“ abgestiegen ist. Der Club hat sich nie so richtig dagegen gewehrt, sondern hat eine miserable Saison noch gefeiert, wenn die Klasse gehalten wurde.
Trotzdem haben Sie dem HSV häufiger attestiert, den besten Kader der Zweiten Liga zu haben. Was lief also schief?
Die Ursachen aus 800 Kilometern Entfernung zu beurteilen, ist schwierig. Dass allerdings immer die Situation richtig beurteilt und die richtigen Schlüsse gezogen wurden, darf man nach fünf Jahren in der Zweitklassigkeit bezweifeln.
Magath: Dass der Aufstieg nicht geklappt hat, könnte mit der Führung zu tun haben
Sie hatten bereits 2014, als Sie einmal mit dem HSV-Aufsichtsrat über ein Engagement verhandelt haben, die fehlende Einigkeit in der Führung angeprangert ...
... und wenn der HSV in den vergangenen fünf Jahren stets mit die beste Mannschaft stellt, es aber nie reicht, um aufzusteigen, ist das für mich ein klares Indiz, dass es etwas mit der Führung zu tun hat.
Als Sie mit Hertha 2022 dem HSV den Aufstieg vermasselt haben, sah man in Ihrem Gesicht kaum Freude. Wie kommt es, dass Sie dem Verein immer noch so wohlgesonnen sind? Schließlich gab es ja mehrere vergebliche Anläufe, Sie zu verpflichten.
Ich war dreimal in Gesprächen mit den Verantwortlichen. Der HSV ist eben mein Verein. Hier habe ich meine schönste und erfolgreichste Zeit als Spieler verlebt.
Sie dachten sogar mal an einen Anteilskauf.
Das stimmt, allerdings würde ich nie mit einem bescheidenen Anteil in den HSV investieren, ohne eine Ahnung zu haben, wer was entscheidet. So gerne habe ich den HSV dann doch nicht, dass ich mein Geld aufs Spiel setze.
Bei den Glasgow Rangers, am Wochenende der Testspielgegner des HSV, haben Sie auch investiert, als der Verein nur zweitklassig war. Beim HSV ist auch Luft nach oben ...
... das Potenzial ist vorhanden, aber ich habe das Gefühl, dass sich alle Beteiligten hier ausruhen auf diesem Potenzial.
Magath: Wir haben hart trainiert, wir hatten deshalb aber auch keine Verletzten
Noch einmal zu Ihrer geplatzten Rückkehr. Lag es auch daran, dass Sie nie das Gefühl hatten, Sie können gestalten, wie Sie das für richtig halten?
Ich glaube, es war eher umgekehrt. Viele hatten Angst davor, mit mir zu arbeiten.
Weil die Verantwortlichen Angst hatten, dass Sie alles alleine entscheiden wollen?
Das ist ja immer das Allerschönste. Ich habe mein ganzes Leben nichts anderes gemacht, als im Team gearbeitet.
War das auch ein Antrieb, ein Buch zu veröffentlichen, fühlen Sie sich missverstanden?
Es ist schon so, dass ich in meiner Tätigkeit als Trainer, Manager oder Vorstand oft nicht richtig beurteilt wurde. Wir leben heute in einer Marketingwelt. Manches wird in den Vordergrund gestellt wie die Medizinbälle, anderes weggelassen. Wenn wir einmal bei dem Beispiel bleiben während meiner Wolfsburger Zeit: Da wurde nur gesagt: Der Magath hat viel und hart trainiert, die Spieler waren fit. Aber niemand hat es in den Zusammenhang gebracht, dass wir keine Verletzten hatten. Eine Überbelastung kann es also nicht gegeben haben. Und nur am Konditionstraining kann es auch nicht gelegen haben, wenn wir uns am Ende der Saison 2008/2009 gegen 17 andere Bundesligisten durchsetzen und die Meisterschale hochhalten konnten.
Warum haben Sie Ihr Buch „Gegensätzliches“ genannt?
Ich glaube, dass viele Menschen Probleme mit mir haben, weil ich in gewisser Art und Weise gegensätzlich bin. Meine Mutter stammte aus Ostpreußen, mein Vater aus Puerto Rico. Das sind ja zwei Welten, und ich denke, dass diese beiden Welten auch in mir stecken.
Magath: Privat bin ich eher passiv, tendenziell träge, ein Chaot
In welchen Eigenschaften äußert sich diese innere Ambivalenz? Sie gelten ja im Fußball als Disziplinfanatiker.
Privat habe ich durchaus etwas Passives, Träges in mir, man kann auch sagen: Faules. Da kommt es schon mal vor, dass ich einen Fitnesslauf auf den nächsten Tag verschiebe.
Das überrascht jetzt aber schon.
Ich bin als Privatmensch auch eher unorganisiert, das hat mir früher Probleme bereitet, weil ich einfach nie in der Lage war, die Dinge richtig zu ordnen. Eigentlich bin ich ein Chaot. (lacht) Zum Glück haben mir viele Menschen in meiner Zeit als Spieler oder als Trainer geholfen.
Wie kommt es dann, dass Sie die Öffentlichkeit ganz anders kennt?
Wenn ich eine Aufgabe übernehme, bin ich mir meiner Pflicht bewusst, dann steht diese völlig im Vordergrund. So habe ich als Trainer darauf verzichtet, während der Saison Alkohol zu trinken, weil ich es nicht unbedingt für leistungsfördernd halte. Da bin ich gierig nach Erfolg und auch gnadenlos.
Aus diesen Worten klingt der Wettkampf-Mensch Felix Magath heraus. Aber die Machtverhältnisse im Fußball sind regelrecht zementiert. Wie sehr stört Sie das?
Natürlich haben wir keinen Wettbewerb mehr. Die Großen wie der FC Bayern in Deutschland bestimmen im Grunde das ganze Geschäft mit ihrem Geld, und alle anderen laufen hinterher. Die kriegen ja mindestens jedes Jahr 100 Millionen Euro mehr als fast alle Mannschaften. Ja, wo soll da ein Wettbewerb sein? Wo soll da jemand die Chance haben, da mitzuhalten? Das geht doch gar nicht! Wir verteilen immer nur von unten nach oben. Und jede neue Regel, die neu gemacht wird, dient dazu, dass die Großen noch größer werden, wie die jetzt erlaubten fünf Auswechslungen. Das kommt natürlich den Teams zugute, die nicht nur zwölf gleichwertige Spieler haben, sondern 20 wie zum Beispiel der FC Bayern.
Magath: Ich traue mir zu, noch einem Bundesligaverein helfen zu können
Noch etwas, was Sie vermutlich nerven wird: Sie forderten von Ihren Spielern immer 100 Prozent Einsatz und Leistung. Ist diese Bereitschaft überhaupt noch vorhanden in der jüngeren Generation?
Das ist ja ein gesellschaftliches Problem, dass man glaubt, mit immer weniger Leistungen immer mehr erreichen zu können. Insofern hat sich das auch im Fußball durchgesetzt.
Hätte Sie überhaupt noch Lust, so eine Mannschaft zu trainieren?
Wenn Sie sich meine Stationen als Trainer anschauen, sehen Sie, dass ich immer junge Spieler in meine Mannschaften integriert habe, zuletzt auch bei der Hertha in Berlin. Ich traue mir noch zu, einem Fußballverein helfen zu können. Wenn jemand auch dieser Meinung ist, bin ich immer gesprächsbereit. Ich bin noch nicht fertig.
Trotzdem schreiben Sie in dem Buch, dass Sie das Alter spüren.
Ich verliere an körperlicher Leistungsfähigkeit, was aber nichts mit meiner Arbeit als Trainer zu tun hat. Ein Trainer muss entsprechend seinem Charakter und seinen Fähigkeiten eine Mannschaft führen und entwickeln.
Sie sind also noch auf dem Markt.
Selbstverständlich, ich bin heiß!
Magath: Bundestrainer hat sich mit dem Experimentieren selbst ein Problem geschaffen
Uns würde da noch eine Mannschaft einfallen, die Hilfe gebrauchen könnte. Sehen Sie schwarz für das deutsche Team im Hinblick auf die EM 2024?
Dieses Thema hat zwei Aspekte. Auf der einen Seite sehe ich die Situation nicht so dramatisch, wie sie jetzt gemacht wird. Es gab die Verletzung von Manuel Neuer, der FC Bayern hatte im vergangenen halben Jahr Probleme, was bis in die Nationalmannschaft ausgestrahlt hat. Mit dem Experimentieren hat sich Hansi Flick außerdem selbst ein Problem geschaffen, weil die Mannschaft nicht funktioniert hat. Alleine die Rückkehr von Neuer wird die Mannschaft stabilisieren, die Bayern-Spieler werden in einer anderen Verfassung sein als im Frühjahr. Insofern bin ich, was die Europameisterschaft 2024 angeht, zuversichtlich. Wir haben von der Qualität her immer noch eine Mannschaft, die mit den Besten mithalten kann. Ob es für den Titel reicht, ist schwer zu sagen.
Und der andere Aspekt?
Wir haben, was die Ausbildung von jungen Spielern angeht, aus meiner Sicht in den vergangenen Jahren völlig falsch ausgebildet und auch unsere Identität verloren, die auf Tugenden wie Einsatz, Laufbereitschaft, Disziplin fußte. Wir haben viel Durchschnitt entwickelt. Und Durchschnitt wird keine Titel gewinnen.
Magath: Unsere Innenverteidiger haben ein Problem mit dem Verteidigen
Können Sie ein Beispiel geben, was falsch gelaufen ist?
Bei Innenverteidigern wurde sehr viel Wert darauf gelegt, dass sie technisch besser werden, Pässe diagonal auf die Flügel schlagen können. Aber das Verteidigen, das ist leider ein Problem geworden. Oder nehmen Sie die Mittelstürmer. Da ist es ganz wichtig, dass diese Spieler gegen den Ball arbeiten. Aber es wäre ja auch ganz schön, wenn der Angreifer immer noch gut schießen und ein Tor erzielen könnte.
Haben Sie sich mit Ihren Kindern auch mal Spieler aus Ihrer aktiven Zeit angeschaut?
Im Laufe der Jahre habe ich verinnerlicht, immer nach vorne zu schauen und nie zurück. Erst vor einem halben oder Dreivierteljahr habe ich mit zwei meiner Kinder das Europapokal-Halbfinale des HSV gegen Real Madrid geschaut (1980, 5:1 nach 0:2 im Hinspiel). Weil wir gerade über Fußball gesprochen hatten, wollte ich ihnen nur einmal beweisen, dass man nicht nur quer spielen kann, wie das heute anscheinend gemacht werden muss. Sondern, dass man den Ball auch nach vorne spielen kann.