Hamburg. Durch Neuzugang Van der Brempt kommt Bewegung in die Anordnung der Defensive. Manche Profis werden noch gehen.
Wie weit Theorie und Praxis manchmal voneinander entfernt sind, weiß jetzt auch Ignace Van der Brempt. Der neue Rechtsverteidiger des HSV hatte am Donnerstag bei einer rund einstündigen Videositzung aufmerksam zugehört, wie er sich denn nun bei Trainer Tim Walter im für Abwehrspieler komplizierten Spielaufbau zu verhalten habe. Doch bei seiner ersten Szene auf dem Trainingsplatz dribbelte er in eine Pressingfalle, anstatt den freien Mann zu suchen, und schon landete der Ball im leeren Tor.
„Gestern war ich ein bisschen verwirrt über unsere Spielweise, aber heute wurde mir einiges klar“, räumte Van der Brempt hinterher ein. Auch wenn sich der von Red Bull Salzburg bis Saisonende ausgeliehene 1,87-Meter-Schlaks selbst als „schnell lernfähig“ beschreibt, wird er bis zum Saisonstart in einer Woche gegen Schalke 04 (28. Juli) noch nicht alle Abläufe verinnerlicht haben. „Vielleicht brauche ich für diesen Prozess noch ein bis zwei Wochen.“
Wie HSV mit Van der Brempt spielt
Die Neuzugänge zu integrieren und bei den vielen in der Vorbereitung angeschlagenen Spielern genau abzuwägen, welche Belastung ihnen beim Auftaktspiel der Zweiten Liga zumutbar ist, scheint die momentan größte Aufgabe für Walter. Für Kapitän Sebastian Schonlau und Miro Muheim, die fast die komplette Vorbereitung verpasst haben und weiterhin nicht am Mannschaftstraining teilnehmen, kommt die Partie wohl zu früh.
Womöglich muss der HSV-Coach seine Spielweise anpassen, will er gegen Schalke nicht ins offene Messer laufen. Denn neben Van der Brempt würden nach aktuellem Stand die Neuzugänge Guilherme Ramos und der erst seit einer Woche mittrainierende Dennis Hadzikadunic die Innenverteidigung bilden. Drei Spieler, die auch zum Schalke-Spiel noch Nachholbedarf beim sogenannten Walter-Ball haben werden.
Den besten Eindruck hinterlässt Ramos, der sich trotz seiner Schulter-Operation in Zweikämpfen nicht schont und mit dem Ball immer wieder dynamisch in den freien Raum sprintet.
HSV: Überrascht Walter mit Mikelbrencis?
Wer den Part links hinten in der Viererkette übernehmen soll, ist dagegen offen. Da Muheim erst fit werden muss, deutet sich eine Überraschung an. Die Entscheidung scheint zwischen den beiden Rechtsverteidigern William Mikelbrencis und Moritz Heyer oder aber einem neuen, noch zu findenden Linksverteidiger getroffen werden. Gerüchte gibt es um Brightons Michal Karbownik, der bisher an Fortuna Düsseldorf verliehen war.
Wahrscheinlich wird Walter bereits am Sonnabend beim Testspiel gegen den schottischen Topclub Glasgow Rangers (16 Uhr) auf den Spieler setzen, der auch gegen Schalke beginnen soll, damit dieser sich auf der ungewohnten Position einspielen kann. Nach einer guten Vorbereitung scheint Mikelbrencis zurzeit die besten Karten zu haben.
„Wir erwarten auch, dass er nicht erst in den Folgejahren zum Einsatz kommt, sondern uns schon in dieser Saison weiterhelfen wird“, sagte Sportvorstand Jonas Boldt über Mikelbrencis – allerdings nicht erst vor Kurzem, sondern vor einem Jahr. Es folgte eine Saison zum Vergessen für den als Soforthilfe und für eine Ablöse von 700.000 Euro verpflichteten 19-Jährigen, der nun um seine Chance kämpft.
HSV-Abwehr sortiert sich neu durch Van der Brempt
Sollte er als Linksverteidiger in die Saison starten, dürfte sich eine bislang denkbare Leihe erledigt haben. Andere Spieler werden den HSV hingegen noch verlassen, auch wenn noch keiner seinen Wechselwunsch bei den Verantwortlichen hinterlegt hat.
Klar ist, dass sich durch Van der Brempts Verpflichtung die Hierarchie in der Defensive neu sortiert. So ist der bisherige Stammspieler Heyer in Zukunft nur noch als Allrounder gesetzt, der auf jeder Position in der Abwehr einspringen kann. Ob er sich mit dieser neuen Rolle zufrieden gibt oder eine neue Herausforderung sucht, dürfte vor allem von seinen tatsächlichen Spielminuten in den ersten Saisonspielen abhängen.
Wer verlässt den HSV noch?
Ohnehin werden einige Profis die ersten Spieltage abwarten, um zu sehen, ob und wie Walter mit ihnen plant. Mit 30 Spielern exklusive den zur Vereinssuche freigestellten Torwart Marko Johansson ist der Kader des HSV momentan zu groß.
Für einige Profis wird es an den Spieltagen nicht einmal für einen Platz auf der Ersatzbank reichen. Wer sich zu Saisonbeginn auf der Tribüne wiederfindet, dürfte den Kontakt zu seinem Berater suchen, um einen Wechsel zu forcieren.
Aktiv nahegelegt wird ein Abgang aber momentan keinem Spieler außer Johansson, denn der HSV hat mit Van der Brempts Verpflichtung sein Ziel erreicht, den Kader zu erweitern, um den Konkurrenzkampf zu fördern.
Wie Van der Brempt den HSV sieht
Auch wenn er Walters Spielidee noch verinnerlichen muss, haben die vielen Positionswechsel, die Profifußballdirektor Claus Costa in Videos präsentierte, seine Entscheidung erleichtert. „Mich hat überzeugt, dass mir meine Freiheiten auf dem Platz gelassen werden, denn ich mache gern mein eigenes Ding“, sagt Van der Brempt. „Es kommt meiner Spielweise entgegen, mit dem Ball ins Mittelfeld vorrücken zu dürfen, weil ich dort auch spielen kann.“
Dass er so positiv über die Spielweise des HSV spricht, ist nicht selbstverständlich. Es ist noch nicht einmal eine Woche her, da sah der 21-Jährige beim Testspielsieg seines Ex-Clubs Salzburg (4:1) gegen Hamburg, wie viel mit dieser Idee auch schiefgehen kann.
Van der Brempt, der die Partie am Spielfeldrand verfolgte und erst beim zweiten Test der Österreicher wenige Stunden später gegen den tschechischen Club 1. FC Slovácko (0:3) zum Einsatz kam, will das Ergebnis allerdings nicht überbewerten. „Ich bin mir sicher, dass die Partie anders ausgegangen wäre, wenn die HSV-Spieler kein zähes Trainingslager in den Knochen gehabt hätten. Man hat gesehen, dass sie müde waren.“
HSV-Profi Van der Brempt der schnellste Spieler?
So ganz überrascht war er dann aber doch nicht vom Spielverlauf, wenn ein hoch stehender Zweitligist auf Ballbesitz gegen die Pressingmaschine RB setzt. „Die Spielweise des HSV sah schon gut aus, aber eben auch etwas merkwürdig“, sagte Van der Brempt. „Ich kenne ja Salzburgs Stärken, also dachte ich mir schon, wie es ablaufen wird.“ Nach 23 Minuten stand es schon 0:3 aus Hamburger Sicht.
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Wie sehr ein Profi bei solchen Spielen Eigenwerbung betreiben kann, zeigte Van der Brempt vor einem halben Jahr, als er bei Salzburgs Test gegen den FC Bayern (4:4) ein Laufduell gegen Münchens pfeilschnellen Alphonso Davies für sich entschied. Eine Szene, die schon kurz nach seinem bekannt gewordenen Wechsel in Hamburg die Runde machte.
„Es ist mein Ziel, der schnellste Spieler der Zweiten Liga zu werden“, sagt Van der Brempt, der noch ein weiteres Ziel verfolgt. „Es wäre überragend, den Aufstieg mit den Fans zu feiern.“ In der Theorie wird es also eine gute Saison für den HSV. Und in der Praxis?