Hamburg. Mit Leonardo Garcia Posadas verliert der Club die nächste Nachwuchshoffnung. Wohin der 18-Jährige wechselt und warum.

Am Donnerstag machte Leonardo Garcia Posadas alles klar. Im Büro von Nachwuchskoordinator Lars Ricken unterschrieb der 18-Jährige einen Vertrag bei Borussia Dortmund. Ein großer Schritt für den gebürtigen Hamburger. Und ein großer Verlust für den HSV, für den damit endgültig Gewissheit herrschte, dass er eines seiner größten Talente verloren hat.

Die Hamburger hätten den Defensivspieler aus der U 19, den sie acht Jahre lang ausgebildet haben, gerne gehalten. Doch Garcia Posadas, vor zwei Jahren noch Kapitän der deutschen U-17-Nationalmannschaft, sah in Dortmund nun offenbar die besseren Perspektiven.

Garcia ist schon der vierte Abgang in der laufenden Saison

Damit muss der HSV in dieser Saison bereits das vierte Toptalent aus dem Nachwuchsleistungszentrum ziehen lassen. Zuvor hatten bereits Farid Alfa (17/Manchester City), Bilal Damala (16/RB Leipzig) und David Leal Costa (17/VfL Wolfsburg) bei namhaften Clubs unterschrieben. Die Gründe sind verschieden. Waren es bei Alfa familiäre, dürften es bei Leal Costa und Damala vor allem finanzielle sein.

Bei Garcia Posadas dagegen standen die Chancen auf eine Verlängerung lange gut. Doch offenbar ließ sich der HSV bei den Vertragsgesprächen zu lange Zeit. Oder war er sich zu sicher? Sein Management prüfte jedenfalls den Markt und stieß auf großes Interesse. Das Angebot des BVB soll finanziell nicht lukrativer gewesen sein. Doch die Dortmunder konnten dem Talent dem Vernehmen nach die bessere sportliche Perspektive aufzeigen.

Durchlässigkeit zu den Profis so groß wie lange nicht

Eine Begründung, die überrascht. Denn insbesondere unter Trainer Tim Walter ist die Durchlässigkeit zu den Profis so groß wie selten zuvor beim HSV. Alleine in dieser Saison haben mit Omar Megeed, Tom Sanne, Bent Andresen und Valon Zumberi gleich vier Talente aus dem eigenen Nachwuchs ihr Zweitligadebüt gegeben.

In der Saison zuvor waren es mit Anssi Suhonen, Faride Alidou und Elijah Krahn drei. Doch schon in jener Saison verlor der HSV zwei seiner Toptalente. Alidou zog es zu Eintracht Frankfurt, zudem schnappte sich Schalke 04 vor einem Jahr den damals erst 17 Jahre jungen Flügelstürmer Kelsey Owusu Aninkorah-Meisel – ebenfalls ablösefrei.

Finn Böhmker wechselt vom HSV zum VfB Stuttgart

„Der Markt im Nachwuchs ist aggressiver geworden“, sagt der frühere Sportdirektor Jens Todt im Gespräch mit dem Abendblatt. Todt ist mittlerweile selbst als Berater im Nachwuchsbereich aktiv. Gerade erst hat er Manuel Braun (18) zum ersten Profivertrag beim VfL Wolfsburg verholfen. Auch den Wechsel von HSV-U19-Torhüter Finn Böhmker zum VfB Stuttgart hat Todt vermittelt. Der Transfer des 18-Jährigen wurde am Donnerstag offiziell. Der HSV hätte den ehemaligen U-18-Torwart gerne behalten. Doch Böhmker, der gerade sein Abitur macht, wollte eine Luftveränderung. Beim VfB wird er ab Sommer zunächst in der U21 spielen und bei den Profis trainieren.

„Die Vereine versuchen die Talente immer früher an sich zu binden“, sagt Todt, der sich aus dem Kampf um die ganz jungen Spieler heraushält. „Ich gehe nicht ins Rennen, wenn sieben Agenturen um einen 14-Jährigen buhlen“, sagt Todt, der mit Todt Sports inzwischen seine eigene Berateragentur gegründet hat. Doch genau das passiert immer häufiger. Selbst Agenturen wie Stellar, eine der weltgrößten Spielerberaterfirmen, mischen im Kampf um die Toptalente mit. Auch Garcia Posadas wird von Stellar vertreten.

Die Entwicklung auf dem Transfermarkt der Talente sieht Jens Todt kritisch. „Es gibt ein großes Ringen und einen großen Verdrängungswettbewerb. Die Berater sind immer schneller dran“, sagt der 53-Jährige, der 2017 als HSV-Verantwortlicher mit Fiete Arp erlebte, wie schwer es ist, ein Toptalent zu halten, wenn große Summen geboten werden.

Tom Sannes Vertrag beim HSV läuft 2024 aus

Mit Tom Sanne hat sich im Volkspark zuletzt wieder ein Sturmtalent aus dem eigenen Nachwuchs in den Fokus gespielt. Der 18-Jährige, der im Hinspiel des HSV gegen den FC Magdeburg auf Anhieb sein erstes Profitor erzielte, trainierte am Donnerstag nach Wochen wieder bei Trainer Tim Walter.

Nach der schweren Verletzung von Stürmer Andras Nemeth (Knöchelbruch) hat Sanne nun wieder die Chance auf Einsätze. Ob er in Magdeburg wieder in den Profikader zurückkehrt, lässt Walter noch offen. „Ich bin mit Tom sehr zufrieden. Er war heute voller Energie. Bei der U21 und bei der U19 hat er sich noch mal nach vorne gearbeitet. Das ist unser Weg“, sagte der Chefcoach.

Damit Sannes Weg in Zukunft auch beim HSV weitergeht, sollte sich der HSV aber nicht allzu viel Zeit lassen mit seinen Vertragsgesprächen. Sannes Vertrag läuft im Sommer 2024 aus. Bislang gab es nach Abendblatt-Informationen noch keine Gespräche über die weitere Zukunft. Als U-19-Nationalspieler weckt der Angreifer Begehrlichkeiten.

HSV verliert nach der Saison seine halbe U21

Klar ist aber auch: Wer es in Sannes Alter nicht zu den Profis schafft, für den wird es schwer. Das zeigt das Beispiel der U21, die am Mittwochabend durch einen 2:1-Sieg gegen Phönix Lübeck sensationell die Tabellenführung in der Regionalliga Nord übernommen hat. Nachwuchsdirektor Horst Hrubesch und Sportvorstand Jonas Boldt dürften sich allmählich fragen, ob es die richtige Entscheidung war, nicht für die Dritte Liga zu melden. Denn somit verliert der Club nach der Saison einen Großteil dieser Mannschaft.

Alle Spieler des Jahrgangs 2001, darunter Jonah Fabisch, Daouda Beleme, Leon Sommer, Maximilian Großer oder Bryan Hein, werden den HSV nach der Saison verlassen. Bei einem Aufstieg wären sie wohl alle geblieben. Aus finanziellen und strukturellen Gründen entschied sich der HSV aber gegen die Dritte Liga, obwohl er es zuvor anders kommunizierte.

Rund acht Millionen Euro zahlt der HSV in jedem Jahr für seine Nachwuchsarbeit. Die Abgänge der U-21-Spieler wird der Club vermutlich verschmerzen können. Der Verlust seiner besten U-19-Spieler wie Garcia Posadas – so viel ist sicher – wird dem HSV aber richtig weh tun.