Hamburg. Schon bei U-15-Spielen sind bis zu 30 Agenten dabei. Ein Blick hinter die Kulissen eines immer aggressiver werdenden Marktes.
Am Donnerstag gab es Großes zu vermelden: Der HSV hat auf dem Transfermarkt zugeschlagen. Jan-Luca Bugaj heißt die Neuverpflichtung, von der sich die HSV-Verantwortlichen in der Zukunft viel versprechen. Der torgefährliche Außenstürmer kommt von Eintracht Braunschweig.
Ein Foto mit HSV-Nachwuchs-Chefscout Benjamin Scherner, Bugaj und dessen Berater Haitham Obeyapwa machte bereits am Mittag bei Instagram die Runde. Scherner strahlte, Agent Obeyapwa hielt den nach oben gestreckten Daumen in die Kamera – und in der Mitte stand etwas schüchtern Hoffnungsträger Bugaj, 1,74 Meter klein, mit einem HSV-Hamburg-Shirt. Was bei dem Instagrampost fehlte, war Bugajs Alter: 16, seit diesem Donnerstag. Happy Birthday.
Lennart Müller betreut sechs Talente des HSV
„Die Spieler werden immer jünger“, sagt einer, der sich wie kaum ein anderer in Hamburg mit dem immer aggressiver werdenden Geschäft der Talente auskennt. Lennart Müller sitzt in der Redaktion des Abendblatts am Großen Burstah. Im Podcast „HSV – wir müssen reden“ will er Einblicke geben in ein Geschäft, das meist im Verborgenen liegt: das Geschäft mit den Träumen der Talente.
„Die Vereine haben den Fokus immer mehr auf den Nachwuchs gerichtet“, sagt Müller, der selbst den Fokus auf den Nachwuchs gerichtet hat. Müller ist Chef der Intersoccer DU Sport- und Eventmanagement GmbH & Co. KG mit Sitz in Bergisch Gladbach und in bester Lage in Hamburgs Innenstadt. Große Bleichen 21. Fünf Mitarbeiter, ein gutes Dutzend Spieler und ein Ziel: die besten Talente des Nordens für sich zu gewinnen.
„Wir wollen mit unseren Fußballern zusammen als Agentur wachsen“, sagt der 29-Jährige, der beim HSV gleich sechs Nachwuchsfußballer betreut. Sein vielversprechendster Mandant: Toptalent David Leal Costa, der allerdings im Sommer ablösefrei zum VfL Wolfsburg wechseln wird.
HSV-Talent Costa weckte „europaweites Interesse“
Costa, 17 Jahre alt, U-17-Nationalspieler, ist eine dieser heißen Aktien, die im überhitzten Talentemarkt hoch gehandelt werden. „Wieder Talent-Klau!“, titelte im Januar die „Bild“, als Müller Costas neuen Fünfjahresvertrag ausgehandelt hatte.
„Es gab europaweites Interesse. Natürlich geht es auch um das Finanzielle. Aber in erster Linie geht es bei so jungen Spielern um die beste sportliche Perspektive“, sagt der Berater, der dem Youngster sogar einen eigenen Ausrüstervertrag organisiert hat. Seitdem läuft Costa bei Adidas-Club HSV im Training mit Nike-Schuhen auf, was nicht jedem der Verantwortlichen gefällt. Costa und Müller gefällt’s. „Ich bin der festen Überzeugung, dass, sofern die Leistung und die Entwicklung des Spielers stimmen, dann auch das Geld für den Spieler und für uns stimmt“, sagt Müller.
Berater verdienen bis zwölf Prozent des Spielergehalts
Berater partizipieren in erster Linie vom Gehalt des Spielers. Üblicherweise werden acht bis zwölf Prozent des Brutto-Monatsgehalts gezahlt. Bei ganz jungen Fußballern ist das natürlich noch nicht so viel – deswegen gleicht die Vertretung der Talente einer Wette auf die Zukunft. Schafft ein Nachwuchskicker den Durchbruch und verdient sein Geld in der Ersten oder Zweiten Liga, lohnt sich auch das Engagement für den Berater. Schafft es das Talent nicht, gehen auch die Berater meist leer aus. Deswegen setzen viele Agenten auf Extrazahlungen bei Vertragsabschluss. Bei Minderjährigen ist das zwar gar nicht erlaubt, wird aber trotzdem so praktiziert. „Wir wissen alle, dass in diesem Markt vieles frei verhandelbar ist“, sagt Müller.
Obwohl man die Betreuung von Talenten mit einer Risikoanlage vergleichen kann, ist der Markt umkämpft. Bei einem U-15-Derby zwischen dem HSV und St. Pauli sitzen bis zu 30 Berater auf der Tribüne. „Man muss wissen, dass Berater kein geschützter Begriff ist“, sagt Müller. „Es gibt auch viele Halbtagsberater.“
Diese „Halbtagsberater“ sind es, die oft das große, schnelle Geld wittern – und damit die ganze Branche in Verruf bringen. Die Vereine haben sich längst daran gewöhnt, dass die meisten Talente in der U 15 bereits einen eigenen Agenten haben – sofern dieser tatsächlich die langfristige Perspektive der Nachwuchsfußballer und nicht das sofortige Geld im Blick hat.
Lennart Müller im HSV-Podcast:
Berater Müller zu Megeed-Wechsel: „Bin mit Omar im Reinen“
Platzhirsch unter den Beratern in Hamburg ist Thies Bliemeister, dessen Agentur Sports United vor zwei Jahren vom Weltmarktführer Stellar aufgekauft wurde. Die beeindruckenden Nummern nach dem Zusammenschluss: 676 Spieler mit einem Gesamtmarktwert von mehr als 1,5 Milliarden Euro. Zahlen, mit denen Müller und Co. natürlich nicht konkurrieren können, es aber trotzdem versuchen. „Natürlich habe ich ein Konkurrenzdenken gegenüber den anderen Beratern“, sagt der frühere Innenverteidiger, der zwei Jahre lang bei der U 21 des HSV unter Vertrag stand. Er setzt darauf, dass er Talenten eine „sehr viel persönlichere Betreuung“ garantieren könne als die Großagenturen.
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Das Argument zieht aber nicht immer. HSV-Toptalent Omar Megeed (17), der in der Hinrunde mit 16 Jahren zum jüngsten HSV-Profi aller Zeiten wurde und den Müller lange Zeit betreute, entschied sich trotz eines von ihm ausgehandelten Vertrags bei Borussia Mönchengladbach im Sommer, den Berater zu wechseln. Bliemeister und Stellar machten das Rennen, das angeblich sogar im Nachgang zu einem Handgemenge unter den Beratern geführt haben soll. „Es wurde viel geschrieben“, sagt Müller ein Dreivierteljahr später. „Ich bin mit Omar im Reinen und wünsche dem Jungen alles Gute.“
HSV will Vertrag mit Toptalent Garcia verlängern
Das wünscht er auch Stürmer Otto Stange (16). Noch so ein Toptalent, U-16-Nationalspieler. Auch an dem 16-Jährigen waren mehrere Berater – auch Müller – dran, aber auch bei ihm machte Bliemeister das Rennen. Genauso wie bei Leo Garcia (18), U-17-Nationalspieler. Auch der Sechser hatte schon mehrere Berater. Im Sommer läuft sein HSV-Vertrag aus, der nach Abendblatt-Informationen verlängert werden soll.
Das wohl größte Talent im HSV-Nachwuchs ist auch das jüngste: Saido Balde, 14 Jahre jung. Hat bereits einen eigenen Adidas-Vertrag, mutmaßlich Interessenten aus ganz Europa – und mit Nochi Hamasor natürlich auch schon einen eigenen Berater.
„Als Berater tragen wir eine hohe Verantwortung gegenüber den Spielern“, sagt Müller, der es begrüßt, dass es bald zu einer Neuauflage der Fifa-Lizenz für Spielervermittler kommen soll. „Wir müssen uns klarmachen, dass wir die Zukunft eines Heranwachsenden mitbestimmen.“
Doch Fußball ist und bleibt ein Geschäft. Und nicht nur HSV-Neuzugang Bugaj weiß, dass dieses Geschäft eben nicht erst mit der Volljährigkeit beginnt.