Hamburg. Der gesperrte Tim Walter verfolgte das 0:0 von der Tribüne aus. Sein Vertreter ärgerte sich über die Chancenverwertung des HSV.

Julian Hübner hat in seinem Leben schon allerhand gemacht. Der Co-Trainer des HSV war Totengräber in der Gemeinde Klingenmünster, er hat Nachtwachen in einer Psychiatrie in Rheinland-Pfalz geschoben und mehrere Jahre arbeitete er als Lehrer in der Drais- und Gemeinschaftsschule Karlsruhe sowie in der Sportschule Schöneck im Karlsruher Stadtteil Durlach. Die Rolle des Cheftrainers vor 57.000 Zuschauern im ausverkauften Volksparkstadion hatte der zweifache Familienvater allerdings noch nicht übernommen. Bis zum Sonnabend.

„Eigentlich war es gar nicht so anders als sonst. Ich stand einfach ein bisschen weiter vorne als gewöhnlich“, relativierte Hübner kurz nach dem 0:0 des HSV gegen Kiel, bei dem der Pädagoge seinen für ein Spiel gesperrten Chef Tim Walter an der Linie und auf der Bank vertreten musste. Ob er denn zumindest etwas aufgeregter als sonst gewesen sei?, fragte einer – und der 39-Jährige antwortete: „Vor jedem Elternabend war ich nervöser.“

HSV-Trainer Walter: „Auseinandergehauener Schreibtisch“

Ob Hübner wirklich so cool war, wie er behauptete, wird sein Geheimnis bleiben. Walter machte dagegen keinen Hehl daraus, dass er die ungewohnte Rollenverteilung kein zweites Mal braucht: „Ich möchte das nicht noch einmal erfahren“, gab der Chefcoach ehrlich zu, nachdem er die Partie aus einem kleinen Büro auf der Osttribüne neben der Polizeistation verfolgt hatte.

„Ich war zehnmal so aufgeregt wie normalerweise am Spielfeldrand. Auf der Tribüne ist man auf sich alleine gestellt. Du kannst nicht eingreifen, hast aber puren Stress. Bei den ganzen Chancen, die wir liegen gelassen hatten, habe ich den Schreibtisch auseinandergehauen“, sagte Walter, der dabei natürlich ein wenig geflunkert hat. Der besagte Tisch hat in Wahrheit die 90 Minuten ähnlich unbeschadet überstanden wie Walters Vertreter Hübner an der Linie.

HSV-Trainer Tim Walter muss das Spiel gegen Holstein Kiel von der Tribüne aus verfolgen.
HSV-Trainer Tim Walter muss das Spiel gegen Holstein Kiel von der Tribüne aus verfolgen. © Imago

Doch auch der 90-Minuten-Interims-Chef haderte mit der Chancenverwertung. 22:4 Torschüsse zählten die Statistiker, 17:3 Ecken, 8:3 Torchancen. Doch auf den beiden großen Anzeigentafeln flimmerte auch nach 95 Minuten die entscheidende und ärgerlichste Statistik: 0:0.

Walter machte seinem Vertreter Kompliment

„Wir hätten einen Sieg verdient gehabt. Wir haben es super verteidigt. Aber vorne haben wir uns leider nicht belohnt. Das ist super ärgerlich“, sagte Hübner. „Man muss das Ding einfach mal über die Linie drücken. Bis dahin war viel gut.“

Genauso sah es auch Chef Walter von der Tribüne aus. „Wir sind bei unseren Chancen leider momentan nicht zwingend genug. Trotzdem muss ich meiner Mannschaft und vor allem meinem Trainerteam ein großes Kompliment machen. Das war richtig gut, wie die mich vertreten haben.“

Weil Walter ab einer halben Stunde vor dem Anpfiff keinen Kontakt mehr zur Mannschaft und zum Trainerteam haben durfte, hatten er und seine Assistenten Hübner, Merlin Polzin und Filip Tapalovic die Mannschaftssitzung ausnahmsweise schon anderthalb Stunden vor dem Spiel abgehalten. Als sich die Spieler dann auf dem Rasen warm liefen, schaute Walter zunächst in der HSV-Loge bei den Aufsichtsräten und Anteilseignern vorbei, ehe er sich später in das Büro neben der Polizei zurückzog.

Einwechslungen wurden demokratisch entschieden

Dort musste der 47-Jährige die erste Schrecksekunde nach einer Viertelstunde überstehen, als Miro Muheim nach einem Foul von Lewis Holtby ausgewechselt werden musste – und er selbst keinen Einfluss auf die Einwechslung hatte. Rund 50 Meter Luftlinie weiter unten steckten Hübner, Polzin und Tapalovic die Köpfe zusammen und entschieden sich für Noah Katterbach als Muheim-Vertreter. „Entscheidungen wurden relativ demokratisch getroffen“, erläuterte Hübner später.

Am Sonntag genoss er dann seinen freien Tag und durfte sich trotz verpasstem Sieg über eines freuen: kein Vater und keine Mutter der HSV-Profis forderte nach dem Spiel einen Elternabend.