Hamburg. Der Ex-HSV-Trainer beförderte sich in Nürnberg selbst zum Notnagel. Die erste Reise führt ihn nach Hamburg. Eine Aktivität ist fest geplant.

Dieter Hecking ist gut gelaunt, als er am Mittwochvormittag in Nürnberg ans Telefon geht. „Moin, Hamburg“, sagt der 58-Jährige, dessen Dauergrinsen fast durch das Telefon zu hören ist. Er habe gerade ein richtig gutes Training absolviert, sagt der Clubberer.

Jetzt freue er sich auf die Reise am Freitag nach Hamburg und die Rückkehr am Sonnabend (13.30 Uhr) in den Volkspark. „57.000 Zuschauer, ein ausverkauftes Stadion, was will man mehr?“, fragt Hecking, der 2019/20 das Vergnügen hatte, als HSV-Coach zu arbeiten. „Jeder, der verliebt ist in den Fußball, der freut sich auf den Volkspark.“

Ex-HSV-Trainer Hecking findet in Nürnberg „in Angriffsmodus“ zurück

Dass sich Hecking seine erstmalige Trainerrückkehr in den Volkspark aber eigentlich ganz anders vorgestellt hat, das wird erst im weiteren Verlauf des Gesprächs deutlich. „Das war so natürlich nicht gewollt“, antwortet der frühere HSV-Coach ehrlich, als er gefragt wird, warum er nach zweieinhalb Jahren als Sportvorstand in der vergangenen Woche das Büro gegen den Trainingsplatz eingetauscht habe. „Ich habe anfangs mit der neuen Aufgabe ein wenig gefremdelt“, gibt er zu. „Aber ich spüre, dass ich so langsam wieder in den Angriffsmodus komme.“

Dieter Hecking, früherer Polizist, fünffacher Familienvater und zwischendurch mal selbst ernannter Anwärter auf das Amt des Bundestrainers, hat viel erlebt in seiner Karriere. Doch das, was er in der vergangenen Woche tun musste, war auch für ihn neu. Die Kurzform: Nach der 0:5-Niederlage gegen Heidenheim und in akuter Abstiegsgefahr machte Sportvorstand Hecking das, was ein Sportvorstand eben so macht: den Trainer entlassen. Schon wieder. Nach Robert Klauß, der nach dem zehnten Spieltag gehen musste, war Markus Weinzierl der zweite Club-Coach, den Hecking beurlaubte.

Hecking setzt gegen HSV auf Gyamerah

So weit, so schlecht, so normal. Ungewöhnlich war nur, wer auf Weinzierl folgte. Sportvorstand Hecking entschied sich für Trainer Hecking. Die „Nürnberger Nachrichten“ kommentierten süffisant: „Der Trainer Dieter Hecking muss jetzt versuchen, dem Sportvorstand Dieter Hecking den Job zu retten.“

Klar ist: Mit dieser Entscheidung setzt Hecking alles auf eine Karte – die Karte Hecking. Immerhin: Zum Start gab es ein 1:0 gegen Sandhausen. „Wenn das alles hier an die Wand gefahren wird, dann habe ich keine Zukunft als Sportvorstand in Nürnberg“, sagt Hecking am Telefon. „Da brauchen wir gar nicht lange rumeiern.“

Klartext Hecking. So kennt man ihn auch aus Hamburg. Beim HSV wollte Hecking nur einen Einjahresvertrag, stellte sich immer hinter Bakery Jatta („Er ist einer von uns“) und gönnte sich den einen oder anderen Ausflug in die Politik: „Die Demokratie in Deutschland braucht zwei starke Volksparteien. Es ist wichtig, dass wir die Angriffe von der AfD abwehren.“

Mit Jonas Boldt (l.) entwickelte Dieter Hecking ein spezielles Vertrauensverhältnis. „Er macht seine Sache gut“, sagt Hecking, der mit Boldt weiter telefonischen Kontakt pflegt.
Mit Jonas Boldt (l.) entwickelte Dieter Hecking ein spezielles Vertrauensverhältnis. „Er macht seine Sache gut“, sagt Hecking, der mit Boldt weiter telefonischen Kontakt pflegt. © WITTERS | Tim Groothuis

In Nürnberg geht es nun wieder vor allem um Fußball. Angriffe muss Hecking aber auch beim Club mehr als genug abwehren. Denn das in dieser Saison nicht alles so läuft, wie es vom Sportvorstand Hecking geplant war, kann auch der Trainer Hecking nicht verhehlen. Elf Spiele haben die Nürnberger bereits verloren, 32 Gegentore kassiert und gerade mal 18 Treffer erzielt – so wenige wie keine andere Zweitligamannschaft.

„Wir haben auch viel Pech gehabt“, sagt Hecking am Telefon. Zehn schwere Verletzungen in nur einer Saison, allein auf der Position des Linksverteidigers seien drei Profis mit Knieverletzungen ausgefallen. Nun müsse er dort gegen den HSV auf Jan Gyamerah setzen, der selbst einmal beim HSV gespielt hat – allerdings als Rechtsverteidiger. „Gyambo ist für uns schon die letzte Lösung“, gibt Hecking zu.

Hecking muss ohne „Ehepartner“ Bremser auskommen

Die allerletzte Lösung auf der Trainerposition ist auch Hecking selbst. Eigentlich hatte er nach seiner Demission als HSV-Coach ausgeschlossen, noch einmal auf die Trainerbank zurückzukehren. Doch Not macht bekanntlich erfinderisch. Also fragte Hecking in der vergangenen Woche bei seinem Ehepartner nach.

Nicht bei Ehefrau Kerstin, mit der er noch immer in Bad Nenndorf zusammenwohnt, wenn er nicht gerade in Nürnberg auf dem Trainingsplatz steht. Sondern bei seinem früheren Co-Trainer Dirk Bremser, den er immer scherzhaft als seinen Ehepartner bezeichnet hatte.

„Der Dirk ruft mich andauernd an. Der hilft mir ein wenig aus der Ferne“, sagt Hecking, der in seiner 20-jährigen Trainerkarriere nie ohne seinen Dauer-Co-Trainer an seiner Seite gearbeitet hat. Doch Bremser ist mittlerweile Assistenztrainer in Kiel – und Hecking muss in den verbleibenden drei Monaten bis Saisonende ohne ihn an seiner Seite auf dem Trainingsplatz auskommen.

Hecking will in Nürnberg Husarenritt bewältigen

„Nun ist es so, wie es ist“, sagt Hecking. Von frühmorgens bis circa 16 Uhr sei er Nürnbergs Trainer, danach wieder bis spät Abends Nürnbergs Sportvorstand. Und auch als Verantwortlicher hat Hecking derzeit keinen einfachen Job. Er glaube zwar fest an den Klassenerhalt, müsse aber auch das Horrorszenario Dritte Liga planen.

Ein Husarenritt. Die Schuldenlast hat sich im vergangenen Jahr von 13 auf 18,7 Millionen Euro erhöht, das Eigenkapital ist durch die Coronajahre weiter gesunken. „Die Finanzlage ist angespannt“, erklärte Finanzvorstand Niels Rossow auf der Jahreshauptversammlung im November. Ein Abstieg in die Dritte Liga – da sind sich alle in Nürnberg einig – würde für den den Club in einer Katastrophe enden.

Doch am Telefon will sich Hecking die gute Laune nicht nehmen lassen. „Wir werden die Klasse halten“, sagt er. Und meint das auch. Was danach passiert, würde man dann sehen. „Ich bin nicht Dieter-Hecking-geil“, sagt der Nun-wieder-Coach, der auch bei einer erfolgreichen Retteraktion ausschließt, noch ein weiteres Jahr auf der Trainerbank ranzuhängen.

Ähnliches hat Hecking zwar auch vor zweieinhalb Jahren gesagt – diesmal meint er es aber. Doch nirgendwo steht geschrieben, dass er die Zeit nicht auch genießen dürfe, bis seine Trainerkarriere ein zweites Mal vorbei ist. Er und seine Mannschaft steigen am Wochenende im Hotel Lindner am Tierpark Hagenbeck ab, dann werde er jedes einzelne Zootier, das er noch aus seiner HSV-Zeit kenne, besuchen gehen – und am Sonnabend ein Fußballspiel im ausverkauften Volkspark genießen. „Herrlich“, sagt Hecking.