Hamburg. Die früheren Trainer des HSV wagen eine Prognose und benennen, was den Hamburgern in der Rückrunde nicht passieren darf.

Ach, der HSV. Dieter Heckings Mix aus Stöhnen und Lachen kann man sogar durch das Telefon hören. „Es geht also wieder los, oder?“, fragt der 58-Jährige. Hecking sitzt in seinem Vorstandsbüro in Nürnberg und schaut aus dem Fenster zu, wie sich seine Mannschaft gerade auf den Rückrundenauftakt gegen den FC St. Pauli am Sonntag vorbereitet. So richtig hat ihn das Zweitliga-Fieber noch nicht wieder gepackt. Der DFB, die Taskforce Zukunft, die DFL, fehlende Strukturen, Hecking stöhnt. „Der Fußball bringt in dieser Form gerade keinen großen Spaß.“

Als der Wahl-Niedersachse aber hört, dass er ein wenig über den HSV philosophieren soll, ist der Spaßfaktor gleich wieder da. „Wenn der HSV eine konstante Rückrunde spielt und die Spieler gesund bleiben, dann schaffen es die Hamburger, dann steigen sie auf.“ Wenn ..., ja, wenn ...

HSV startet den fünften Aufstiegsversuch

Zum fünften Mal startet der HSV den Versuch, die Rückkehr in die Bundesliga zu schaffen. Viermal stand der HSV zur Halbserie unter den Top drei, viermal haben es die Hamburger am Ende der Saison aber doch nicht geschafft. Nun folgt mit dem Rückrundenauftakt im heimischen Volkspark am Sonntag (13.30 Uhr/Sky) Versuch Nummer fünf.

„Der HSV hat auch deswegen gute Chancen, weil ich nicht glaube, dass die anderen Mannschaften eine größere Konstanz an den Tag legen“, sagt Hecking, der sich festlegt: Der HSV sei Favorit Nummer eins, dann Darmstadt und Heidenheim. Auch Hannover sei gut, Außenseiterchancen habe aus seiner Sicht Holstein Kiel.

Dieter Hecking kann es immer noch. Beim HSV reichte sein Einsatz nicht für den Aufstieg.
Dieter Hecking kann es immer noch. Beim HSV reichte sein Einsatz nicht für den Aufstieg. © Imago / Zink

Wie oft der HSV als Favorit scheiterte

Favorit Nummer eins war der HSV aber auch schon immer in der Zweiten Liga. Zum Beispiel unter Hecking. Saison 2019/20, als der HSV nach der Hinrunde auf dem zweiten Platz stand – und am Ende durch ein 1:5 am letzten Spieltag gegen Sandhausen sogar Rang drei verspielte.

Oder unter Daniel Thioune. Saison 2020/21, als der HSV im Winter Erster war – und auch nur Vierter wurde. Oder im ersten Zweitligajahr unter Hannes Wolf. Saison 2018/19. Wieder war der HSV im Winter Erster – und wieder wurde er auf Rang vier durchgereicht.

Vielfältige Gründe für den regelmäßigen Absturz des HSV

Wolf sitzt in seiner Dortmunder Wohnung und freut sich, dass er mal wieder über den HSV fachsimpeln darf. Der Coach ist mittlerweile beim Deutschen Fußball-Bund und trainiert die U-20-Nationalmannschaft. „Eine Rückrunde in Hamburg ist anders als eine Hinrunde“, philosophiert Wolf, der aber natürlich genau weiß, wovon er spricht.

Vor vier Jahren hatte der HSV mit 37 Zählern nach der Hinrunde so viele wie nie wieder danach – und scheiterte dennoch nach einem brutalen Absturz in der Rückrunde. Die Gründe sind vielfältig. Wolf atmet am Telefon einmal laut ein und aus. Damals habe der HSV großes Verletzungspech gehabt, Hee-Chan Hwang und Aaron Hunt hätten in der zweiten Saisonhälfte ja kaum noch gespielt.

Sonny Kittel kann dem HSV weiter beim Aufstiegsunternehmen helfen

„Ich drücke dem HSV die Daumen, dass besonders Daniel Heuer Fernandes und Robert Glatzel diesmal nichts passiert“, sagt Wolf. Und auch die Vertragskonstellationen seien in dieser Saison besser als zu seiner Zeit, sagt er. Es sei einfach nicht gut, mit zu vielen Spielern in die Rückrunde zu gehen, deren Zukunft über den Sommer hinaus offen ist. Unter ihm waren das vermeintliche Leistungsträger wie Lewis Holtby, Hwang, Orel Mangala, Pierre-Michel Lasogga und Gotoku Sakai.

Auch der aktuelle U-20-Nationaltrainer Hannes Wolf scheiterte beim HSV am Projekt Aufstieg.
Auch der aktuelle U-20-Nationaltrainer Hannes Wolf scheiterte beim HSV am Projekt Aufstieg. © Imago / Nordphoto

Im Hier und Jetzt ist eigentlich nur die Zukunft von Sonny Kittel ungeklärt. „Kittel ist doch weg, oder?“, fragt Wolf am Telefon. Die Antwort gibt der HSV per Pressestatement: Nein, ist er nicht. Im Gegenteil: Kittel bleibt. Aufstiegsversuch Nummer fünf folgt also mit Kittel, mit Trainer Tim Walter – und mal wieder mit jeder Menge Optimismus.

Bei HSV-Coach Walter kribbelt es schon wieder

„Das Kribbeln ist da. Wir freuen uns jetzt schon auf den Kessel, dass wir da alle wieder reindürfen“, sagt Walter am Freitagmittag. Wie immer vor den Spielen sitzt der Trainer im ersten Stock im Volksparkstadion im Presseraum, schaut von seinem Podest in die Runde – und strahlt.

„Wir wollen die Energie versprühen, die auch alle von uns erwarten. Wir haben extrem viel Vorfreude auf das Spiel gegen Braunschweig und auf diese Rückrunde.“

Nach den ersten 17 Spielen in dieser Saison steht der HSV dort, wo er in den viereinhalb Jahren in der Zweiten Liga eigentlich immer steht – nur nicht am Saisonende: auf einem Aufstiegsrang. Platz zwei, hinter Darmstadt, vor Heidenheim.

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HSV: Wolf prognostiziert knappen Fight

„Der HSV ist natürlich Favorit, aber nicht zu 90 Prozent, sondern eher zu 60 Prozent. Es wird bis zum Ende knapp werden“, sagt Walters Vor-vor-Vorgänger Wolf. Darmstadt spiele beeindruckend konstant – und Heidenheim würde sich meistens noch steigern.

Aber: „Wenn man es schafft, den Druck des Vereins, der Stadt, der Tradition in etwas Positives zu verwandeln“, sagt Wolf, „dann kann das auch eine Mannschaft durch eine komplette Rückrunde tragen.“

HSV scheitert zumeist am großen Druck

Den großen Druck in positive Energie umzuwandeln, das ist also die Kunst. Geschafft hat das beim HSV in der Zweiten Liga noch keiner. Nicht Christian Titz, der nur zehn Spiele in der Zweiten Liga überlebte. Nicht Nachfolger Wolf, der mit dem HSV am vorletzten Spieltag durch ein 1:4 in Paderborn den möglichen Aufstieg verspielte.

Auch nicht der erfahrene Hecking, den die Corona-Pause zum Verhängnis wurde. Und genauso wenig Thi­oune, der nach einer herausragenden Hinrunde in der Rückrunde die eigene Kabine verloren haben soll – und schließlich drei Spieltage vor Schluss entlassen wurde.

HSV ist in dieser Saison ohne namhafte Konkurrenz

Nun also Tim Walter, zum Zweiten. In der vergangenen Saison konnte man dem Hamburger keinen Vorwurf machen. Nach der Hinrunde war sein Team Dritter, genauso wie nach der Rückrunde. Die Großkaliber Schalke und Bremen stiegen auf – und der HSV scheiterte knapp an Hertha BSC in der Relegation.

Ein vergleichbares Szenario wäre in der aktuellen Saison zu wenig. Ohne Schwergewichte wie Werder und Schalke, dafür aber mit der bedingungslosen Unterstützung aus dem Vorstand soll nun der Aufstieg gelingen.

„Es tut dem HSV gut, dass der Trainer schon länger da ist, bleibt – und sich der Rückendeckung sicher sein kann“, sagt Dieter Hecking, der Jonas Boldt gerade erst beim DFL-Neujahrs­empfang in Frankfurt am Main getroffen hat. „Jonas kann nach seiner Verlängerung das Gesicht des HSV werden“, glaubt er. „Das gönne ich ihm sehr, deswegen wünsche ich ihm auch den Aufstieg.“

HSV-Trainer Walter: "Die ganze Stadt steht hinter uns"

Neujahresempfang kann der HSV auch. Am Donnerstagabend hatte der HSV sämtliche Partner ins Stadion in die Platin Lounge gebeten. Rund 200 kamen – und stimmten sich auf Braunschweig, die Rückrunde und den so sehnlichst erhofften Aufstieg ein. „Wenn man lange zusammen ist, dann entsteht da ein bestimmtes Vertrauensverhältnis. Nicht nur innerhalb des Teams, sondern mit der ganzen Stadt“, sagt Walter am Mittag danach.

„Das ganze Stadion, die ganze Stadt steht hinter uns. Das wird uns nach vorne pushen, auch wenn es mal ein Tief gibt. Für uns ist das eine Riesenwucht. Und für den Gegner kann das erdrückend sein“, sagt Walter, der im Hinblick auf den Start gegen Braunschweig nur noch zwei Wörter zu sagen hat: „Viel Spaß!“