Hamburg. Cristiano Ronaldo hat das Land am Persischen Golf auf die Vereinsfußball-Karte gepackt. Thomas Doll verrät, was den Reiz ausmacht.
Saudi-Arabien ist natürlich weniger für seine Gebirge als viel mehr für seine Wüste bekannt. Doch der Berg Jabal Sawda im Asir-Nationalpark misst immerhin über 3000 Meter. Riad liegt dagegen gerade einmal 599 Meter über dem Meeresspiegel. Schwindelerregend kann es aber auch ganz ohne Berge in der saudischen Hauptstadt, die auf einem Wüstenplateau im Zentrum des Landes zu finden ist, zugehen.
Saudi-Arabien will die WM 2030 ausrichten
Verantwortlich dafür ist Gipfelstürmer Cristiano Ronaldo, der kurz vor dem Jahreswechsel einen Zweieinhalbjahresvertrag beim saudi-arabischen Club Al-Nassr unterzeichnet hat. Und die Zahlen, die seitdem kolportiert werden, lassen einen auch in der norddeutschen Tiefebene mit den klassischen Symptomen der Höhenkrankheit zurück. 200 Millionen soll der Portugiese von seinem neuen Club pro Spielzeit erhalten, insgesamt eine halbe Milliarde Euro – und die Rolle des Botschafters für eine Bewerbung des Golfstaates zur Ausrichtung der WM 2030. Achtung, akute Absturzgefahr!
Wer angesichts dieser Fantastilliarden-Summen von dem Fußballer noch erwartet, dass er seine neue Rolle nutzt und die prekäre Menschenrechtssituation und die politische Lage in dem erzkonservativen Königreich thematisiert, dem ist wahrscheinlich auch nicht mehr zu helfen. Wenn uns in all den politischen Irrungen und Wirrungen rund um die umstrittene Katar-WM eines gelehrt hat, dann, dass es im Fußball nur noch um drei Dinge geht: Um Geld. Um Geld. Und um Geld.
Über Sportswashing, also den Versuch, das Ansehen des eigenen Landes durch große Sportevents und bekannte Sport-Stars und deren positive Reputation in den Medien zu verbessern, wurde rund um die Wüsten-WM viel geschrieben und gesprochen. Doch was Katar kann, das kann Saudi-Arabien schon lange.
Gerade erst haben die Saudis den englischen Traditionsclub Newcastle United übernommen, seit einigen Jahren werden in Riad das italienische und das spanische Fußball-Supercup-Finale ausgetragen. Seit 2021 macht die Formel 1 Boxenstopp in dem Wüstenstaat auf der Arabischen Halbinsel, der staatliche Ölkonzern Aramco ist potenter Sponsor der Rennserie. Am Golf macht die Saudi Golf Championship mit Millionengagen der PGA-Tour Konkurrenz, der saudische Staatsfond PIF ist zahlungskräftiger Sponsor – und nun die wahrscheinliche Fußball-WM-Bewerbung und vor allem Ronaldo.
Wird HSV-Profi Kittel der 135. Legionär in Saudi-Arabien?
Besonders von dem Weltstar, der als erster Mensch die Marke von 250 Millionen Instagram-Fans geknackt hat, erhoffen sich die saudischen Strategen viel: Reputation, Image – und idealerweise einen Dominoeffekt, der die eher zweitklassige Saudi Professional League aufwerten und weitere Fußballer aus dem Ausland zu einem Wechsel bewegen soll. Derzeit spielen 134 Legionäre in dem Land zwischen dem Roten Meer und dem Persischen Golf, das größte Ausländerkontingent stellen mit 27 die Brasilianer.
Einziger Deutscher, der momentan bei einem saudischen Club unter Vertrag steht, ist der frühere Nationalspieler Amin Younes, der aber derzeit vom Ettifaq FC an den FC Utrecht verliehen ist. Doch seit einigen Tagen wird immer wieder spekuliert, dass es auch Marco Reus nach Saudi-Arabien ziehen könnte.
Die große Fußball-Weltlage hat jetzt sogar Auswirkungen auf die kleine Lage in der deutschen Zweiten Liga. So ist derzeit Hamburgs Sonny Kittel vom Training freigestellt, damit dessen umtriebiger Berater Alen Augustincic einen neuen Club für den dauerkniegeschädigten Routinier findet. Die USA wären ein mögliches Ziel, aber dorthin soll bereits im Sommer ein Wechsel nach dem zu genauen Medizincheck gescheitert sein. Polen wäre eine Option. Und vor allem: Saudi-Arabien.
Ex-HSV-Trainer Doll war bei Al-Hilal unter Vertrag
„Wenn man in einem gewissen Alter ist, dann muss man sich ganz genau überlegen, ob man aus finanziellen Gründen so einen Wechsel in Erwägung zieht“, sagt Thomas Doll, der ganz genau weiß, wovon er spricht. Der frühere HSV-Profi und -Trainer war 2011/12 beim saudischen Top-Club Al-Hilal unter Vertrag und war seinerzeit so etwas wie ein Pionier. Gerade einmal 74 Legionäre spielten zu der Zeit in Saudi-Arabien. „Natürlich waren schon damals die finanziellen Rahmenbedingungen wichtig. Man muss sich aber auch die weiteren Rahmenbedingungen ganz genau überlegen“, sagt Doll, der derzeit in Indonesien Persija Jakarta trainiert.
„Wenn man Familie hat, muss man sehr genau abwägen, was geht und was nicht geht“, sagt Doll, der derzeit ohne seine Frau und seine einjährige Tochter in Jakarta ist. Dass in Saudi-Arabien eine andere Kultur als in Europa herrsche, sei den meisten klar. Inwiefern aber auch das Alltagsleben anders sei, würden viele unterschätzen. „Es sind viele Kleinigkeiten, die man vor einem Engagement dort möglicherweise gar nicht berücksichtigt. Man kann zum Beispiel nicht von A nach B spazieren gehen. Zum einen wegen der Hitze. Aber zum anderen auch, weil es in Riad dafür gar nicht die Infrastruktur gibt“, sagt Doll. „Es gibt einfach keine Bürgersteige. Die Menschen fahren mit dem Auto.“
Ob Kittel bei einer möglichen Einigung in den kommenden Tagen mit der ganzen Familie nach Saudi-Arabien ziehen würde, ist noch offen. „Wir haben entschieden, dass die Bedingungen für ein kleines Kind hier nicht so optimal sind“, sagt Doll, der nur raten kann, sich vor einem Abenteuer im fernen Asien genau zu informieren. Er habe umgehend Kontakt mit der deutschen Botschaft aufgenommen. „Wichtig ist auch, dass man so schnell wie möglich seine eigenen vier Wände findet und nicht im Hotel gefangen ist.“
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Beim HSV weiß man noch nicht, ob Kittel tatsächlich in Saudi-Arabien unterkommt. Klar ist, dass der Mittelfeldmann vorerst freigestellt bleibt. Eine Freigabe für einen Wechsel ist aber nur möglich, wenn ein saudischer Club auch tatsächlich mindestens 500.000 Euro Ablöse bieten würde. Denn wenig überraschend geht es nicht nur für Kittel, sondern auch für den HSV vor allem um eines: ums Geld.