Hamburg/Westbevern. HSV-Fan Frank Niemann alias Smiley war mit der berühmten Fahne bei der WM und erklärt, weshalb er kein schlechtes Gewissen hat.

An diesem Mittwochabend wird Frank Niemann vor dem Fernseher sitzen. WM-Halbfinale. Frankreich gegen Marokko. Im fernen Al-Chaur. „Natürlich schaue ich das Spiel“, sagt Niemann, der von seinen Freunden wegen seines Dauerlächelns nur Smiley genannt wird, und der sich eigentlich nur über eines ärgert: dass er nicht live vor Ort ist.

Das hat zwei Gründe. Zum einen ist der HSV-Fan Postbote in Münster – und hat in der Vorweihnachtszeit besonders viel zu tun. Zum anderen hat aber vor allem die deutsche Nationalmannschaft Schuld. Denn der folgt Smiley eigentlich weltweit überallhin, auch nach Katar, auch in diesem Jahr. Mit vier Freunden war der 48-Jährige in das Emirat gereist, hatte Karten für alle Deutschland- und insgesamt für elf WM-Spiele. Doch nachdem die DFB-Auswahl bereits in der WM-Vorrunde ausgeschieden war, sind auch Smiley und Co. wieder aus der Wüste abgereist.

„Air Bäron“: HSV-Fan Smiley war erst nicht in WM-Stimmung

Fast auf den Tag einen Monat ist es her, als Niemann das letzte Mal mit dem Abendblatt über Katar gesprochen hatte. Treffpunkt war das Volksparkstadion, der HSV spielte gegen Sandhausen. Niemann, der wegen seiner „Air Bäron“-Fahne in der Szene bekannt ist wie ein bunter Hund, gab offen zu, dass er wenige Tage vor seinem geplanten Flug nach Katar noch nicht in WM-Stimmung sei.

„Natürlich macht man sich über all das, was da in den Medien berichtet wird, seine Gedanken“, sagte der HSV-Anhänger. Gerade erst war Jochen Breyers ZDF-Doku gezeigt worden, in der der WM-Botschafter Khalid Salman Homosexualität als „geistigen Schaden“ bezeichnet hatte. Smiley sagte, er wolle trotzdem fahren. Er sah traurig aus, als er das sagte. „Ich will mir den WM-Spaß aber nicht nehmen lassen.“

HSV-Fan Frank Niemann ist ein Fußballbesessener

Einen guten Monat später sitzt Niemann in seinem Wohnzimmer in Westbevern bei Münster und erklärt im Abendblatt-Podcast „HSV – wir müssen reden“ (kostenlos auf abendblatt.de/hsv-podcast), warum er denn mit seiner weltbekannten „Air Bäron“-Fahne gefahren ist. Smiley schwärmt von den Fans aus Argentinien, er redet über das Containerdorf in Al Wakrah, ein Fancamp für rund 20.000 Anhänger. 60 Euro die Nacht hätten sie bezahlt, jeweils zu zweit in einem Zimmer geschlafen. Alles sei gut organisiert gewesen, die Busse seien im Minutentakt gefahren.

Und die Menschenrechte? Arbeitsbedingungen? Die Bindendiskussion? Smiley guckt wieder ein wenig traurig. Er habe mit dem einen oder anderen Bauarbeiter das Gespräch gesucht, aber nicht wirklich viel erfahren. Die politische Diskussion habe er ohnehin nur am Rande verfolgt, ihm sei es um den Sport gegangen. „Ich habe mir für die Vergabe nichts zuschulden kommen lassen“, sagt Niemann. Anders als die Fifa, Katar, andere, die vielleicht die Hände aufgehalten hätten.

Man mag diese Worte ignorant finden. Ehrlich sind sie aber auch. Niemann ist ein Fußballbesessener. Ein Politiker ist er aber nicht. 1996 ist der Fußballmaniac erstmals mit seiner Fahne zu einem großen Turnier gefahren. Football’s coming home. Sechsmal mit dem Auto oder dem Bus nach London und Manchester, ein Deutschland-Spiel schauen, und wieder zurück. Bei der WM 2002 in Japan und Südkorea ging es zwölf Stunden mit dem Flieger nach Yokohama, er hat Deutschlands WM-Finalniederlage gegen Brasilien gesehen und ist nach insgesamt zwölf Stunden wieder zurückgereist.

Nach der WM ist vor der WM. In vier Jahren, bei der Weltmeisterschaft in den USA, Kanada und Mexiko, will Niemann auf jeden Fall wieder dabei sein. Aber auch eine WM 2030 in Saudi-Arabien würde ihn nicht abschrecken. „Wenn was Neues dabei ist, ist es immer gut“, sagt Niemann, dessen Reisepläne in den nächsten Wochen überschaubarer sind. Das nächste Ziel für ihn und seine Fahne: Hamburg. Am 29. Januar. Zum Zweitliga-Rückrundenauftakt gegen Braunschweig. Natürlich wird er auch das Spiel schauen.