Hamburg. Beim 2:3 gegen Magdeburg lassen die Hamburger erneut Punkte gegen einen Aufsteiger liegen. Liegt der Fehler im System?
Am Ende eines langen Nachmittags hatte Tim Walter noch etwas mitzuteilen. „Es gibt wichtigere Dinge im Fußball“, sagte der HSV-Trainer auf dem Podium des Presseraums im Volksparkstadion. „Mein Co-Trainer Julian Hübner ist heute Vater geworden. Das freut mich sehr. Herzlichen Glückwunsch zu Anton, Jule“, sagte Walter.
Als er zuvor über Fußball sprach, fielen ihm zunächst aber nur zwei Worte ein: „Scheiße momentan.“ Damit meinte der 46-Jährige den Sonntagnachmittag, der mit einer 2:3 (0:1)-Niederlage gegen den Aufsteiger FC Magdeburg endete.
HSV-Niederlage gegen Magdeburg: Walter sauer wie lange nicht
Zum anderen aber auch die vergangenen zwei Wochen, die mit dem 1:1 gegen den anderen Aufsteiger 1. FC Kaiserslautern begannen, sich mit der 0:3-Niederlage im Stadtderby beim FC St. Pauli und dem 0:4 im DFB-Pokal bei RB Leipzig fortsetzten und gegen Magdeburg ihren schmerzhaften Tiefpunkt fanden.
Walter war nach dem Spiel so sauer wie lange nicht. „Wenn ich 60 Minuten so fahrig auftrete, kann man nicht gewinnen“, sagte der Trainer. „Wir haben teilweise kläglich versagt in der Offensive. Wer diese Chancen nicht nutzt, kann kein Spiel gewinnen. Das habe ich der Mannschaft genauso im Kreis auch gesagt“, so Walter.
HSV bekommt sein System nicht installiert
Sein Gegenüber Christian Titz dagegen feierte rund vier Jahre nach seiner Entlassung als HSV-Trainer mit dem FCM die perfekte Rückkehr. Durch den überraschenden Auswärtssieg befreite sich Magdeburg aus den Abstiegsrängen. „Wir hatten das Spielglück auf unserer Seite. Der HSV hat unglaublich Druck gemacht“, sagte Titz nach einer verrückten Schlussphase, in der die Hamburger den Ball einfach nicht mehr über die Linie kriegten.
Nachwuchsstürmer Tom Sanne (18) hatte für den HSV mit seinem ersten Ballkontakt in seinem ersten Profispiel zwar noch einmal auf 2:3 verkürzt (90.+3), doch danach und davor scheiterte der HSV reihenweise an der Latte, dem Gegner oder sich selbst. 31:8 Torschüsse waren es am Ende. Aber das Endergebnis lautete 2:3.
HSV-Einzelkritik: Mikelbrencis mit guten Ansätzen – David war keine Hilfe
Zur Geschichte des Spiels gehört aber eben auch, dass dem HSV vor 55.305 Zuschauern im fast ausverkauften Volkspark – darunter 8000 lautstarke Gästefans – die erste Hälfte komplett missglückte. Die neu formierte Viererkette mit Rechtsverteidiger William Mikelbrencis (für den verletzten Moritz Heyer) und Innenverteidiger Jonas David (für den gesperrten Sebastian Schonlau) hatte große Probleme, das Spiel so sauber und kontrolliert aufzubauen, wie es der HSV für sein System benötigt.
Hinzu kam, dass die Offensivspieler ohne den verletzten Bakery Jatta (Bänderriss) und den zunächst geschonten Robert Glatzel (Rückenschmerzen) Probleme hatte, gefährlich vor das Tor zu kommen. Ransford Königsdörffer erzielte zwar das zwischenzeitliche 1:2 (58.), war zuvor als alleinige Spitze bei den wenigen Flanken aber zu selten in der Nähe des Balls. Da, wo sonst Glatzel steht. Da, wo Glatzel nach seiner Einwechslung stand.
Ex-HSV-Trainer Titz wählt ungewohnte Taktik
Doch da stand es eben schon 2:0 für Magdeburg durch die Tore von Mo El Hankouri (11.) und den starken Baris Atik (51.). Anders als erwartet setzte Trainer Titz beim HSV nicht auf seinen gewohnten Ballbesitzfußball mit einem hochstehenden Torwart, sondern auf ungewohnte Umschaltmomente.
Mit Atik und dem früheren HSV-Profi Moritz Kwarteng ließ Titz im Angriff mit zwei offensiven Mittelfeldspielern spielen, die der jungen HSV-Abwehr mit ihrer Spielfreude viele Probleme bereiteten. Titz erklärte seine ungewöhnliche Taktik: „Wir wollten den HSV nach außen lenken, um dort den Zugriff zu bekommen. Dafür mussten wir ihnen den Ball geben.“
HSV-Spiel von Mittelstürmer Glatzel abhängig
Der HSV wiederum machte zu viele Fehler im Spielaufbau wie vor dem 0:1, als Königsdörffer den Ball verlor. Über die Außen brachen die Hamburger zu selten durch – und wenn, dann war eben kein Glatzel da. Der Stürmer und Trainer Walter hatten nach dem Abschlusstraining lange diskutiert. „Im Nachhinein hätte ich vielleicht länger spielen können. Ich habe mich gut gefühlt“, sagte der Torjäger.
Gegen Magdeburg wurde deutlich, dass der HSV auf seinen Mittelstürmer angewiesen ist. Mit seiner Einwechslung nach 55 Minuten hatten die Hamburger plötzlich eine ganz andere Energie und eine andere Präsenz auf dem Platz.
Zwischenzeitlich sah es auch kurz so aus, als ob der HSV das Spiel noch drehen würde, als Magdeburgs Silas Gnaka nach einem durch Dominik Reimann abgewehrten Glatzel-Schuss den Ball ins eigene Netz beförderte. Doch nach einer Videoüberprüfung annullierte Schiedsrichter Harm Osmers das 2:2, weil Königsdörffer im Moment der Abwehraktion im Abseits stand, obwohl der Ball zuvor vom Gegner kam.
Die Erklärung: Seit dieser Saison wird darauf geachtet, dass es eine kontrollierte Aktion sein muss, wenn der Ball vom Gegner kommt. Das sei in diesem Fall nicht so gewesen. „Man kann das so bewerten. Im Sinne des Fußballs ist das nicht“, sagte Sportvorstand Jonas Boldt.
Genügend Chancen zum Ausgleich hatte der HSV trotzdem noch. Ob dieser Punkt am Ende der Saison zum Aufstieg fehlt, wird der Club erst im Mai wissen. Ärgern wird er sich in den kommenden Tagen aber noch einige Male.
HSV: Heuer Fernandes – Mikelbrencis (55. Benes), Vuskovic, David, Muheim – Meffert – Reis, Suhonen (55. Amaechi) – Kittel (90.+2 Sanne), Königsdörffer, Dompe (55. Glatzel).
Magdeburg: Reimann – Piccini, Elfadli, Gnaka – Bockhorn, Krempicki, Müller (83. Conde), Bell Bell – El Hankouri (60. Schuler) – Kwarteng (70. Rieckmann), Atik (83. Brünker).
Tore: 0:1 El Hankouri (11.), 0:2 Atik (51.), 1:2 Königsdorffer (58.), 1:3 Rieckmann (88.), 2:3 Sanne (90.+3).
Schiedsrichter: Osmers (Hannover).
Zuschauer: 55.304.
Gelbe Karten: Vuskovic (3) – Bell Bell (3), Schuler (2).
Statistik: Torschüsse: 31:8; Ecken: 11:1; Ballbesitz: 65:35 %; Zweikämpfe: 120:105.