Hannover. Der Matchwinner des HSV freut sich nach seinem fulminanten Solo über das „schönste Tor meiner Karriere“.
Tim Walter war heiser. Sehr heiser sogar. Der HSV-Trainer hatte seine Stimme mal wieder nicht geschont. 90 Minuten lang plus vier Minuten Nachspielzeit gab der 46-Jährige an der Seitenlinie verbal wie immer alles, obwohl er schon vor dem Nordderby des HSV bei Hannover 96 so klang, als hätte er beim Oktoberfest eine Maß zu viel getrunken. Da half auch der regelmäßige Schluck aus seiner Wasserflasche nicht viel.
Am Ende aber sollte sich Walters Aufwand lohnen. Im Spitzenspiel der beiden Spitzenclubs der Zweiten Liga verteidigte der HSV mit dem 2:1 (1:1) die Tabellenführung und baute die Serie von saisonübergreifend nun zehn Auswärtssiegen in Folge aus, davon acht in der Liga – absoluter Rekord in der Zweiten Bundesliga.
Der gelang, weil Ransford Königsdörffer in der Nachspielzeit allen davonlief und den späten Siegtreffer erzielte. Und auch Walter hatte noch die Kraft, nach dem Tor quer über den Platz zu sprinten. Der HSV bleibt auch nach dem zehnten Spieltag Tabellenführer. So viel stand am Freitagabend fest.
Tabellenspitze der 2. Bundesliga
1. Heidenheim 34 / 67:36 / 67
2. Darmstadt 98 34 / 50:33 / 67
3. HSV 34 / 70:45 / 66
4. Düsseldorf 34 / 60:43 / 58
5. FC St. Pauli 34 / 55:39 / 58
Königsdörffer: „Das schönste Tor meiner Karriere“
„Das war eine perfekte Woche für mich. Besser geht es nicht“, sagte Matchwinner Königsdörffer wenige Minuten später, als er über sein Tor sprach. Am Dienstagabend hatte er beim Sieg gegen Nicaragua sein Debüt für die Nationalmannschaft Ghanas gegeben.
Nur drei Tage später hatte er die Kraft, nach seinem Treffer mit 80 Meter Anlauf und einem perfekten Abschluss gleich weiter zu den HSV-Fans zu rennen. „Das hatte ich mir schon vor dem Spiel überlegt“, verriet der 21-Jährige. „Es war das schönste Tor meiner Karriere.“
HSV: Muheim leitet „richtiges Kacktor“ ein
Nach vier Minuten hatte es seinem heiseren Trainer aber das erste Mal die Sprache verschlagen, als Miro Muheim den Gastgebern das frühe 1:0 schenkte. Nach einem Pass von Torhüter Daniel Heuer Fernandes rutschte der Schweizer bei der Ballannahme zu Boden.
Sei Muroya konnte gar nicht anders, als das Geschenk anzunehmen und den Ball ins leere HSV-Tor zu schieben. „Das war ein richtiges Kacktor“, ärgerte sich Kapitän Sebastian Schonlau auch noch nach dem Abpfiff.
Freigeist Kittel durfte wieder ran
Nach seiner Toilettendenkpause gegen Fortuna Düsseldorf durfte Muheim überraschend wieder von Beginn an spielen. Während Sonny Kittel wie erwartet den verletzten Franzosen Jean-Luc Dompé ersetzte, musste Kittel-Kumpel Tim Leibold zurück auf die Bank.
„Sonny ist ein Freigeist. Er muss aber auch defensiv eine Grundordnung halten“, sagte Walter vor dem Spiel mit belegter Stimme.
Boldt schweigt und sieht den Muheim-Patzer
Gar nicht erst reden wollte Jonas Boldt. Der Sportvorstand sagte sein geplantes Interview bei Sky kurzfristig ab. Boldt hatte wenig Interesse, sich nach dem Rücktritt seines Vorstandskollegen Thomas Wüstefeld über die ungeklärten Fragen in der Clubführung zu äußern, zu denen auch die nach seiner eigenen Zukunft gehört.
Boldt, der die HSV Fußball AG in den kommenden Wochen als Alleinvorstand führen wird, sah auf der Tribüne der mit 49.000 Zuschauenden ausverkauften Heinz von Heiden Arena, wie sich Hannover 96 für das frühe Gastgeschenk der Hamburger zum 135. Geburtstag des HSV revanchierte.
Eine eigentlich harmlose Hereingabe von Moritz Heyer drückte Verteidiger Fabian Kunze in einer Form ins eigene Tor, wie er es in den nächsten 135 Versuchen vermutlich nicht noch einmal schaffen würde. Torhüter Ron-Robert Zieler war ohne Abwehrchance (15.).
Jatta treibt den HSV nach vorne
In der Folge spielte fast nur noch der HSV, der sich nach den Problemen in den ersten zehn Minuten deutlich steigerte. Angetrieben von Kittel und Bakery Jatta, der immer wieder in die Tiefe geschickt wurde, näherte sich HSV der Führung. Doch erst Kittel (13.), Glatzel (40./ 51./52.), Muheim (41.) und später Laszlo Bénes (65.) zielten allesamt ein wenig zu ungenau.
In der zweiten Halbzeit wurde es dann deutlich härter und hektischer. Die besseren Torchancen (17:3 Torschüsse für den HSV) ereigneten sich weiterhin vor dem Tor der Niedersachsen.
Kittel hätte in der 66. Minute seine gute Leistung mit einem Treffer krönen können, brauchte nach einer Jatta-Flanke aber zu lange und scheiterte letztlich an Zieler.
Hannover 96 gegen HSV – die Statistik
HSV dankt Königsdörffer: „Emotionen pur“
Von Hannover kam nicht mehr viel. Dafür kam der Auftritt des eingewechselten Königsdörffer. Zunächst traf er den Pfosten (86.) – und in der Nachspielzeit dann doch noch zum Sieg, als er sich bei einem Konter von niemandem stoppen ließ. „Ransford macht das Weltklasse, und das direkt vor unseren Fans. Das waren Emotionen pur“, sagte Glatzel.
Der HSV hat nun sieben Tage Zeit, um sich auf das nächste Heimspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern vorzubereiten. Und Walter bekommt ein paar Tage Erholung, um seine Stimme zu schonen. Im Volksparkstadion wird er seine Stimmkraft wieder brauchen. Das Stadion wird auch in einer Woche wieder ausverkauft sein.