Hamburg. In seiner alten Heimat Kiel steht er vor seinem 50. Spiel als HSV-Trainer. Ein Sieg würde der Führung ein wichtiges Signal senden.

Tim Walter stand im Regen. Weil seine Mannschaft den Trainer 90 Minuten zuvor im Regen stehen ließ. Mit 0:1 hatte der HSV gerade bei Holstein Kiel verloren und am 29. Spieltag vermeintlich die letzte Chance verspielt, noch einmal im Kampf um den Aufstieg in die Bundesliga einzugreifen. „Wenn wir keine Spiele gewinnen, brauchen wir nicht von Aufstieg zu reden“, sagte Walter im kalten Kieler Regen. Das Abendblatt schrieb: „Letztlich zählen auch für Walter die Ergebnisse. Und die fehlen dem HSV nun schon seit Wochen. Eine Entwicklung, von der Walter und Sportvorstand Jonas Boldt unermüdlich reden, ist nicht mehr zu erkennen.“ Die Zukunft von Walter war offen.

Nach zehn Monaten schien es so zu laufen, wie das Abendblatt bei der Verpflichtung des HSV-Trainers titelte: „Wagnis Walter“. Doch was nach dem Kiel-Spiel im April passierte, hätte vermutlich nicht einmal der Daueroptimist Walter für möglich gehalten. Die Hamburger gewannen fünf Spiele in Folge und auch noch das Relegationshinspiel bei Hertha BSC.

HSV News: Es reichte nicht zum Aufstieg

Auch wenn es im Rückspiel nicht zum Aufstieg reichte: Aus dem Wagnis Walter ist die Wiederauferstehung Walters geworden. Fast auf den Tag genau fünf Monate nach dem 0:1 in Kiel steht Walter nun wieder in Kiel vor seinem 50. Pflichtspiel als HSV-Trainer. Ausgerechnet an dem Ort, an dem 2018 seine Karriere als Profitrainer begann. Mit einem Sieg in seiner alten Heimat könnte Walter nun nicht nur die schwarze Serie – in acht Versuchen gab es in der Zweiten Liga noch keinen HSV-Sieg gegen die Störche – beenden.

Walter könnte mit dem neunten Auswärtssieg in Folge sogar den großen Ernst Happel beim persönlichen Punkteschnitt überholen. Dann hätte er mit dem HSV im Schnitt 1,86 Punkte pro Ligaspiel geholt. Natürlich sei bei allem Lob für Walter an dieser Stelle gesagt, dass Happel den HSV mit seinem Schnitt zu zwei Meisterschaften in der Bundesliga führte. Walter wiederum muss noch beweisen, ob seine Punkteausbeute am Ende reicht, um wieder in die Bundesliga zurückzukehren.

HSV News: Walters Vertrag soll verlängert werden

Sportvorstand Boldt aber ist von seinem Trainer in jedem Fall überzeugt und würde den im kommenden Sommer auslaufenden Vertrag des 46-Jährigen gerne verlängern. Vor zwei Wochen nahm Boldt daher nach Abendblatt-Informationen auch erneut Kontakt zu Walters Berater Olaf Meinking auf, der auch den gerade beim FC Chelsea entlassenen Thomas Tuchel betreut. Boldt und Meinking sollen sich über die Konditionen des neuen Kontrakts bereits einig sein.

Doch noch fehlt die Zustimmung des Aufsichtsrats. Und eine zeitnahe Sitzung des Kontrollgremiums, bei der es auch um einen neuen Vertrag für Boldt selbst gehen dürfte, ist aktuell nicht geplant. Zuletzt hieß es, dass zunächst das Budget neu definiert werden müsste. Dabei wäre eine Verlängerung mit Walter auch durch das nicht vollständig ausgeschöpfte Budget des Transfersommers durchaus möglich. Offenbar spielt ein Teil des Aufsichtsrats auf Zeit. Der Machtkampf innerhalb der Führungsebene schwelt nach wie vor.

Walter hält die Probleme von Spielern fern

Das bekommt auch die Mannschaft mit. Bislang ist es Walter aber gut gelungen, die Probleme in der HSV-Führung von den Spielern fernzuhalten. Die Kommunikation mit den Profis ist ohnehin das wohl größte Verdienst des HSV-Trainers. Die Spieler schätzen, dass Walter seiner Linie im Gegensatz zu vorherigen Trainern treu bleibt. Anders als oft behauptet, zeigt sich der Fußballlehrer auch offen für Systemanpassungen. So wie am vergangenen Sonnabend, als Walter beim 1:0 gegen Karlsruhe auf Hinweise seiner Videoanalysten in der Halbzeit erfolgreich die Positionierung seiner Abwehr veränderte.

Als großer Wendepunkt der Entwicklung gilt insbesondere die Woche nach dem bislang letzten Spiel in Kiel am 10. April. In dieser Phase kam es zum einen zum endgültigen Bruch zwischen Boldt und dem seit Sommer freigestellten Sportdirektor Michael Mutzel. Boldt versammelte wenige Tage nach der Niederlage in Kiel die Mannschaft in der Kabine und schwor sie noch einmal auf den gemeinsamen Weg mit dem Trainerteam ein.

„Ich hatte eine schöne Zeit in Kiel"

Walter schaffte die Wende. Und soll nun auch den langfristigen Weg des HSV begleiten. „Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich hier gerne Trainer bin. Ich freue mich, wenn nach dem 50. Spiel noch einige mehr dazukommen“, sagte Walter vor seinem Jubiläum als HSV-Trainer. Diese Zahl hatte zuletzt Markus Gisdol zwischen 2016 und 2018 erreicht (52).

Walter dürfte Gisdol in zwei Wochen überholen, genauso wie Happel in der Punktebilanz mit einem Sieg in Kiel. Dort hat Walter noch viele Freunde und Bekannte. „Ich hatte eine schöne Zeit in Kiel, weil der Verein mir sehr viel ermöglicht hat“, sagte Walter vor dem Wiedersehen. Dass der HSV gegen die Schleswig-Holsteiner so eine schlechte Bilanz hat, lag vor allem an ihm selbst. Vor vier Jahren verlor der HSV sein erstes Zweitligaspiel überhaupt gegen Kiel und Walter mit 0:3. Kurz vor Weihnachten gewann Holstein auch das Rückspiel gegen die Hamburger mit 3:1. Danach folgten fünf Unentschieden zwischen den beiden Clubs.

HSV News: Diesmal geht es um den Aufstieg

Von einem Angstgegner will Walter daher nichts wissen. „Wer mich kennt, der weiß: Ich habe vor niemandem Angst“, sagte der Chefcoach des HSV. Und kaum einer dürfte Walter in diesem Fall widersprechen. Diese Eigenschaft versucht der Trainer seinen Spielern seit 471 Tagen zu vermitteln. Die Phase der Entwicklung ist zwar nicht beendet, doch für den HSV geht es in dieser Saison primär um den Aufstieg. Und dafür braucht Walter Siege.

An diesem Freitag soll nun endlich der erste Sieg gegen Kiel gelingen. Schafft der HSV das, ist er nicht nur für mindestens eine Nacht Tabellenführer. Er würde auch dafür sorgen, dass die Vertragsverlängerung des Trainers auf der Prioritätenliste der Clubführung an Wichtigkeit gewinnt.

KSV: Dähne – Becker, Wahl, Erras, Sterner – Schulz, Sander – Bartels, Arp – Skrzybski – Wriedt.HSV: Heuer Fernandes – Heyer, Vuskovic, Schonlau, Muheim – Meffert – Reis, Kittel – Jatta, Glatzel, Dompé.