Hamburg. Traurig, berührend, aber auch fröhlich: Hamburg nahm Abschied vom Wahrzeichen Seeler. Es wurde sein letztes Heimspiel.
Wo sonst laute Musik aus den Lautsprechern schallt, wenn beide Mannschaften den Rasen vor dem Anpfiff betreten, herrschte Stille, als Joja Wendt mit dem 25-köpfigen Seemannschor Richtung Mittelkreis schritt. An diesem Mittwoch war alles anders. Um kurz nach 14 Uhr wurde hier keine Fußballpartie angepfiffen. Im Volksparkstadion sollte es ein letztes Heimspiel für Uwe Seeler geben. Seinen letzten Auftritt auf großer Bühne.
90 Minuten, das war die Zeiteinheit von Uwe Seeler als Fußballer. Dieses Mal genügten 60 Minuten plus Nachspielzeit, um viele schöne Erinnerungen wachzurufen, sein Lebenswerk zu ehren. Und vor allem der Familie Seeler Trost zu spenden, das war deutlich zu spüren.
Abschied von Uwe Seeler: Es war sein letztes Heimspiel
Wenn man Freud und Leid miteinander teile, wachse man zusammen, heißt es. Und genau dafür hatte sich die Familie Seeler entschieden. Statt die Trauerfeier für Seeler, der am 21. Juli im Alter von 85 Jahren gestorben war, wie bei früheren Ehrenbürgern Hamburgs üblich im Michel durchzuführen, wählten Ilka Seeler und ihre Kinder jenen Ort für die Gedenkveranstaltung, wo er sich Zeit seines Lebens am wohlsten gefühlt hat. Alle Hamburgerinnen und Hamburger sollten die Gelegenheit bekommen, Abschied zu nehmen.
Trauerfeier für Uwe Seeler war auch eine Premiere für Hamburg
So kam es zu einer Premiere. Noch nie hatte die Freie und Hansestadt Hamburg eine offizielle Trauerfeier in einem Stadion ausgerichtet. Aber es war rückblickend eine gute Wahl. Hätte Uwe Seeler irgendeine Möglichkeit gehabt, eine Liveübertragung vom Himmel zu organisieren und zusammen mit Fritz Walter und Helmut Rahn bei einem Gläschen Pils zuzuschauen, hätte er sich gefreut über das große Maß an Zuneigung, das ihm nach seinem Tod zuteilwurde.
Im Mittelkreis war ein schwarzes Podest für die Redner aufgebaut. Neben den Mikrofonen stand ein Steinway-Flügel. Eingerahmt wurde die schlicht gehaltene Bühne von vier Kränzen. Auf dem Rasen war Uwe Seeler in beiden Hälften in Aktion als riesiges Terraprint vom Bodenkünstler Martin Lichtenstern zu sehen, als Wendt und der Seemannschor das „Hammonia“-Lied anstimmten.
„Hamburg verliert mit Uwe Seeler ein Stück von sich selbst“, sagte Bürgermeister Peter Tschentscher (siehe auch Text unten). „Sein Name steht für Fairness und Teamgeist. Er verkörpert die besten und wichtigsten Werte, als Sportler und als Mensch.“ Als Identifikationsfigur habe er den Sport in Hamburg geprägt und Generationen junger Leute inspiriert. Während der Rede Tschentschers spendeten die Zuschauenden, neben den 1000 geladenen Gästen kamen noch rund 4000 Menschen in den Volkspark, häufig Applaus, vor allem, als die Rede auf die Familie von Uwe Seeler kam. Trost für die Hinterbliebenen zu spenden, das war allen Anwesenden ein dringendes Bedürfnis.
Abschied von Uwe Seeler: Viel Prominenz auf der Osttribüne
Auf der Osttribüne saß viel Prominenz, von Bundeskanzler Olaf Scholz, Aydan Özoguz, der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, über Daniel Günther (Ministerpräsident Schleswig-Holsteins) bis hin zu Bundestrainer Hansi Flick und DFB-Manager Oliver Bierhoff, Rudi Völler und vielen HSV-Größen.
Nach dem Seemannslied „La Paloma“ (Hans Albers) erinnerte Bernd Neuendorf, der Präsident des Deutschen Fußall-Bundes, als zweiter Redner an die großen Taten Seelers im Trikot der deutschen Nationalmannschaft, allem voran bei der Weltmeisterschaft 1966 mit der unglücklichen Finalniederlage gegen England. „Es mutet unwirklich und lächerlich an, dass Uwe Seeler im DFB-Trikot keinen Titel gewonnen hat“, sagte Neuendorf. „Aber die Wahrheit ist: Er brauchte keinen Titel, um zu einem Idol zu werden.“ Er hätte jede Trophäe verdient gehabt und sei dennoch einer der Größten des deutschen Fußballs gewesen. „Ich bin fest überzeugt: Den größten Titel kann man nicht gewinnen, den bekommt man verliehen, und zwar von den Menschen und den Fans.“
Und immer wieder "Uwe, Uwe"-Sprechchöre im Stadion
Neuendorf bekam viel Applaus für seine Worte, auch von der Loge, wo Ilka Seeler mit ihrer Familie die Trauerfeier verfolgte. Und immer wieder schallten „Uwe, Uwe“-Sprechchöre durchs Rund. Zu traurig sollte es dann doch nicht werden, dafür sorgte auch die Musikauswahl. Bei „An de Ecke steiht’n Jung mit’n Tüddelband“ (Heidi Kabel) sangen und klatschten die Zuschauer mit.
Seelers Familie hatte sich gewünscht, dass vom HSV Vorstand Jonas Boldt spricht, und als drittem Redner gelang es ihm, mit seinen persönlichen Erinnerungen treffend zu beschreiben, was den Menschen Uwe Seeler auszeichnete. Mit reichlich Respekt sei er, als Funktionär von Bayer Leverkusen, das erste Mal vor gut zehn Jahren Uwe Seeler begegnet, als es darum ging, Enkel Levin nach Leverkusen zu locken. „Doch Uwe war wie immer, ehrlich und locker. Und nachdem er mir ein Bier und den Platz neben sich angeboten hatte, waren seine Worte: „Ihr meint es ernst mit dem Jungen, das ist mir wichtig.“
Was seine Bedeutung für den HSV betrifft, so genügten Boldt nur wenige Sätze: „Uwe Seeler war, ist und wird für immer der größte HSVer aller Zeiten sein!“ (siehe auch Text auf der nächsten Seite).
Oliver "Olli" Dittrich: das Herz in die Hose gerutscht
Gespannt warteten alle nach dem Lied „Uwe Seeler – du bist einer von uns“ (Fred Fonda) dann auf die abschließende Rede von Oliver „Olli“ Dittrich. Zu Beginn gab der Entertainer zu, dass ihm das Herz in die Hose gerutscht sei, als ihn Uwe Seelers Schwiegersohn Mete Öztunali um einen Wortbeitrag bat: „Ich dachte, das ist so groß, das schaffst du nicht. Wie soll ich mich da würdig erweisen?“
- Abschied von Seeler: „Uwe war einer von uns – nur besser“
- Tschentscher: „Hamburg verliert ein Stück von sich selbst“
- 1976: Als das Fußballidol auch als Tennisspieler begeisterte
Doch auch er fand – wie seine Vorredner – den richtigen, würdevollen Ton, wenn auch ganz anders, als viele vermutet hatten. Dittrich erzählte noch einmal seine Anekdote, wie er 1965 für den verletzten Uwe Seeler eingewechselt wurde und das Siegtor erzielte – natürlich nur im Traum. Ihn weckte ein Rumpeln – er hatte mit seinen Uwe-Seeler-Fußballschuhen, die er gerne auch mal nachts trug, im Schlaf ein Regal zerlegt.
„Uwe Seeler hinterlässt eine große Lücke“, fuhr Dittrich dann ernsthaft fort. „Als ich von seinem Tod erfuhr, musste ich für einen kurzen Moment an 2014 denken, als meine Eltern gestorben sind. Und ich dachte: Jetzt bist du ganz alleine.“ Trost spendete ihm der Gedanke, dass er wisse, dass Uwe Seeler von oben herunterschauen würde: „Du halt die Hand über Hamburg, über den HSV und deine treuen Fans. Und vor allem über das Allerliebste, deine Familie. Du wirst immer in unserem Herzen sein, Ruhe in Frieden, lieber Uwe.“
Abschied von Uwe Seeler: "In Hamburg sagt man Tschüss"
Mit „In Hamburg sagt man Tschüss“, bei dem Joja Wendt die Zuschauer erfolgreich zum Mitsingen animierte, endete die Trauerfeier. Während sich die Ehrengäste zu einem Empfang zurückzogen, schallte noch ein letztes Mal „Uwe Seeler, du bist der beste Mann“ durchs Stadion.
Ein perfekter Abschluss einer würdevollen Veranstaltung, in der auch mal gelacht werden durfte, ganz so, wie es sich Uwe Seeler gewünscht hätte. Dieser 10. August 2022 wird aber vor allem als trauriger Tag in Hamburgs Geschichte eingehen. Uwe Seeler ist nicht mehr unter uns.
Er wird fehlen.