Hamburg. Mit einem Spiel gegen eine Weltauswahl beendete das HSV-Idol 1972 seine Karriere. Abends sang Udo Jürgens als krönender Abschluss.

Kurz nach dem Abschiedsspiel für Franz Beckenbauer am 1. Juni 1982 im Volkspark­stadion klingelte der Post­bote bei Günter Schiefelbein in Alsterdorf und lieferte eine Kiste Champagner ab. Auf dem beiliegenden Zettel stand geschrieben: „Lieber Günter, erst jetzt kann ich so richtig beurteilen, was du damals für mich getan hast. Dein Uwe.

„Wenn ich das erzähle, läuft mir noch heute ein Schauer über den Rücken“, sagt Schiefelbein. Zehn Jahre nach seinem eigenen Abschiedsspiel am 1. Mai 1972 bedankte sich Seeler noch einmal bei demjenigen, der ihm einen unvergesslichen Tag ermöglicht hatte.

Seeler-Serie: Seelers Name lockte Stars an

1972 war Schiefelbein, damals 33, als jüngster Geschäftsführer der Bundesliga beim HSV aktiv und musste so ziemlich alles rund um den großen Tag regeln. Der HSV sollte gegen eine Weltauswahl antreten, so lautete die Vorgabe. Bereits ein halbes Jahr vor dem 1. Mai fing Schiefelbein an, die großen Fußballstars jener Zeit zu kontaktieren. In einer Zeit ohne Internet oder Handys nicht immer so einfach. „Aber der Name Uwe Seeler öffnete mir alle Türen. Für Uwe komme ich gerne, war die Standardantwort.“

Es galt schließlich, eine Legende des Fußballs zu ehren. 43 Tore in 72 Länderspielen, Vizeweltmeister, Teilnehmer an vier Weltmeisterschaften. Für den HSV 267 Tore in 237 Oberliga-Spielen, 137 Treffer in 239 Bundesliga-Partien. Meister 1960, Pokalsieger 1963. Und vor allem: Stets dem HSV treu geblieben, sogar einer Millionen-Offerte von Inter Mailand widerstanden.

61.000 Zuschauer beim Abschiedsspiel im Volksparkstadion

Bis auf den Brasilianer Pelé, der aus Termingründen absagte, kamen sie alle: Franz Beckenbauer, Geld Müller, Karl-Heinz Schnellinger, der Portugiese Eusebio, der italienische Regisseur Gianni Rivera, George Best aus Nordirland und natürlich die Weltmeister aus England, Gordon Banks, Bobby Moore und Bobby Charlton. „Problematisch war es nur bei Rivera, der am Sonntag noch gespielt hatte. Für ihn mussten wir einen Privatflieger für einige Tausend Mark organisieren“, erinnert sich Schiefelbein. Der Rest flog Linie. Einquartiert wurden die Stars im Hotel Atlantic, wo auch die Gala nach dem Spiel (7:3 für die Weltauswahl – Ehrensache, dass Seeler das letzte Tor erzielen durfte) stattfinden sollte.

„Uwe, Uwe, Uwe“, hallte es um 17.52 Uhr ein allerletztes Mal durchs mit 61.000 Zuschauern ausverkaufte Volksparkstadion, als Schiedsrichter Horst Herden Seeler symbolisch die Rote Karte zeigte – Platzverweis auf Lebenszeit. Die Fans trugen ihn auf Schultern vom Platz.

Die Zuschauer trugen das HSV-Idol nach dem Abschiedsspiel vom Platz.
Die Zuschauer trugen das HSV-Idol nach dem Abschiedsspiel vom Platz. © picture alliance | dpa

Udo Jürgens als krönender Abschluss

Für den Abend hatte Seeler 400 Gäste ins Atlantic eingeladen, für das Showprogramm sorgten Dunja Rajter, Udo Jürgens, Roberto Blanco und die Les Hamphries Singers. „Ein absolutes Knalleraufgebot damals“, schwärmt Schiefelbein, „niemand hätte es für möglich gehalten, diese Stars nach Hamburg locken zu können.“ Noch dazu ohne eine Mark Gage. „Als Gala-Orchester hatten wir die Studiker, das war die einzige Band, die wir bezahlen mussten.“ Als problematisch erwies sich nur die Reihenfolge der Auftritte: „Jeder wollte als Letzter singen.“ Udo Jürgens machte schließlich das Rennen, trat nach Mitternacht auf und textete sein Lied „Vergiss die Liebe nicht“ zu diesem Anlass zu „Vergiss den Uwe nicht, sonst versäumst du deine schönsten Stunden“ um.

Uwe Seeler mit Udo Jürgens beim Bankett nach dem Abschiedsspiel.
Uwe Seeler mit Udo Jürgens beim Bankett nach dem Abschiedsspiel. © WITTERS | WilfriedWitters


Gesungen wurde auch sonst viel: Mit der George Martin’s Marching Band brachten einige HSV-Spieler wie Rudi Kargus, Manfred Kaltz oder Peter Nogly die Single „Das Abschiedslied für Uwe“ heraus. „Wir grüßen Uwe Seeler, den Dicken, der uns fehlt – wir bleiben stets am Ball, hier, heut und überall, das schulden wir Uwe Seeler, dem Dicken, unser’m Freund“, so fängt der Uwe-Seeler-Marsch nach der Melodie von „For He’s A Jolly Good Fellow“ an. Heute kaum noch vorstellbar – bei den Fans war der Song durchaus beliebt. „In der Hitparade im Radio sind wir immerhin von null auf Platz elf gestiegen“, sagt Schiefelbein.

„Es war eine herrliche Zeit“

Für seine prominenten Gäste hatte Seeler bei seiner Gala ein besonderes Präsent parat: eine goldene Einsteckuhr. Die Hamburger Sportjournalisten schenkten Uwe einen goldenen Füllfederhalter. „Uwe war einer der wenigen Größen im Fußball, nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt“, sagte der frühere Bundestrainer Sepp Herberger in seiner Rede „Er hat wie kein anderer die schärfste Bewachung durchbrochen und Tore erzielt, von denen man noch in Jahrzehnten schwärmen wird.“ Tosender Beifall.

Und Uwe? Der bedankte sich artig für alles, schrieb das Abendblatt in seinem Bericht über die Gala, und versprach: „Ich bleibe ganz sicher der, der ich war, und sage es ganz offen: Es war eine herrliche Zeit, in der ich Fußball spielte, und ich bedanke mich so sehr bei allen, die zu meinem Abschied nach Hamburg kamen.“

Uwe traf auch noch nach Abschiedsspiel

Bis in den frühen Morgen hinein wurde getanzt, gesungen, danach gab es den Fußballer Seeler nicht mehr. Oder doch nicht? Was wohl kaum noch einer erinnert: Nach dem großen Abschied im Volkspark lief er bis Saisonende noch in fünf Spielen für den HSV auf. Nur eine Woche nach dem offiziellen Abschied spielte er schon wieder beim TSV Sonthofen (5:2) und schoss das 2:0.

Drei Tage später traf er beim 5:2 in Kiel, dann kam er bei der „Trofeo Ciudad de Zaragoza“ in Spanien gegen Palmeiras São Paulo (2:2; 27.5.) und Real Saragossa (3:2; 28.5.) zum Einsatz. In Timmendorfer Strand erzielte er beim 2:4 gegen Odense noch einen Treffer (29. Juni), beim 4:2 gegen den TSV Westerland gelangen ihm am 30. Juni beim letzten HSV-Spiel vor 4000 Zuschauern noch einmal drei Tore.

Letztes Spiel gegen den VfB Stuttgart

Sein letztes Bundesligaspiel für den HSV bestritt Seeler übrigens am 22. April 1972 gegen den VfB Stuttgart, vor damals nur 9000 Zuschauern. Endstand, passend zur trostlosen Kulisse: 1:2. Seeler bemängelte danach die fehlende „innere Einstellung, die Bereitschaft zu kämpfen und sich zu quälen. Von dieser Bundesliga nehme ich leichter meinen Abschied.“

Uwe Seeler und sein HSV, das hieß auch ewige Treue. Einmal in seiner Karriere ging Seeler allerdings fremd und trug nicht das HSV-Trikot – allerdings unwissentlich, als er am 23. April 1978 für den Cork Celtic Football Club auflief.

Auf Seelers Spuren: Recherchehilfe aus Irland

Von diesem Auftritt war lange kein Fotobeweis auffindbar. Amtshilfe leistete schließlich der Irish Examiner mit Sitz in Cork. Der Redakteur beim Sports Desk konnte sich sofort an den German Hero „Juwi“ des World Cups von 1966 erinnern und gab dem Abendblatt hilfsbereit die Kontaktdaten des Kollegen des „picture desks“, der sich umgehend im Fotoarchiv auf die Suche machte.

Uwe Seeler 1978 in Aktion für den irischen Club Cork Celtic.
Uwe Seeler 1978 in Aktion für den irischen Club Cork Celtic. © HA | Irish Examiner File Picture

Kurz darauf kam dann die E-Mail-Antwort von Ciaran McCarthy mit zwei Bildern im Anhang. Eines zeigt Uwe Seeler in Aktion, das andere beim Schreiben von Autogrammen.

Beim Betrachten der Fotos wird klar, warum der damals 41 Jahre alte Seeler zunächst dachte, es handele sich um ein Freundschaftsspiel, um das ihn Adidas gebeten hatte, schließlich ist auf dem Trikot nur das Werbelogo des Sportartikelherstellers zu sehen, nicht aber das Emblem des Vereins. Ein weiteres Indiz: Auch sein früherer Mitspieler Franz-Josef „Bubi“ Hönig war mit von der Partie des irischen Meisters von 1974 gegen die Shamrock Rovers. Man wollte geschäftliche Bande pflegen, dachte sich Seeler. Dass es sich dann doch nicht um einen harmlosen Kick handelte, wurde Seeler klar, als ihm die Verteidiger in die Beine grätschten.

Was Seeler nicht wusste: Mittels einer Gastspielgenehmigung hatte sich Cork schon früher Alt-Stars ins Team geholt. Der Nordire George Best ließ sich 1975 – allerdings mit Geld – zu einer Stippvisite überreden. Auch der Engländer Geoff Hurst verbrachte 1976 einen Monat in Cork. Vor dem Spiel gegen die Shamrock Rovers hatte sich Cork Celtic vergeblich um einen Auftritt Seelers beim FAI-Cup-Spiel gegen Dundalk bemüht.

Zweimal traf Seeler ins Tor: Nach 57 Minuten mit einem Schuss aus 16 Metern. Zwei Minuten später bejubelten die Zuschauer den zweiten Treffer per Fallrückzieher vom Strafraumrand. Dummerweise hatten die Rovers bis zur Torshow Seeler bereits dreimal getroffen und kamen zu drei weiteren Toren. Endstand: 2:6. Sechs Jahre, nachdem er seinen Abschied groß im Volksparkstadion gefeiert hatte, kamen so noch zwei Pflichtspieltore dazu.