Hamburg. Der HSV-Torjäger hatte eine eigene Tankstelle, arbeitete als Handelsvertreter und machte Ausflüge in die Modewelt. Über seine Karriere.
Uwe Seeler war als Fußballer nicht nur für unendlich viele Tore, sondern auch für seinen leidenschaftlichen Einsatz bekannt. Hätte es auf dem Rasen Kilometergeld gegeben, dem HSV-Torjäger wäre bei jedem Spiel eine ordentliche Prämie sicher gewesen, denn „Mister Niemalsmüde“ stand nur bei der Seitenwahl still. „Den Kampfgeist hab ich von meinem Vater ,Old Erwin‘ geerbt“, erinnerte er sich stets mit einem gewissen Stolz, „und dieses ,niemals aufgeben‘ habe ich nie abgelegt.“
Kilometergeld ist ein gutes Stichwort für seinen Hauptberuf neben dem Fußball in den 60er-Jahren. Heute undenkbar: Mit dem Kicken alleine konnte Seeler seine Familie nicht ernähren. Während die Profis heute Millionengehälter kassieren, gab es für Seeler und Co. zu Oberligazeiten anfangs nur 320 Mark. Also zog es Seeler auch während der Saison jede Woche auf die Straßen Norddeutschlands.
Uwe Seeler fing 1961 bei Adidas an
Wer kennt diese kultige Szene nicht? Uwe Seeler sitzt am Steuer seines Mercedes und erzählt der Fernsehkamera: „Ich bin selbstständiger Handelsvertreter in Sportartikeln. Ich vertrete eine sehr große Sportschuhfabrik, außerdem eine Ballfabrik, Tischtennisartikel und Trikotagen sowie für Hamburg eine Schlafsackfabrik.“ Auch Ilka und Uwe Seeler konnten sich immer wieder darüber amüsieren, wenn sie die kleine Filmsequenz mal wieder im Fernsehen anschauen konnten.
1961 hatte Seeler auf Vermittlung des damaligen Bundestrainers Sepp Herberger bei Adidas angefangen. Die Verbindung war weit mehr als eine berufliche: Adidas-Gründer Adolf „Adi“ Dassler liebte seinen Uwe wie den eigenen Sohn. Und auch in seinem Beruf als Vertreter des Sportartikelherstellers zeichnete sich Seeler durch nie erlahmenden Einsatz aus. Kilometerleistung pro Jahr auf vier Rädern: mindestens 70.000.
Uwe Seeler gehörte zu den Besten
Sein Einsatzgebiet reichte von Hamburg bis Hannoversch-Münden im heutigen Landkreis Göttingen. Nach alter Vertretertradition hatte Seeler stets einen Musterkoffer und Auftragsblock im Kofferraum. Letzterer war immer gut gefüllt, wenn er wieder zu Hause eintraf.
Uwe gehörte, wie auf dem Platz, sehr schnell zu den Besten seiner Zunft. Dabei war die Konkurrenz groß: Max Lorenz, Dieter Zembski, Bernd Gersdorff, Lothar Ulsaß, Wolfgang Overath, Wolfgang Weber – Adidas holte viele Fußballgrößen ins Geschäft. Vor allen Dingen die Nordlichter Zembski und Lorenz entpuppten sich als pfiffige Verkäufer. Man organisierte sich bei sogenannten Regionalmessen in populären Gasthäusern. Hier schrieb es sich bei Speis und Trank mit einer gewissen Leichtigkeit. Kaum ein Auftrag kam ohne Lederball-Geschichten zustande.
„Das war eine einzige Katastrophe"
Um auch auf seinen Dienstreisen trainieren zu können, damit die Fitness nicht leidet, meldete sich Seeler anfangs noch bei Vereinen entlang seiner Routen an, was sich aber sehr schnell als keine gute Idee entpuppte. „Das war eine einzige Katastrophe, ich hatte überhaupt keine Ruhe und musste stundenlang Autogramme schreiben. Also habe ich später unterwegs heimlich trainiert.“
Die Popularität, gepaart mit seiner offenen, freundlichen Art, führte zu einem zweiten ungeahnten Problem: der übermäßigen Gastfreundschaft seiner Kunden, wie er einmal in der Talkshow von Markus Lanz erzählte. „Wenn ich ankam, hieß es: Ach, die Aufträge sind schon fertig, lass uns erst mal einen Kaffee trinken. So habe ich zu Beginn sicher 25 bis 30 Tassen am Tag getrunken, bis ich dann gesagt habe: Das geht auf Dauer nicht.“ Die Verbindung zu Adidas hielt fast ein ganzes Leben: Erst 2011 beendete Seeler offiziell nach 50 Jahren seine Tätigkeit als Vertreter und wurde dann Repräsentant.
1964 eröffnete Uwe Seeler eine Tankstelle
Doch Seeler traute sich auch auf andere Geschäftsfelder. Hätten Sie es gewusst? Am 14. Dezember 1964 eröffnete er eine Tankstelle im Hamburger Stadtteil Bramfeld an der Ecke Pezolddamm/Thomas-Mann-Straße, die seinen Namen trug. Wie es sich gehört, zapfte Seeler am ersten Abend selbst das Benzin für die Kunden. „Ich hatte damals von einer Tankstelle gehört, die zum Verkauf angeboten wurde. Ich war mutig, kaufte und verpachtete sie nach kurzer Zeit.“ Es blieb nur eine kleine Episode in seinem beruflichen Wirken neben dem Fußball. Seeler scherzte später: „Meine Benzinpreise waren einfach nicht hoch genug.“
Deutlich länger dauerte dagegen sein Ausflug in die Welt der Modemacher. „Der Mann, der auf dem grünen Rasen Pässe schießt wie Wilhelm Tell den Apfel, sieht nun darauf, dass sich die Männerwelt modisch und passend kleidet“, formulierte 1971 das Hamburger Abendblatt.“
„Was wir herausbringen, soll tragbar sein“
Zur Weihnachtszeit wurden viele Geschäfte mit Sakkos, Anzügen, Blazern, Hemden und Socken von der Firma „Uwe Seeler Moden“ versorgt. „Was wir herausbringen, soll tragbar sein“, sagte Seeler. Als seine Lieblingsfarbe nannte der Torjäger Blau: „Natürlich haben wir die Modefarben Lila, Pflaume und Negro berücksichtigt. Grau gibt’s bei mir aber nicht.“ Bevor die Mannschaft des HSV im Dezember zu einer Ostasienreise aufbrach, wurde sie mit taubenblauen Anzügen ausgestattet.
Mit modischem Seeler-Chic ging’s auf große Reise nach Hongkong, Djakarta und Tokio. Und als Seeler 1972 zum Abschied gegen eine Weltauswahl spielte, warb er auf der letzten Seite des Programmhefts für seine Mode: „Hallo Freunde, hier bin ich wieder! Zwar nicht im Fußball-Dress. Aber trotzdem in einer sportlichen Kleidung. So, wie ich sie gern trage.“ Bis in die 80er-Jahre brachte Seeler Jahr für Jahr neue Kollektionen heraus.
Seeler kassierte anfangs nur einen geringen Lohn
Während seines Wirkens als Unternehmer profitierte Seeler auch von den Grundlagen seiner kaufmännischen Ausbildung. Wir erinnern uns: 1952 hatte der damals 16-Jährige nach dem Abschluss der Volksschule (9. Klasse) eine Ausbildung in der Spedition Schier, Otten & Co. angefangen. Die Büros befanden sich zunächst an der Mönckebergstraße (wo heute das Hyatt-Hotel steht), später an der Brandstwiete in Hafennähe. In seiner Biografie „Danke, Fußball“ beschrieb Seeler die harte Hand seines Lehrherrn: „Meine Fußballkünste waren ihm vollkommen wurscht – jedenfalls tat er so.“
Sein karger Monatslohn im ersten Lehrjahr betrug übrigens nur 56 D-Mark. Im dritten Lehrjahr auch nur 76 D-Mark. Anfang 1955, als seine Abschlussprüfung anstand, hatte Seeler schon zwei Länderspiele hinter sich: das 1:3 gegen Frankreich im Oktober 1954 und das 1:3 im Wembley-Stadion gegen England.
Sein Pfeifen für Rasierwasser ist heute noch Kult
Da wir gerade in den frühen Jahren von Uwe Seeler sind: „Flötenheini“ – diesen Spitznamen hatte Mutter Anni einst Uwe Seeler verpasst, weil der kleine Buttje Uwe in dunklen Fluren Angst hatte und anfing zu pfeifen, also zu „flöten“. Sein Können als „Flötenheini“ bewies Seeler später in dem berühmt gewordenen Werbespot für Hattric. Seeler steht vor dem Spiegel und trällert „Im Frühtau zu Berge ...“, als er bemerkt, dass ihm das Rasierwasser ausgegangen ist. Kein Problem für Uwe, der sofort eine unbenutzten Flakon aus dem Schrank holt und fröhlich weiterpfeift.
Sehr schön und auch bei YouTube zu bewundern ist seine Lakritz-Werbung für „Katinchen“ von 1973: „Der Geschmack von den Katinchen – Weltklasse!“, sagt Seeler lächelnd in die Kamera.
Seeler auch für Westfalia im Einsatz
Fast genauso kultig ist Seelers mehrteiliger Einsatz für das Werkzeugunternehmen Westfalia. In einer Episode heißt es: „Nicht nur im Fußball weiß Uns Uwe, wo der Hammer hängt.“ Neben sich hat Seeler (im rosafarbenen Pullover auf dem Campingplatz an der See) einen Werkzeugkoffer stehen, auf dem steht: „Diese Werkzeugkiste gehört Uns Uwe.“
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Ob für Energieversorger Haniel oder den Medienkonzern AOL, die Liste der Firmen, für die Seeler im Laufe seines Lebens geworben ist lang. Als Testimonial der PSD Bank Nord drehte die HSV-Legende sogar einen Spot im Millerntor-Stadion mit St.-Pauli-Spielern.
Uwe Seeler wollte eigentlich Schlachter werden
Nur eine schöne Erfahrung blieben seine „Nebenjobs“ in die Unterhaltungsbranche. 1972 hatte er eine kurze Sprechrolle in der Komödie „Willi wird das Kind schon schaukeln“ mit Heinz Erhardt, Barbara Schöne und Hannelore Elsner. Den Klamauk machte er mit, ohne ein Honorar zu verlangen. Legendär ist sein Auftritt 2005 bei der Sendereihe „Dittsche“ von Olli Dittrich. 2016 tauchte er sogar in einem Video der Hip-Hop-Band Beginner (mit Jan Delay) auf. Und auch als ihn die Band Abschlach 2021 für das offizielle Video zu dem Lied „Wir sind der HSV“ anfragte, machte „Uns Uwe“ im hohen Alter bereitwillig den Spaß mit.
Eigentlich blieb unterm Strich nur sein erster Berufswunsch unerfüllt: Schlachter. Seiner Vorliebe für Knackwürste frönte er dagegen bis an sein Lebensende.
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