Hamburg. Neben dem Coach des Lokalrivalen sehen auch andere Experten das Walter-Team als Aufstiegsfavoriten. Doch reicht die Qualität?
Die neue Zweitliga-Saison hat noch nicht einmal begonnen, da hat der HSV bereits die absolute Favoritenrolle für den Bundesliga-Aufstieg aufgedrückt bekommen. "Ich glaube, dass unser Stadtnachbar wirklich sehr gut aufgestellt ist. Die haben es ja schon ganz klar bekannt gegeben, dass sie unbedingt aufsteigen wollen. Das sehe ich auch als realistisch an", erklärte Timo Schultz, Cheftrainer des Stadtrivalen FC St. Pauli.
Auch TV-Experte Torsten Mattuschka (41) glaubt, dass in Sachen Aufstieg kein Weg an der Mannschaft von Trainer Tim Walter (46) vorbeiführen wird. "Es ist das erste Mal, dass der HSV mit dem gleichen Trainer in eine neue Zweitliga-Saison geht. 80 Prozent des Kaders sind zusammengeblieben. Für mich ist der HSV der Top-Favorit. Die Qualität ist brutal. Daher steigen sie auf“, sagt Mattuschka bei einer Sky-Veranstaltung in Hamburg.
Blumige Worte für den HSV, doch viele Fans stellen sich dennoch die Frage: Ist der Kader wirklich aufstiegstauglich, oder muss noch dringend auf dem Transfermarkt nachgerüstet werden?
HSV News: Top-Etat in der Zweiten Liga
Bislang haben die Hamburger, die mit knapp 23 Millionen Euro den höchsten Personaletat der Zweiten Liga haben, vier Transfers getätigt. Neben Ersatztorhüter Matheo Raab (23, 1. FC Kaiserslautern) und Filip Bilbija (22, FC Ingolstadt), die beide ablösefrei verpflichtet wurden, tätigte der HSV auch zwei Transfers, die bislang zu den teuersten Wechseln in der Zweiten Liga zählen.
Für Mittelfeldspieler Laszlo Benes (24) überwiesen die Hamburger 1,8 Millionen Euro an Borussia Mönchengladbach. Teurer war im Bundesliga-Unterhaus niemand. Auch Ransford Yeboah Königsdörffer (20), der für 1,2 Millionen Euro von Dynamo Dresden verpflichtet wurde, ist unter den Top-Drei, was Ablösesummen betrifft. Doch Geld, das besang einst schon der ehemalige Stadionsprecher Lotto King Karl im Song "Hamburg, meine Perle", schießt keine Tore.
Die zehn teuersten Transfers des Sommer in der Zweiten Liga:
- 1. Laszlo Benes (von Mönchengladbach zum HSV) 1,8 Millionen Euro
- 2. David Nemeth (von Mainz 05 zum FC St. Pauli) 1,3 Millionen Euro
- 3. Ransford Königsdörffer (von Dresden zum HSV) 1,2 Millionen Euro
- 4. Christoph Daferner (von Dresden nach Nürnberg) 1 Million Euro
- 5. Kwadwo Duah (von St. Gallen zu Nürnberg) 700.000 Euro
- 6. Johannes Eggestein (von Antwerpen zu St. Pauli) 600.000 Euro
- 7. Derrick Köhn (von Tilburg zu Hannover) 500.000 Euro
- 8. Jan-Niklas Beste (von Werder zu Heidenheim) 350.000 Euro
- 9. Ron-Thorben Hoffmann (von Bayern zu Braunschweig) 300.000 Euro
- 10. Adrian Gryszkiewicz (von Zabrze nach Paderborn) 200.000 Euro
Der große Vorteil des HSV könnte sein, dass es – anders als in den vergangenen Jahren – keinen großen personellen Umbruch gibt. Die in der Vorsaison so starke Defensive mit Torhüter Daniel Heuer Fernandes (29), den Innenverteidigern Sebastian Schonlau (27) und Mario Vuskovic (20) sowie den Außenverteidigern Miro Muheim (24) und Moritz Heyer (27) steht. Auch Mittelfeldstratege Jonas Meffert (27) ist gesetzt.
Lediglich im Offensivbereich kommt es zu minimalen Veränderungen. Neben dem in der Vorbereitung starken Ludovit Reis (22) wird aller Voraussicht nach Neuzugang Benes agieren. Auf der rechten Außenbahn wird Königsdörffer den langzeitverletzten Bakery Jatta (24) vertreten. Zudem lauert Filip Bilbija im zentral offensiven Mittelfeld oder der Außenbahn auf seine Chance.
HSV setzt bei der Kaderbreite auf die Jugend
Bleibt die Stammelf von großen Verletzungen verschont, ist der HSV nominell am stärksten in der Liga besetzt. Doch auch bei den Hamburgern weiß man, dass eine Spielzeit nie ohne Blessuren und Sperren über die Bühne geht. Vor allem auf der Rechtsverteidiger-Position klafft nach dem Abgang von Josha Vagnoman (20) zum VfB Stuttgart eine Lücke. Aktuell hat der HSV keinen gelernten rechten Außenverteidiger im Aufgebot. Moritz Heyer, der in der Defensive alle Positionen ausfüllen kann, kann die Rolle auf gehobenem Zweitliga-Niveau übernehmen, ein langfristiger Ausfall wäre für Trainer Walter eine Katastrophe.
Das gilt derweil auch für den Sturm. 22-Tore-Stürmer Robert Glatzel (29) ist der einzige Torjäger mit Erfahrung beim HSV. Zwar könnten auch Königsdörffer, Bilbija oder Talent Robin Meißner (22) aushelfen, doch ein weiterer Stürmer würde den Hamburgern gut zu Gesicht stehen.
HSV auf dem Transfermarkt nur bedingt handlungsfähig
Das Problem: das liebe Geld. Weil der HSV dringend Geld für die nötige Stadionrenovierung braucht, ist Sportvorstand Jonas Boldt auf dem Transfermarkt daher nur bedingt handlungsfähig. Ob sich das bis zum 1. September, wenn das Wechselfenster schließt, ändert, ist derzeit nicht abzusehen. "Wir sind immer offen ,solange der Transfermarkt offen ist. Man kann immer etwas brauchen. Was soll ich mich aber jetzt darüber aufregen? Entweder kommt einer oder es kommt keiner. Fordern bringt nichts. Es ist ja kein Geld da, von daher kann man nichts kriegen, aber der Anspruch ist hier oben", sagte Walter.
Doch jammern will Trainer Walter darüber nicht. Er sieht es eher als Chance für die jungen Spieler, die bereits beim HSV unter Vertrag stehen. Mit Aaron Opoku (23), Ogechika Heil (21), Xavier Amaechi (21), Jonas David (22), Stephan Ambrosius (23) sowie den aktuell verletzten Anssi Suohnen (21, Wadenbeinbruch) und Elijah Krahn (18, Syndesmosebandriss) warten hungrige Spieler auf ihre Chance.
TV-Experte Lienen kritisiert HSV-Führung
Während auf dem Platz viel dafür spricht, dass der HSV bald wieder erstklassig ist, bleibt das fragile Umfeld ein großes Problem: Die Degradierung von Sportdirektor Michael Mutzel (42), die Probleme zwischen HSV-Vorstand Thomas Wüstefeld (53) und Sportvorstand Jonas Boldt.
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Alles Themen, die auch Einfluss auf den Fußball nehmen können. "Dass der HSV seit vielen Jahren nicht in der Ersten Liga spielt, hat nicht nur mit dem Trainer und dem Kader zu tun. Der Fisch stinkt immer vom Kopf", erklärt TV-Experte und ehemaliger St.-Pauli-Trainer Ewald Lienen (68) und sagt über die öffentliche Abrechnung von Boldt mit Mutzel: "Wenn ich so etwas mache, dann mache ich das unter vier Augen. Wenn ich das in aller Öffentlichkeit mache, dann ist das ein fatales Zeichen für die Kommunikationskultur innerhalb eines Vereins.“
Ob es für den Aufsteig im fünften Anlauf reicht und ob man die Vorschusslorbeeren der Konkurrenz rechtfertigen kann, wird man beim HSV am 28. Mai 2023 wissen, wenn die Partie am 34. Spieltag beim SV Sandhausen gegen 17.20 Uhr abgepfiffen wird. "Wir nehmen die Challenge an, der Favorit zu sein", sagt Walter voller Selbstvertrauen.