Er entwickelte PCR-Tests und kaufte Anteile von Kühne. Wüstefelds Pläne mit seinen Firmen und dem HSV sind schwer zu durchschauen.
- Thomas Wüstefeld gilt als schillernder Biotech-Unternehmer
- Was ihn wirklich bewogen hat HSV-Anteile zu erwerben, bleibt ein Geheimnis
- Thomas Wüstefeld kommt nicht bei allen gut an
Von der Comicfigur Lucky Luke ist bekannt, dass er schneller den Revolver zieht als sein eigener Schatten. Der Hamburger Biotech-Unternehmer, HSV-Investor und aktuelle Vorstand des Vereins, Thomas Wüstefeld (53), ist im wirklichen Leben ein ähnlich phänomenaler Mensch. Er hat Antworten, bevor klar ist, wo das Problem liegt. Das ist vielen nicht geheuer. Wüstefeld denkt voraus, schmiedet Allianzen. Und doch hat er sich als Novize im Profikicker-Business mittlerweile verdribbelt.
Das Wesen dieser sportlichen Unternehmung und Unterhaltung für Millionen war ihm fremd. In den HSV-Machtkämpfen zwischen dem Aufsichtsrat mit Marcell Jansen, Vorstand Jonas Boldt und Übungsleiter Tim Walter sowie seiner Profischar mischt nun eine neue Macht mit.
Über Jahrzehnte flogen Wüstefeld und sein Firmen-Konglomerat unter dem Radar öffentlicher Aufmerksamkeit. Nun hat eine Laune der faltenreichen Diva HSV ihn aus seinem Labor-Komplex nahe den Elbbrücken in das irrisierende Licht des Fußball-Universums geschossen. In einer Welt, die mit jedem Spiel, jeder Äußerung und jedem Gerücht nahezu perfekt ausgeleuchtet wird, fragen sich Experten und Fans: Wer ist eigentlich Thomas Wüstefeld?
Thomas Wüstefeld: Welche Rolle spielt er im Machtgefüge des HSV?
Selbst wenn man dieser Frage über Wochen nachgeht, bleiben wenige gesicherte Informationen. Einige sind zudem sehr volatil und schwanken wie die Leistung des HSV über eine Saison hinweg ohne Happy End.
Thomas Wüstefeld – und das ist unbestritten – gilt als schillernder Biotech-Unternehmer, der sich auf Nebenfeldern austobt, von denen der professionelle Fußball nur eines ist. Aus Kreisen rund um den Hamburger Hafen kommt der Beiname „Wüstentrieb“. Das hat mit einem Elan à la Daniel Düsentrieb zu tun, dem erfindungsreichen Ingenieur aus „Donald Duck“. Und mit Wüstefelds Drang, auch in den sandigen Golfstaaten ein Bein auf die Erde zu bringen. Für die Fußball-WM 2022 in Katar wollte er nach eigenen Angaben mit Partnern dort eine Fertigungsstätte für PCR-Tests aufbauen.
Anders als in Entenhausen geht es hier ganz real und gewinnversprechend um die Expansion seines Kerngeschäfts am Rande der größten Show der Welt. Daraus wurde bislang nichts.
Corona: sanaGroup produziert Antigen-Schnelltests und PCR-Tests
Die Corona-Pandemie hat aus den Familienunternehmen, die im Namen sanaGroup zusammengefasst sind, einen Big Player gemacht. Wie von anderen Firmen aus der Biotechnologie war Wüstefelds Wissen gefragter denn je. Er produzierte Antigen-Schnelltests, erfand den Corona-Nachweis per Lutscher, als andere noch mit Stäbchen durch Nase oder Rachen fuhren. Wüstefeld ließ sein Team mit internationalen Partnern nach Impfstoffen und Medikamenten forschen. Ein Vektorimpfstoff war offenbar fast produktionsreif. Fast. Bislang blieb es bei Ankündigungen.
Den „Goldstandard“ des Sars-CoV-2-Nachweises hat er auf eine neue Ebene gehoben: Die PCR-Tests aus den Laboren zwischen Brandshofer Schleuse und Brücke der Güterumgehungsbahn finden Anwendung in der Kreuzfahrtbranche, im Hafen, bei Behörden und überall, wo man schnell und sicher sein muss, ob jemand mit Corona infiziert ist oder nicht.
Ultra-PCR: Mobiles Testgerät beim HSV
Wüstefeld ließ ein Toaster-kleines mobiles Gerät entwickeln, in das man Dutzende Abstriche gleichzeitig legt, um nach weniger als 30 Minuten ein PCR-Ergebnis zu haben. Als Bayern München wegen unzuverlässiger Laborergebnisse noch auf hochbezahlte Profis vorsorglich verzichtete, hatte der HSV bereits eine nahezu 100-prozentige Trefferquote bei seinen Corona-Nachweisen. Wüstefeld ließ seinen „Toaster“ im Volkspark testen beim „Marcell“ (Jansen) und beim „Oke“ (Göttlich) vom FC St. Pauli.
Beim Oke kreiste die kühne Überlegung, Zuschauer massenweise vor dem Stadionbesuch mit Ultra-PCR-Tests zu beglücken. Ein Container der sanaGroup ruhte lange unbemerkt am Millerntor, als die Liga noch verzweifelt über die Rückkehr der Fans diskutierte. Die Mini-Geräte standen ebenso bei „Marvin“ (Willoughby) und seinen Towers, später beim VfL Wolfsburg. Sie machten ihren Weg bis zum „Michael“. Auch mit Wirtschaftssenator Westhagemann ist Wüstefeld per Du.
Dessen Duz- und Senatskollegin Katharina Fegebank war bei einem Besuch der sanaGroup beeindruckt von Know-how und High-tech in einer Butze am Hafenrand. „Ich bin hellauf begeistert, was der Mittelstand leistet. Hier arbeiten Top-Forscherinnen und -Forscher, gepaart mit Unternehmergeist.“ Sie lobte die „Medizin made in Hamburg“ und traf den Kern dessen, was Wüstefeld als „next big thing“ avisiert. Mit dem Wissen und der Technik plus künstlicher Intelligenz sind Analysen für Blockbuster-Themen wie Krebsmedikamente und generell individualisierte Medizin nur noch einen Mikroskop-Blick entfernt. In der Theorie.
Das Milliarden-Geschäft mit Biotech
Das Märchen wäre real und perfekt, wenn zwei Dinge nicht wären: der HSV und Zweifel an Wüstefelds Engagement dort. Was ihn wirklich bewogen hat, von Klaus-Michael Kühnes 20,44 Prozent an der HSV AG 5,11 Prozentpunkte zu erwerben, das wird wie der Kaufpreis ein Geheimnis bleiben. Aus Wirtschaftskreisen hieß es: Der Logistik-Mogul habe von Wüstefeld gar kein Geld erhalten, sondern Anteile an dessen Firmen. Stimmt nicht, sagt Wüstefeld. Derartige Beteiligungen gebe es nicht. Das Dementi ist klar.
Jeder Milliardär, der was auf sich hält, investiert in Biotech: Ob SAP-Mitgründer Dietmar Hopp, Deutschlands vermögendste Frau Susanne Klatten (BMW, Altana), Bill Gates (Microsoft) oder andere. Für einen Aufstieg in diese Liga ist Wüstefeld zu klein. Man kann sich aber vorstellen, dass ihm eine Erwähnung in diesem Kreis schmeicheln würde.
Im Biotech-Business tauscht man weltweit Daten aus, Beteiligungen, Projekte – nur so dreht sich das große Pharma-Rad. Wüstefeld rühmte sich bereits enger Kontakte zu den stillsten, aber schlagkräftigsten Deutschen in diesem Feld überhaupt: den Strüngmann-Zwillingen Andreas und Thomas (72). Sie bauten Hexal auf, verkauften es für Milliarden, investierten massiv. Mit dabei: die Mainzer Firma eines Gründerpaares namens Uğur Şahin und Özlem Türeci, Adresse: An der Goldgrube 12. Ohne die Strüngmanns wäre der gigantische Erfolg des Impfstoffes von Biontech vermutlich nicht denkbar.
Kennen sie Wüstefeld? „Weder unser Family Office noch ein Familienmitglied hat mit Herrn Wüstefeld eine gemeinsame Firma gegründet“, erklärte Thomas Strüngmann dem Abendblatt.
Lufthansa kauft PCR-Tests
Andere bislang unbekannte Beziehungen erwiesen sich als Erfolg für den Mann mit dem Düsentrieb: Die Lufthansa bestätigte dem Abendblatt: Der Konzern vertraue auf die Bioexsen PCR-Tests von Medsan für seine Crews. Medsan ist Teil der sanaGroup.
Wüstefelds geschäftliches Treiben bleibt in Teilen im Schatten. Das Tempo seiner Gründungen und Aus-dem-Stand-Projekte ist irre, der Wechsel bei den Firmennamen und dem Sinn einer Unternehmung undurchschaubar. In etlichen Firmen ist er laut Handelsregister als Geschäftsführer eingetragen.
Über Wüstefelds Firma sanPharma GmbH weiß man durch die Bilanz 2019, die am 7. Oktober 2021 amtlich festgestellt wurde: 2.514.177,27 Euro stehen jeweils als Aktiva und Passiva dort, etwa 750.000 Euro mehr als 2018. Auffällig: Die durchschnittliche Mitarbeiterzahl beträgt 14. Das ist nur ein Bruchteil der zuletzt von Wüstefeld berichteten 240 Mitarbeiter der sanaGroup in Hamburg. Weltweit sollen etwa zehnmal so viele Menschen für seine Unternehmungen arbeiten. Genaues erfährt man nicht.
Firmen werden umbenannt und erhalten neue Geschäftszwecke
Dabei weist die Homepage sanPharma als Nukleus der Gruppe aus. Die Firma bestehe seit mehr als 40 Jahren. „Mit der Gründung im Jahr 1978 begann sanPharma Gerhard Schröder e.K. mit der Entwicklung, Produktion und dem Vertrieb immunbiologischer und isopathischer Arzneimittel.“
2018 wurde der Firmensitz von der Behringstraße an den Brandshofer Deich verlegt. Zuvor gab es bereits einen Umzug innerhalb der Straße in Altona und davor von der Großen Elbstraße. Davor residierte die Firma als GroupW3 GmbH in den Colonnaden. Name und Geschäftszweck änderten sich im Juli 2014:
„Gegenstand des Unternehmens ist die Forschung, Entwicklung, Herstellung und der Vertrieb immunbiologischer und isopathischer Arzneimittel, pharmazeutischer und kosmetischer Präparate aller Art sowie Nahrungsmittelergänzungsstoffe aller Art. Das Unternehmen betreibt in diesem Zusammenhang Forschungs- und Untersuchungslabore.“ Weiter heißt es: Die Firma könne sich auch an anderen Unternehmen beteiligen – oder sie schlucken.
Wüstefelds ehemaliges Saatgut-Unternehmen kauft HSV-Anteile
Was war der ursprüngliche Sinn der Firma? „Die Entwicklung, der Vertrieb und der Handel mit betriebswirtschaftlicher Software sowie die vollständige Beratung bei IT Projekten. Ferner ist die Durchführung einer Management Unternehmensberatung in den Bereichen der Betriebs- und Volkswirtschaft sowie in der Informations- und Kommunikationstechnologie Unternehmensgegenstand.“
Von BWL-Programmen zu isopathischen Mittelchen. Aber es geht noch kurioser. 2019 gründete Wüstefeld als Handelsregistereintrag HRB 159650 die leafFarming GmbH. „Gegenstand des Unternehmens ist (der) Betrieb von Gärtnereien und landwirtschaftlichen Tätigkeiten, sowie der Handel mit Saatgut, Stecklingen, Pflanzen, Biomasse und Nebenprodukten. Das Unternehmen betreibt ein Labor, Forschung und Entwicklung und erbringt alle agrarbezogenen Dienstleistungen.“
Man ahnt schon: Aus Saatgut wird am Ende die Beteiligung an einem auf Rasensport konzentrierten Verein: HSV. Wüstefeld hat Humor. Durch und durch sportlich ist er außerdem: Fahrradfahren, laufen, geistige Fitness mittels agilen Unternehmertums. Doch was steckt hinter diesem Firmen-Salat?
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Wie Thomas Wüstefeld in den HSV-Vorstand kam
Aus leafFarming wurde 2021 die CaLeJo GmbH, deren Name für die drei Söhne der Familie aus den Elbvororten steht. Neuer Firmenzweck: „Der Erwerb und die Verwaltung von Beteiligungen an Unternehmen.“ Mit Stecklingen kann man nicht so reüssieren bei dem in der Schweiz heimischen Herrn Kühne mit seinen Krakenarmen in die Hotellerie, die Elbphilharmonie, die Staatsoper und die Lufthansa.
Aus leafFarming wurde CaLeJo, aus LeafRX Medsan. Die Wüstefeld-Firma Velum Consult benannte sich 2012 in Velum Immobilien um. „Gegenstand des Unternehmens ist der Erwerb, die Veräußerung sowie die Verwaltung und Vermietung von eigenen Immobilien sowie alle damit im Zusammenhang stehenden Tätigkeiten.“ Firmensitz ist ausnahmsweise nicht bei der sanaGroup am Deich, sondern in den Elbvororten. Dann Umzug an die Große Elbstraße, wo auch sanPharma-Vorgänger W3 saß. Velum wurde 2013 umbenannt in Intaqua Agrar. Denn nun fasste die Firma „innovative Trink-, Brauch- und Abwassertechnologien für die gesamte Agrarwirtschaft“ ins Auge.
Das währte knapp acht Monate, bis sie sich umbenannte in Wüstefeld Vermögensverwaltungs GmbH. Der Name spricht für sich, der Firmensitz ging zurück in die Elbvororte. Ab 2016 wurde umbenannt in groupW3. Der Zweck änderte sich dezent: Vermögensverwaltung plus „Objekt- und Wohnverwaltung eigener und fremder Liegenschaften, Ankauf und Verkauf von Immobilien und Grundstücken, Beteiligung an Unternehmen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung und die Projektentwicklung.“
Dazu kam: Beratung. Irgendwas mit „Consult“ stand ja mal am Anfang dieses Unternehmens.
Eine Frage, die nur Wüstefeld beantworten kann
Beratung, Immobilien, Vermögensverwaltung, Pharma, Biotech – wie kann ein so umtriebiger Unternehmer da noch den Fußball jonglieren? Mit den Anteilen an der HSV AG rückte Wüstefeld in den Aufsichtsrat. Er legte die Hand an den Jackpot neuer Aufmerksamkeit. Trotz Corona und geschäftlicher Erfolge war das ein anderes Level. Er reiste ins Trainingslager und zog eine blaue Jacke mit Raute über.
Als Finanzvorstand Frank Wettstein vorzeitig ging, zeigte Wüstefeld: Finanzen traut er sich auch zu. So rutschte er aus dem Aufsichtsrat in den operativen HSV-Vorstand. Er stellt seine vielen Firmen hintenan. Man fragt sich, wie das geht. Er verzichtet auf Bezahlung und wollte den Job nur befristet tun. Das wirkt inzwischen wenig glaubhaft – und wird wohl auch nach diesem Jahr anders ausgehen.
Dazwischen kamen: ein umjubelter Fast-Aufstieg in der Relegation, neue Sponsoren-Deals plus neue Finanzlücken sowie alter Ärger in der Vereinsführung. Diesen Aufstieg vom Fan zum Shareholder zum Mitmischer in dem unvergleichlichen Soziotop am Rande des Volksparks macht Wüstefeld keiner nach.
Wie Thomas Wüstefeld beim HSV aneckt
Deshalb wird er argwöhnisch beäugt auf der Geschäftsstelle. „Der Fußball hat seine eigenen Gesetze“, heißt es. Thomas Wüstefeld kommt nicht bei allen gut an. Er löst Strukturen auf und Verträge, wenn es sein muss. Seine Ziele beim HSV sind nach eigenen Angaben der Aufstieg und die schwarze Null bei den Finanzen.
In seiner Firmenzentrale am Brandshofer Deich gibt es viel Glas für Transparenz. Wenn man erst einmal die Zugangskontrollen passiert hat. Abgeschirmt sind Forschung und Produktion aus Sorge vor Industriespionage. Kritiker sagen: Wüstefeld verhüllt überhaupt seine Geschäfte.
Führende Mitarbeiter der sanaGroup haben internationale Klasse. Die eine ist eine große Expertin für Biochemie, der andere lief mal zu Fuß von Hamburg nach Shanghai.
Wie passt da ein zweitklassiger Verein ins Portfolio, dessen Zukunft mehr in der Vergangenheit liegt? Eitelkeit als Antrieb wäre eine voreilige Erklärung. Thomas Wüstefeld sollte eine Antwort auf diese Frage haben.
Mitarbeit: Martin Kopp und Kai Schiller