Hamburg. Im Pokal wurden dem HSV die Grenzen aufgezeigt. Der Trainer bleibt hart – und will an seiner Taktik festhalten. Das sorgt für Kritik.
Vor zwei Jahren saß Nico Schlotterbeck im Volksparkstadion mit den HSV-Verantwortlichen zusammen. Sportdirektor Michael Mutzel und Chefscout Claus Costa wollten den Innenverteidiger vom SC Freiburg zum HSV holen.
Schlotterbeck war durchaus interessiert an einem Wechsel nach Hamburg. Doch nach dem Nichtaufstieg unter Trainer Dieter Hecking war der HSV raus, der Abwehrspieler ging für ein Jahr zu Union Berlin und ist nach seiner Rückkehr nach Freiburg nicht nur zum Nationalspieler gereift – er steht im Sommer auch vor einem Wechsel zu einem deutschen Spitzenclub. Borussia Dortmund gilt aktuell als Favorit.
Freiburgs Trainer Streich guckte sich die HSV-Schwächen aus
Dabei zeigte Schlotterbeck (22) am Dienstagabend im Halbfinale des DFB-Pokals beim HSV, dass der SC Freiburg mittlerweile selbst einer der Topclubs im deutschen Fußball ist. Und Schlotterbeck einer der besten Verteidiger Deutschlands. Die Hamburger dagegen mussten bei der 1:3 (0:3)-Niederlage erfahren, dass er zwar phasenweise mit einem Bundesligisten mithalten kann, ein Verein wie Freiburg dem HSV aber mittlerweile deutlich enteilt ist.
Trainer Christian Streich hatte sich die Schwächen des HSV vor dem Spiel ausgeguckt und nutzte diese konsequent aus. „Wir hatten uns den Gegner angeschaut. Der HSV spielt sehr variabel. Wenn du alles mitgehst, kommst du ins Chaos“, sagte Streich nach dem Spiel. „Der HSV zieht seine Art gnadenlos durch, das wussten wir. Sie gehen das Risiko, mit dem Torhüter zu spielen, der wie ein Feldspieler spielt. Das ist extrem mutig, das machen sie auch gut. Wir hatten dann gute Balleroberungen.“
HSV-Trainer Walter rückt trotz Problemen nicht von Taktik ab
Streich erklärte ganz simpel, warum er vor allem über die linke Abwehrseite des HSV attackierte. „Der HSV hat zwei Rechtsfüßler auf der linken Seite“, sagte er und meinte den linken Innenverteidiger Sebastian Schonlau und Linksverteidiger Josha Vagnoman. Insbesondere Vagnoman zeigte gegen Freiburg, dass er kein Spieler ist, der unter Gegnerdruck auf engem Raum Lösungen mit dem Ball hat.
Warum Walter trotzdem der Meinung war, gegen die pressingstarken Freiburger das Spiel von hinten heraus aufzubauen? Weil er es immer so macht.
Doch genau deswegen muss sich Walter auch Kritik gefallen lassen. Die Enttäuschung war groß bei den Spielern nach dem Aus. Das sah man auch beim Wortgefecht zwischen Verteidiger Mario Vuskovic und Mittelfeldmann Sonny Kittel nach dem Spiel. Trainer Walter trennte die Streithähne. „Die Jungs waren verärgert. Ich habe ihnen gesagt, dass es besser ist, wenn wir morgen darüber reden“, sagte Walter.
HSV macht aus statistischer Überlegenheit wenig
Die Mannschaft hatte eine seltene Chance, sich auf einer riesigen Bühne zu präsentieren. 57.000 Zuschauer machten das ausverkaufte Volksparkstadion schon vor dem Anpfiff zu einem Tollhaus. 5,62 Millionen Zuschauer (21,6 Prozent) sahen sich das Spiel zudem im Ersten an. Doch schon nach 17 Minuten war die Partie mehr oder weniger gelaufen. Nils Petersen infolge einer Ecke (11.) und Nicolas Höfler infolge eines Aufbaufehlers von Torwart Daniel Heuer Fernandes nutzten die Fehler des HSV gnadenlos aus, während die Hamburger ihre wenigen guten Chancen durch Robert Glatzel (5.) und Anssi Suhonen (26.) liegen ließen.
Aber auch das ist eben ein Qualitätsunterschied zu einem Champions-League-Aspiranten wie Freiburg, der das Spiel nach einem diskutablen, aber durchaus korrekten Strafstoß durch Vincenco Grifo infolge eines unglücklichen Fouls von Moritz Heyer an Schlotterbeck schon nach 35 Minuten entschied.
Die Bilder zum DFB-Pokal-Halbfinale des HSV gegen Freiburg
Freiburg beschränkte sich in der zweiten Halbzeit darauf, das Ergebnis zu verwalten. Der HSV zeigte durchaus, dass er einen Bundesligisten bespielen kann. Die Hamburger hatten am Ende mehr als doppelt so viele angekommenen Pässe (447) wie der Sportclub (215). 63 Prozent Ballbesitz waren zudem ein Wert, den wohl kein anderer Zweitligist gegen ein Topteam der Bundesliga erreichen würde. Doch zu mehr als dem Ehrentreffer von Robert Glatzel (88.) reichte es nicht mehr. Bis auf den 18-Tore-Stürmer, der mit fünf Pokaltreffern noch gute Chancen hat, Torschützenkönig des DFB-Pokal-Wettbewerbs zu werden, sorgt allerdings kein anderer HSV-Spieler mehr zuverlässig für Torgefahr.
Kittel im HSV-Spiel kein Faktor mehr
Auch nicht Sonny Kittel, der beste Spieler der Hinrunde, der in der entscheidenden Saisonphase einmal mehr kein Faktor mehr ist. Die Verantwortlichen werden sich nach der Saison überlegen müssen, ob sie in der kommenden Spielzeit noch einmal eine Mannschaft um den 29-Jährigen herumbauen wollen oder ob nach drei am Ende unglücklichen Jahren eine Trennung von Kittel womöglich die bessere Lösung ist.
Noch aber ist die Saison ja nicht zu Ende. Der HSV muss es schaffen, die Pokalenttäuschung schnell abzuschütteln und die Restchance in der Liga zu ergreifen. Mit den Spielen in Regensburg, in Ingolstadt, gegen Hannover und in Rostock trifft der HSV noch auf vier Mannschaften, für die es in der Liga um kaum noch etwas geht.
Freiburg deckt Schwächen des Walter-Systems auf
Vom Ausgang dieser Spiele hängt dann auch ab, ob Trainer Walter ein Entwicklungsschritt in der kommenden Saison zugetraut wird. Auch innerhalb des Clubs gibt es Kritiker seiner Spielidee. Bislang aber blieb der 46-Jährige seinem Stil treu. Gegen Freiburg wurde nicht zum ersten Mal sichtbar, welche Tücken der riskante Spielaufbau hat. Zum ersten Mal aber wurde einer der Fehler auch ausgenutzt.
Walter deutete bereits nach dem Spiel an, dass er von seiner Spielidee nicht abrücken wird. „Wir gehen unseren Weg weiter. Wir machen uns nicht abhängig von Ergebnissen. Wir wollen einfach besser werden. Wir wollen Spiele gewinnen, und damit fangen wir am Sonnabend an.“ Doch Walter wird auch Ergebnisse brauchen, um weiter das Vertrauen in seinen Weg zu bekommen.
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Auf dem Transfermarkt will der HSV in jedem Fall weiter seinen Weg gehen und verstärkt auf junge Potenzialspieler setzen. Der Weg von Freiburgs Schlotterbeck, der mittlerweile einen Marktwert von 28 Millionen Euro hat, dürfte die Verantwortlichen darin bestärken.
Ein Kandidat für die neue Saison ist der junge Rechtsverteidiger Lion Semic (18) von Borussia Dortmunds U19, zu dem der Club bereits Kontakt aufgenommen hat. Spieler wie Semic zu finden, zu verpflichten und sie beim HSV zu entwickeln scheint der einzige Weg zu sein, den Rückstand auf die Bundesligaclubs auf lange Sicht wieder zu verkürzen.
Der HSV hat die Lizenz für die nächste Saison erhalten. Im Bundesligafall ist sie mit infrastrukturellen und medientechnischen Auflagen gewährt.