Hamburg. HSV mahnt gravierende Änderungen bei dem Vermarkter an. Dabei wäre ein Hauptsponsor schon gefunden. Es geht um Millionen.
Wahrscheinlich hat alles mit einem Schnitzel, Pommes und einer zusätzlichen Portion Spaghetti begonnen. Das jedenfalls soll sich Leverkusens früherer Manager Reiner Calmund zum Mittagessen bestellt haben, als er sich 1989 mit dem damaligen Nachwuchsvermarkter Bernd Hoffmann traf. Calli brauchte Geld, um seinen brasilianischen Top-Spieler Jorginho zu halten. Und so machten der XL-Manager und der junge Ufa-Mann, der später gleich zweimal Vorstandschef beim HSV werden sollte, einen Deal: Geld gegen Bandenrechte.
„Viele Clubs hatten damals kaum Ahnung von professioneller Vermarktung und benötigten Geld, wir haben das erkannt und eine Mischfunktion aus Vermarktungskompetenz und Bank übernommen“, sagte Hoffmann später der „Frankfurter Rundschau“. Es sei eine Goldgräberzeit gewesen.
Beendet der HSV den Sportfive-Deal?
Mehr als 30 Jahre später ist aus der damaligen Pionierzeit der modernen Sportvermarktung vor allem eines übrig geblieben: Geld brauchen die Fußballclubs noch immer. In der Corona-Zeit wahrscheinlich sogar mehr denn je. Deswegen klingt das umso überraschender, was man derzeit aus den Vorstandsbüros im Volkspark zu hören bekommt. So hat das Abendblatt erfahren, dass Hoffmanns Nachnachfolger Thomas Wüstefeld in diesen Tagen akribisch daran arbeitet, die bis 2025 laufenden Verträge mit HSV-Vermarkter Sportfive grundlegend zu überarbeiten.
Ob die Partnerschaft „nur“ gravierend verändert oder gegebenenfalls sogar aufgelöst werden soll, steht allerdings noch nicht fest. Wüstefeld wollte auf Anfrage des Abendblatts nicht weiter über den Sachverhalt sprechen, Sportfive-Chef Hendrik Schiphorst teilte lediglich schriftlich mit: „Der HSV und Sportfive verbindet eine seit über 20 Jahren andauernde erfolgreiche Partnerschaft. Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir Gespräche mit unseren Vertragspartnern grundsätzlich nicht kommentieren.“
Gespräche hat es in den vergangenen Wochen jedenfalls mehr als genug gegeben. Zuletzt am gestrigen Dienstag. Und offenbar ist Wüstefeld fest entschlossen, genau das wahrzumachen, was vor ihm mehrere HSV-Vorstände angekündigt, aber nie durchgezogen hatten: die millionenschwere Vereinbarung mit dem Sportvermarkter grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen.
Sportfive zahlte dem HSV vorab 20 Millionen
Hintergrund von Wüstefelds Initiative ist, dass seine Juristen vor seinem Einstieg als Anteilseigner im vergangenen November bei einer Überprüfung aller HSV-Verträge offenbar eine Möglichkeit gefunden haben, die seit 1998 laufende Partnerschaft neu zu bewerten. Dabei dürfte der Vorstoß Wüstefelds Chance und Risiko zugleich sein.
- Denn einerseits ist es verständlich, dass der neue HSV-Vorstand nur bedingt Spaß daran hat, dass der externe Vermarkter an sämtlichen Sponsoren-, VIP- und TV-Deals bis zu 20 Prozent Provision kassiert.
- Andererseits darf man bei der Millionenrechnung auch nicht vergessen, dass Sportfives sogenannte „Signing Fee“ (Unterzeichnungsgebühr) in Höhe von 20 Millionen Euro 2018 mitentscheidend beim Lizenzierungsverfahren war.
Zur Erinnerung: In der Abstiegssaison verlängerten der HSV und der Vermarkter den 2020 auslaufenden Vertrag vorzeitig um fünf Jahre bis 2025. Und was man ebenfalls nicht vergessen sollte: Nur durch die Gelder von Sportfive-Vorgänger Ufa Sports konnte 1998 der Bau des neuen Volksparkstadions realisiert werden. Es war der Beginn einer langen, aber nicht immer einfachen Partnerschaft.
HSV und Sportfive – es ist kompliziert
Knapp 25 Jahre später wird diese Partnerschaft – wieder einmal – neu bewertet. Bereits 2013 hatten Ex-HSV-Chef Carl Jarchow und Ex-Marketingvorstand Joachim Hilke den Wunsch geäußert, dass der HSV die Vermarktung in die eigenen Hände nehmen soll. „Unser Bestreben ist, dass wir den Hauptteil der Vermarktung selbst übernehmen“, hatte Jarchow sogar öffentlich gesagt und darauf verwiesen, dass der HSV damals pro Saison einen zweistelligen Millionenbetrag an Sportfive überweise.
Der damalige Marketingvorstand Hilke, genau wie auch Hoffmann früher selbst ein Sportfive-Mann, soll sogar konkret daran gearbeitet haben, eine eigene Vermarktungsabteilung aufzubauen. Der Vorteil: Der HSV müsste keine Provisionen mehr an einen Vermarkter abführen. Der Nachteil: Eine eigene Abteilung ist teuer – und kann beispielsweise bei der Sponsorensuche auch nicht auf das gleiche Vertriebsnetz wie die Experten von Sportfive zurückgreifen. Das Ende vom damaligen Lied: Der HSV und Sportfive verlängerten zu modifizierten Vertragsbedingungen vorzeitig den 2015 auslaufenden Kontrakt bis 2020.
Sportfive hat neuen Hauptsponsor für HSV
Die Situation von damals und heute ist allerdings nur bedingt vergleichbar. Denn während es 2014 mit Hilke einen eigenen Marketingvorstand gab, gibt es im Hier und Jetzt seit der Entlassung von Philipp Mokrohs nicht mal mehr einen Marketingdirektor. Die Verhandlungsposition des HSV wird zudem durch die zahlreich auslaufenden Verträge von Sponsoren geschwächt (Abendblatt berichtete). So soll Sportfive längst einen zahlungskräftigen Nachfolger von Hauptsponsor Orthomol gefunden haben – allerdings verzögert sich der Abschluss des Deals durch das aktuell unklare Verhältnis zum HSV.
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Noch größer ist allerdings das Fragezeichen, wie der HSV eine eventuell vorzeitige Vertragsauflösung finanzieren würde. Denn die Signing Fee von 20 Millionen Euro von 2018 müsste der Club bei einer außerordentlichen Kündigung mutmaßlich anteilig zurückzahlen. In Corona-Zeiten ein fast unmögliches Unterfangen, sofern nicht Milliardär Klaus-Michael Kühne doch noch einmal bereit stünde. Bevor aber ein derartiger Millionendeal entschieden werden kann, müsste zunächst der Aufsichtsrat zustimmen.
Nach Abendblatt-Informationen weiß das Kontrollgremium, das am Montag tagte, über Wüstefelds Planungen Bescheid. Die wahrscheinlichste Variante: Eine erneute Vertragsverlängerung, durch die der HSV bessere Konditionen aushandeln könnte.
Geht der HSV etwa den St.-Pauli-Weg?
Wie man den Traum von der Eigenvermarktung tatsächlich realisiert, könnte sich der HSV vom ungeliebten Stadtrivalen abgucken. Der FC St. Pauli hatte nach jahrelangem Rechtsstreit zum 1. Januar 2016 seine Merchandisingrechte von der Hamburger Agentur Upsolut zurückerworben. Der ursprüngliche Vertrag lief bis zum Jahr 2034. St. Paulis damaliger Rückkaufpreis: vergleichsweise bescheidene 1,26 Millionen Euro. Nachdem man anschließend einen kurzfristigeren Vertrag mit dem Sport-Marketing-Unternehmen U! Sports bis 2019 geschlossen hatte, entschied man sich, diesen nicht zu verlängern und die Vermarktung in eigene Hände zu nehmen.
Die Eigenvermarktung ist im Profifußball aber bis heute eher die Ausnahme als die Regel. Der kommende HSV-Gegner Werder Bremen hat sich beispielsweise bis 2029 an die Agentur Infront gebunden. Das internationale Sportmarketing-Unternehmen vermarktet damit sieben weitere Jahre diverse Rechte des Vereins, darunter das Haupt- und Trikotsponsoring, Stadionwerbung und weitere ausgewählte Partner-Pakete. Und ähnlich wie beim HSV waren auch bei Werder die finanziellen Nöte der ausschlaggebende Punkt, den ursprünglich 2019 auslaufenden Vertrag vorzeitig zu verlängern. Und wie der HSV erhielten auch die Bremer eine Signing Fee – allerdings „nur“ in Höhe von neun Millionen Euro.
Ob Neu-Vorstand Wüstefeld nun mit seinem Vorstoß beim HSV Erfolg haben wird, wird sich zeigen. Nur ein Detail drang vom Gipfel im Volkspark zwischen Wüstefeld und Schiphorst nach außen: Zwar ging es um mehr Geld als 33 Jahre zuvor beim Treffen zwischen Calmund und Hoffmann. Dafür sollen aber am Dienstag definitiv weniger Kalorien zu sich genommen worden sein.