Hamburg/Sandhausen. Die Hamburger verschlafen beim SV Sandhausen die erste Halbzeit und verpassen so die Tabellenführung. Setzt sich der Fluch fort?
Es war wahrlich kein Hamburger Sturm, eher ein laues Lüftchen: Der HSV hat beim SV Sandhausen einen großen Schritt Richtung Aufstieg verpasst. Nach einer Serie von drei Ligasiegen gegen Topteams reichte es beim Abstiegskandidaten nur zu einem 1:1 (0:1). Für den HSV war es bereits das elfte Unentschieden der Saison, das ihn aber immerhin vorübergehend am Lokalrivalen FC St. Pauli vorbei auf Platz zwei der Tabelle hievt.
Doch es war sogar die Tabellenführung möglich, weil auch Erzrivale Werder Bremen nach einer famosen Serie von sieben Siegen beim 1:1 gegen Ingolstadt einen Rückschlag hinnehmen musste. Der FC Schalke hatte am Freitag im Aufstiegsrennen vorgelegt und den SC Paderborn 2:0 besiegt. Heidenheim war bei Dynamo Dresden nicht über ein 1:1-Unentschieden hinausgekommen und hatte hinterher mit dem Schiedsrichter gehadert.
Tabellenspitze 2. Bundesliga:
1. Werder Bremen 23 / 44:31 Tore / 42
2. HSV 23 / 42:21 / 41
3. FC St. Pauli 22 Sp. / 42:29 / 41 Pkt.
4. Darmstadt 98 22 / 47:29 / 40
5. FC Schalke 04 23 / 45:27 / 40
6. 1. FC Heidenheim 23 / 29:29 / 38
7. 1. FC Nürnberg 22 / 30:32 / 33
Der HSV hat sich das Ergebnis selbst zuzuschreiben – weil er die erste Halbzeit verschlief. „Wir haben zwei unterschiedliche Halbzeiten gezeigt. Wir wussten, dass wir von der ersten Sekunde da sein mussten, aber das ist uns erst mit der sehr guten Reaktion nach dem Seitenwechsel gelungen“, gestand Trainer Tim Walter später.
Setzt sich der Sandhausen-Fluch nun etwa fort? Schon zweimal durchkreuzten die Kurpfälzer die Hamburger Aufstiegspläne. Und noch eine Statistik weckt böse Erinnerungen: In den vergangenen drei Jahren wendete sich das Schicksal stets am 23. Spieltag zuungunsten des HSV.
Doch man kann es auch positiv sehen: Der HSV ist seit sieben Spielen ungeschlagen. „Wir nehmen den Punkt heute mit“, sagte Hamburgs David Kinsombi nach dem Spiel bei Sky, „wenn man sieht, wie eng es da oben ist, kann das noch wertvoll sein.“
HSV-Anreise nach Sandhausen turbulent
Die erste Prüfung hatte der HSV schon am Freitag zu bewältigen: Mit dem Flugzeug war die Mannschaft am Nachmittag rechtzeitig vor dem herannahenden Sturm „Zeynep“ geflüchtet. Nach turbulentem Flug musste die Maschine in Frankfurt dann Ehrenrunden drehen, weil es sich im Luftraum staute. Aber Walter mochte sich vor dem Anpfiff damit nicht mehr beschäftigen. „Das war gestern, unser Fokus liegt jetzt auf dem Spiel“, sagte er bei Sky.
Nach den Siegen im Stadtderby, gegen die Aufstiegskonkurrenten Darmstadt und Heidenheim sowie dem Einzug ins DFB-Pokal-Viertelfinale wollten die Hamburger den Nachweis erbringen, dass sie inzwischen auch die Rolle des klaren Favoriten beherrschen. Daran waren sie in den Vorjahren stets gescheitert. Wobei die Tabelle zu relativieren wäre: Die Sandhäuser hatten von den vergangenen sieben Spielen nur eines verloren und dabei zwölf Punkte gesammelt. Zudem waren sie seit mehr als 300 Spielminuten ohne Gegentor geblieben.
Sandhausens Testroet schockt den HSV
„Man hat gesehen, dass Sandhausen enorm gute Form hat. Aber wir müssen uns davon frei machen, auf den Gegner zu achten“, sagte Walter bei Sky: „Wir wollen unser Spiel durchsetzen mit einer stabilen Defensive, gutem Positionsspiel und aggressivem Gegenpressing. Aber wir müssen auch geduldig sein.“
Der FC Schalke hatte am Freitag im Aufstiegsrennen vorgelegt und den SC Paderborn 2:0 besiegt. Heidenheim war bei Dynamo Dresden nicht über ein 1:1-Unentschieden hinausgekommen.
Der HSV war somit gefordert – und zwar zunächst defensiv. Sandhausen spielte, wie es Trainer Alois Schwartz zuvor versprochen hatte: mit dem Mut einer Heimmannschaft. Und der wurde nach einer Viertelstunde belohnt. Nach einem Hamburger Ballverlust konnte Erik Zenga scharf an den Hamburger Fünfmeterraum flanken, wo Pascal Testroet dankend abnahm – Heyer kam einen Schritt zu spät (15. Minute).
Chakvetadze bringt frischen Wind – Heyer lässt Sturm toben
Die Reaktion des HSV? War nicht zu erkennen. Die Hamburger fanden weiterhin keinen Weg vor das Sandhäuser Tor. Der Außenseiter dagegen erhielten den Druck aufrecht, störten den HSV im Spielaufbau sehr geschickt – und jubelten nach gut einer halben Stunde erneut. Nach einer Kette Hamburger Fehler schob Janik Bachmann ein. Doch der Treffer wurde nach Videobeweis zurückgenommen: Bachmann hatte vor dem Abschluss den Ball unfreiwillig mit der Hand berührt (34.).
Der HSV konnte von Glück reden – und bekamen erst kurz vor der Halbzeitpause selbst einen gelungenen Angriff zustande. Nach einer Flanke von Sonny Kittel kam Ludovit Reis zum Kopfball, setzte den jedoch aus acht Metern knapp übers Tor (43.). Der knappe Rückstand war alles in allem noch das Beste, was die Hamburger in die Pause nehmen konnten. Die 64 Prozent Ballbesitz – nicht mehr als eine Statistik.
HSV-Trainer Walter reagiert in der Halbzeitpause
Walter setzte ein Zeichen und wechselte gleich dreimal: Für Alidou, Heyer und Reis kamen Chakvetadze, Jan Gyamerah und David Kinsombi. Es wäre beinahe nach hinten losgegangen: Nach einem Hamburger Fehlpass ließ Sandhausen die Konterchance auf fast fahrlässige Weise liegen.
Doch dann machten sich die Neuen umgehend daran, ihre Einwechslung zu rechtfertigen. Erst setzte sich Kinsombi auf der rechten Seite durch, seine harte Flanke Kinsombis verpasste Bakery Jatta nur knapp. Dann zog Chakvetadze aus 20 Metern links vorbei. Und kurz darauf vergab Kinsombi die größte Ausgleichschance, weil Sandhausens Torwart glänzend reagierte (51.).
Aber immerhin: Der HSV war nun mit großer Verspätung in der Partie angekommen. Das galt auch für die etablierten Kräfte. Bei Kittels Schuss aus der Drehung fehlten nur Zentimeter (55.).
Kittel gleicht für den HSV aus
Walter durfte sich nun bestätigt sehen. „In der Halbzeit habe ich den Jungs gesagt, dass sie mutiger sein sollen und besser anlaufen müssen. Das ist unser Spiel. Mit der Art und Weise sind wir fast unbezwingbar“, erzählte er nach dem Spiel.
Sandhausen war längst nur noch mit Verteidigen beschäftigt. Kurz darauf war der Widerstand gebrochen: Nach einer Flanke von Mario Vuskovic konnte Jatta den Ball links im Strafraum annehmen und auf Kittel zurücklegen, der aus sieben Metern seinen siebten Saisontreffer erzielte (59.). Sandhausens Proteste, Hamburgs Stürmer Robert Glatzel habe zuvor ein Foul begangen verhallten ungehört.
Für den SVS war es der erste Gegentreffer nach mehr als sechs Stunden Spielzeit. Nun sah sich Schwartz zu einer Reaktion gezwungen, er brachte Maurice Deville und Kinsombis Bruder Christian für Testroet und Erich Berko. Doch die Statik des Spiels hatte sich da bereits nachhaltig verschoben.
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HSV-Torwart Daniel Heuer Fernandes erlebte die zweite Halbzeit fast nur noch aus der Ferne. Doch was er sah, wird ihm nicht uneingeschränkt gefallen haben. Den Elan der ersten Viertelstunde konnte der HSV nicht aufrechterhalten. Neuen Schwung erhoffte sich Walter von Manuel Wintzheimer, der Jatta in der Schlussphase ersetzte (84.).
Walter gibt indirekt Aufstieg als Ziel aus
Und tatsächlich ergab sich prompt die große Chance zum Führungstor: Nach einem Solo kam Chakvetadze am Sandhäuser Strafraum zum Schuss, setzte den jedoch zu hoch an (86.). Der erhoffte finale Sturmlauf aber blieb aus.
Wiederholt sich nun HSV-Geschichte? Walter, der selbst noch nie in Sandhausen gewinnen konnte, glaubt nicht daran: „Es ist immer schwer hier zu gewinnen, für mich vielleicht noch etwas schwerer. Ein Trauma habe ich deswegen nicht.“ Indirekt gab er erstmals den Aufstieg als Ziel aus: „Dann fahren wir eben wieder her. Ich hoffe nicht im nächsten Jahr. Vielleicht ja im DFB-Pokal.“
SV Sandhausen gegen HSV – die Statistik