Hamburg. Der neue HSV-Vorstand krempelt den Verein nach den Anteilskäufen um. Die Zukunft von Finanzdirektor Huwer ist derweil offen.
Die Geschichte geht weiter! So oder ähnlich hätte Netflix einen zweiten Teil – oder in der Seriensprache: eine zweite Staffel – wahrscheinlich angekündigt. Und tatsächlich geht auch die Abendblatt-Geschichte vom Vortag über den HSV, die Verantwortlichen, Anteilsdeals und einen möglichen Interessenskonflikt weiter. Diesmal in den Hauptrollen: Neu-Vorstand Thomas Wüstefeld und Aufsichtsratschef Marcell Jansen. In den Nebenrollen: Aufsichtsrat Markus Frömming und Finanzdirektor Eric Huwer. Und natürlich geht es auch diesmal wieder um Anteile, Geld und Macht.
Doch wie heißt es bei einer guten Serie immer so schön am Anfang: Was bisher geschah: Im ersten Teil der Abendblatt-Geschichte (Mittwoch-Ausgabe) ging es vor allem um die Frage, ob Markus Frömming, der Vertraute von Investor Klaus-Michael Kühne, bei einem geplatzten 30-Millionen-Euro-Deal mit dem sogenannten „Hamburger Bündnis“ einem Interessenskonflikt unterlag. Im damaligen Aufsichtsrat gab es darüber unterschiedliche Meinungen. Und auch die aktuelle Konstellation mit Thomas Wüstefeld, der mit Frömming erfolgreich einen Anteilskauf von Kühne abschloss und anschließend in der Rekordzeit von nur fünf Wochen durch alle Gremien fegte, warf Fragen auf.
Manch eine dieser Fragen könnte bereits am kommenden Montag beantwortet werden. Denn dann tagt der AG-Aufsichtsrat. Offiziell geht es in der außerordentlichen Sitzung um das Lizenzierungsverfahren der DFL am 15. März. Inoffiziell dürften aber auch die Enthüllungen im Abendblatt für Gesprächsstoff der Kontrolleure sorgen.
Wie Thomas Wüstefeld in Rekordzeit zum HSV-Vorstand wurde
Vielleicht werden ja auch noch einmal die Ereignisse kontrovers diskutiert, die unmittelbar an Teil eins der Abendblatt-Geschichte anschließen. Gemeint sind die beiden Aufsichtsratssitzungen am 18. und 27. Dezember des vergangen Jahres, als es beim HSV drunter und drüber zugegangen sein muss. Der Hintergrund: Noch-Finanzvorstand Frank Wettstein sollte nach mehrheitlichen Wunsch der Aufsichtsräte bereits frühzeitig von seinem bis zum Sommer laufenden Vertrag befreit werden. Die Frage war nur, wie man ihn ersetzen sollte.
Der Masterplan war schnell entworfen: Nach Abendblatt-Informationen legte sich die Mehrheit des Aufsichtsrats in der Sitzung am 18. Dezember fest, dass Kühne-Vertreter Markus Frömming im Idealfall sogar noch vor Weihnachten neuer Marketingvorstand werden sollte, der bisherige Finanzdirektor Eric Huwer sollte (nach Weihnachten) Wettsteins Nachfolger als Finanzvorstand werden. Frömming dementierte gegenüber dem Abendblatt, dass er zur Verfügung gestanden hätte. Er sagt: „Ich kann Ihnen versichern, dass wir im Aufsichtsrat einen vertraulichen sowie auch zielführend-kontroversen Austausch pflegen, um Themen voranzubringen. Insgesamt sind wir uns einig, das nur der Aufsichtratsvorsitzende sich öffentlich zu konkreten Themen äußert. Daran halte ich mich.“
Gehaltsgespräche für Huwer und Frömming waren konkret
Das Abendblatt bleibt aber auch bei seiner Darstellung, dass parallel zu den Auflösungsgesprächen mit Wettstein bereits konkrete Gespräche über Gehalt und eine mögliche Präsentation für Frömming und Huwer geführt worden sind. Beispiel Huwer: Der bisherige Direktor soll um eine geringe vierstellige Summe pro Monat als Gehaltserhöhung gebeten haben, wodurch er trotzdem einer der am schlechtesten bezahlten Vorstände beim HSV in den vergangenen 20 Jahren gewesen wäre und in seiner neuen Funktion nicht mehr als manch ein amtierender Direktor verdient hätte. Und auch seine öffentliche Präsentation war bereits abgestimmt: Huwer, der seit Oktober 2014 beim HSV ist, sollte im Trainingslager in Sotogrande in einer Medienrunde als neuer Vorstand vorgestellt werden.
Doch es kam ganz anders. Statt Huwer, der sich bereits vor dem Beginn des Trainingslagers gemeinsam mit Sportvorstand Jonas Boldt in Andalusien aufgehalten hatte, stellte sich Boldt am 4. Januar den mitgereisten Medienvertretern. Der Hintergrund: Rund um die zweite Aufsichtsratssitzung am 27. Dezember soll es einen Sinneswandel gegeben haben. Wüstefeld, der zu diesem Zeitpunkt noch Aufsichtsratsvorsitzender war, entschied sich, es schließlich selbst zu machen.
Wüstefeld soll Huwer erst im Trainingslager die genauen Pläne offenbart haben
Diesen Überraschungscoup versuchte Boldt dann am Nachmittag des 4. Januars den mitgereisten Medien im fernen Spanien zu erklären. Einen Tag später reiste Wüstefeld dann selbst ins Trainingslager nach und stellte sich persönlich vor. Und Huwer? Der kam ebenfalls nach Sotogrande – aber eben nicht als Vorstand. Erst im Trainingslager soll Wüstefeld, der zuvor die Verträge mit Huwer ausgehandelt hatte, dem Fast-Vorstand offenbart haben, dass er erst mal alleine in den Vorstand zu Boldt aufrückt. Dem Abendblatt sagte Wüstefeld auf die Nachfrage zu den Irrungen und Wirrungen rund um Frömming und Huwer: „Zum einen sind und bleiben für mich jegliche internen Abläufe und Gespräche vertraulich, zum anderen habe ich immer betont, dass es mir um eine gesamtstrategische Ausrichtung, Profile und Leitplanken geht, nicht um einzelne Personen oder Namen.“
Doch was hat Thomas Wüstefeld eigentlich vor? Was werden die von ihm vielzitierten Leitplanken sein? Und welchen langfristigen Plan verfolgt der neue HSV-Chef, der den kurzfristigen Frömming-Huwer-Plan zwischen Weihnachten und Silvester in Abstimmung mit dem alten und neuen Aufsichtsratschef Marcell Jansen höchstpersönlich über den Haufen warf?
Wüstefeld und Jansen kennen sich seit längerer Zeit
Hierzu muss man die Vorgeschichte kennen. Denn Wüstefeld und Jansen haben sich nicht etwa im Volkspark kennen- und schätzen gelernt. Die beiden mächtigsten HSV-Entscheider hatten lange vor ihrer HSV-Zeit eine Geschäftsbeziehung durch ihren gemeinsamen Fokus auf den Gesundheitsbereich. So kümmerte sich Jansen für Wüstefeld und dessen SanaGroup um den Vertrieb im Profisportbereich, um Wüstefelds PCR-Schnelltests auch anderen Clubs zugänglich zu machen. Zur Erinnerung: Der HSV war der erste Proficlub, der von den genaueren und schnelleren PCR-Massentestungen während der Coronazeit profitierte. Als Gegenleistung spendete Wüstefeld für Jansens gemeinnützigen Verein HygieneCircle, in dem er auch im Expertenbeirat sitzt (Abendblatt berichtete).
Doch wie schon am Vortag bei Frömming muss erneut die Frage nach einem Interessenskonflikt erlaubt sein. Wüstefeld, der nach seinem Anteilskauf von Jansen überredet wurde, sich im AG-Aufsichtsrat zu engagieren und von diesem nach nur 36 Tagen in den Vorstand entsandt wurde, antwortete nicht auf die Frage nach einer Geschäftsverbindung mit Jansen, sagt aber allgemein zu einem eventuellen Interessenskonflikt: „Es steht ja außer Frage, dass ich verschiedene Perspektiven einnehme: Ich bin Fan des Hamburger SV, genauso wie Gesellschafter der Fußball AG und aktuell auch kommissarischer Vorstand. Bei allen Perspektiven stehen der Erfolg des Clubs und der Wunsch nach der Weiterentwicklung des HSV im Mittelpunkt.“
Was Wüstefeld als Vorstand anders macht
Dieser Weiterentwicklung des Clubs hat sich der Neu-Vorstand seit seiner Überholspur-Beförderung mit Haut und Haaren verschrieben. Der „Andersmacher“ („Kicker“) macht tatsächlich vieles bis alles anders als seine Vorgänger – angefangen bei der Bezahlung. Wüstefeld verzichtet auf ein Gehalt, will allerdings auf mehrfache Nachfrage auch nicht ausschließen, dass er nach seinem Pro-bono-Jahr als Vorstand weitermachen will. Auf der Geschäftsstelle weht kein frischer Wind, es herrscht ein regelrechter Sturm. Seine Ankündigung, alle Abteilungen unter die Lupe zu nehmen, lässt Wüstefeld Taten folgen. Sogar vor der Kabine der Profis machte der dreifache Familienvater keinen Halt.
Der Geschäftsführer von zahlreichen Firmen, die allesamt am Brandshofer Deich 10 an den Elbbrücken residieren, durchleuchtet auch die Räumlichkeiten im Volksparkstadion, wie es niemand vor ihm in den vergangenen Jahren getan hat. Die Organisationsstruktur grundsätzlich wird hinterfragt, genauso wie jeder einzelne Mitarbeiter. Sämtliche Dienstleisterverträge werden unter die Lupe genommen, ebenso die langjährige Partnerschaft mit Vermarkter Sportfive. Es dauerte auch nur wenige Tage, ehe Wüstefeld den seit Monaten intern kritisierten Marketingdirektor Philipp Mokrohs beurlaubte. So ist es wenig überraschend, dass die neuen Besen bei einigen im HSV-Kosmos gut, bei anderen weniger gut ankommen.
Wüstefeld und Jansen ließen ausverhandelten Anteilsverkauf platzen
Doch Wüstefeld belässt es bei seiner Generalinventur nicht beim Volkspark. So erfuhr das Abendblatt, dass er und Jansen eine schon ausverhandelte Partnerschaft mit einem bereits bestehenden HSV-Anteilseigner, der auch die letzten noch zu kaufenden 0,7 Prozent erwerben wollte, platzen ließen. Der Hintergrund: Der Hamburger Investor Detlef Dinsel von der IK Investment Partners GmbH soll ebenfalls als neuer Geldgeber bereitstehen. Offen soll lediglich noch sein, ob Dinsel auch in den Aufsichtsrat gehen würde.
Eine offizielle Abendblatt-Nachfrage ließ der ehemalige Investor des FC Augsburg, dessen Vermögensverwaltungsgesellschaft Maja ihre Anteile 2019 an das US-amerikanische Unternehmen Bolt Football Holdings verkaufte, unbeantwortet. Auch Wüstefeld selbst wollte sich offiziell auf Nachfrage nicht zu einem bevorstehenden Einstieg Dinsels äußern.
Die Zeit bis zum DFL-Lizenzierungsverfahren drängt
Klar ist nur, dass die Zeit drängt. Für die DFL-Lizenzierung bis zum 15. März, über die vor allem am kommenden Montag in der Aufsichtsratssitzung gesprochen werden soll, müssen Gelder akquiriert und neue Möglichkeiten geschaffen werden. Mehrere Kreditlinien laufen bis zum Sommer aus. „Die aktuelle Situation ist alles andere als gut“, gab Wüstefeld vor Kurzem in einer größeren Presserunde ehrlich zu: „Es ist nicht fünf vor zwölf Uhr, es ist fünf nach zwölf Uhr“, sagte Jansen zuvor im Abendblatt-Interview.
Helfen könnte bei dieser Mammutaufgabe natürlich Finanzdirektor Huwer, der nach Wettsteins Ausscheiden wie kein Zweiter im HSV-Organismus die Zahlen kennt. Doch durch die geplatzte Beförderung Ende Dezember und in diesem Zusammenhang angeblich gezielt gestreute Unwahrheiten über seine Gehaltsforderungen innerhalb des Aufsichtsrats soll das Verhältnis zum Fast-Vorstand belastet sein.
Huwer weilte zuletzt bei der Club-WM in Abu Dhabi
Huwer war in der vergangenen Woche bei der Club-WM in Abu Dhabi und teilte seine Eindrücke am Mittwoch auf seinem LinkedIn-Profil. Der HSV-Prokurist nimmt bereits seit Oktober an einem Fifa-Programm von weltweiten Executive-Managern (C-Level, also Vorstände und Direktoren) teil, bei dem er sogar Deutschland vertritt.
Organisiert wird das Programm unter anderem von Ornella Bellia (Head of Professional Football bei der Fifa) und Maheta Molango, dem Vorsitzenden der englischen Spielergewerkschaft. Es ist ein Projekt zur Professionalisierung des Fußballs weltweit. Mit dabei sind auch die früheren Profis Fabio Cannavaro (Juventus Turin und Real Madrid), Nuno Gomes (Benfica Lissabon), Philippe Senderos (unter anderem FC Arsenal) und Juan Pablo Angel (unter anderem Aston Villa).
Die Idee hinter all dem: Man will eine Plattform schaffen für einen besseren Austausch im Profifußball und einen globalen Wissenstransfer. Zusätzlicher Bonus: In Abu Dhabi trafen sich Huwer und Co. auch noch mit dem umstrittenen Fifa-Chef Giovanni Infantino. Der Umgang mit nicht ganz einfachen Führungspersönlichkeiten war also quasi im Preis mitinbegriffen.
Raufen sich Wüstefeld und Huwer noch zusammen?
Zurück in Hamburg wird es nun spannend zu sehen sein, ob Huwer und Wüstefeld doch noch gemeinsam an einem Strang ziehen können, um den angeschlagenen HSV-Dampfer seefest zu machen. Genau darauf soll auch Neu-Aufsichtsrat Hans-Walter Peters hoffen. Der Kontrolleur soll große Stücke auf Huwer halten und dem Vernehmen nach verstimmt über die Geschehnisse der vergangenen Wochen sein. Innerhalb des Aufsichtsrats reagierte man überrascht darüber, weil Peters eine derartige Kritik seinen Kontrolleurskollegen gegenüber nicht geäußert haben soll. Der Verwaltungsratsvorsitzende und Gesellschafter der Privatbank Berenberg wollte sich auf Nachfrage des Abendblatts selbst nicht äußern.
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Die weltweit beliebte Netflix-Serie „House of Cards“ über Intrigen und Komplotte rund um das Weiße Haus hatte bislang sechs Staffeln. Ob die HSV-Serie über Anteile, Geld, Posten und Gremien nach Staffel eins („Die Wahrheit über die Kühne-Anteile“) und Staffel zwei („Die Wahrheit über die HSV-Chefs“) in die Verlängerung geht, bleibt vorerst offen.