Sotogrande. Der neue Vorstand arbeitet unentgeltlich für den HSV und nimmt so Kritikern den Wind aus den Segeln. Aber viel Zeit bleibt ihm nicht.

Die Mitgliederversammlung am 29. Januar wäre eine gute Möglichkeit gewesen, um Fragen zu stellen. Doch am Mittwochnachmittag sagte das Vereinspräsidium um Marcell Jansen den Termin wegen der aktuellen Entwicklung in der Corona-Pandemie ab. Ganz unglücklich dürfte Jansen über die Entscheidung nicht sein. Schließlich hätte es auf der Veranstaltung durchaus Gesprächsbedarf gegeben nach dem jüngsten Führungswechsel in der HSV Fußball AG.

Jansen hatte einen Tag zuvor mit dem Aufsichtsrat entschieden, den bisherigen Finanzvorstand Frank Wettstein ein halbes Jahr vor dessen Vertragsende von seinen Aufgaben zu entbinden und den erst vor fünf Wochen zum Aufsichtsratsvorsitzenden gewählten Thomas Wüstefeld in den Vorstand zu entsenden. Ein Vorgang, der viele Fragen aufgeworfen hatte. Vor allem die Frage: Was hat Wüstefeld mit dem HSV vor?

HSV: Neuer Vorstand Wüstefeld arbeitet unentgeltlich

Das Abendblatt hat sich am Tag danach bei allen wichtigen Entscheidungsträgern des HSV umgehört. Offiziell äußern wollte sich zunächst keiner. Stattdessen versuchte der Club über ein eigenes Interview auf hsv.de proaktiv mögliche Spekulationen zu beantworten. Vor allem diese: Geht Wüstefeld den Weg von Bernd Hoffmann, der vor vier Jahren innerhalb weniger Wochen vom Aufsichtsratvorsitzenden zum Vorstandschef wurde?

Wüstefeld, seit Oktober neuer Anteilseigner beim HSV, war in den vergangenen Wochen einen ähnlichen Weg gegangen. Doch innerhalb der Gespräche soll der 53 Jahre alte Medizintechnik-Unternehmer (sanaGroup) nach Abendblatt-Informationen versichert haben, nach einem Jahr im Vorstand wieder in den Aufsichtsrat zurückzukehren. „Mit diesen Vermutungen und Parallelen müssen wir, muss vor allem ich leben“, sagte Wüstefeld. „Aber das kann ich auch, weil es entscheidende Unterschiede gibt. Erstens bin ich der erste persönliche Gesellschafter, der kommissarisch als Vorstand eingesetzt wird. Zweitens findet diese Entsendung bewusst und gemäß Aktiengesetz nur für zwölf Monate statt. Und drittens lasse ich mir meine Tätigkeit für den HSV nicht vergüten, ich arbeite pro bono.“

Eine im Fußball wohl einmalige Entscheidung, mit der Wüstefeld seinen Kritikern Wind aus den Segeln nimmt. Spätestens in einem Jahr wird sich der Übergangsvorstand an seiner Aussage messen lassen. Länger wird und will Wüstefeld aber auch nicht in der Lage sein, zwei Unternehmen gleichzeitig zu führen.

HSV-Führung sieht in Wüstefeld große Chance

Die HSV-Verantwortlichen sehen in der neuen Konstruktion eine große Chance. Durch die enge Verbindung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat soll die Geschwindigkeit der Entscheidungen erhöht werden. Insbesondere nach den neuen Maßnahmen der Politik braucht der Club jetzt starke Verhandlungsführer. Wüstefeld selbst will in Gesprächen mit dem Senat versuchen, auf die Entscheidungen der Regierung einzuwirken. „Ich werde jetzt schnell Kontakt zur Hamburger Politik aufnehmen, um die aus meiner Sicht nicht nachvollziehbare Corona-Behandlung bzw. den Zuschauerausschluss für den Hamburger Profisport im Vergleich zum Amateursport oder auch zur Kultur anzusprechen und dort unsere Position zu vertreten“, sagte Wüstefeld mit Blick auf die Senatsbeschlüsse zur Rückkehr der Geisterspiele.

Sportstaatsrat Christoph Holstein hatte diese am Mittwoch als angemessen und nachvollziehbar verteidigt. Dass es zu Unterschieden in der Bewertung kommt, habe einen wichtigen Grund. „Wir wollen den Hamburger Breitensport nicht in den Lockdown zwingen. Der Breitensport insbesondere für Kinder und Jugendliche ist in seiner Bedeutung vergleichbar mit Schule und Kita.“

Der HSV verliert genau wie der FC St. Pauli durch die Geisterspiele viel Geld. Vor der Saison hatten die Hamburger mit einem Schnitt von 30.000 Zuschauern im Volksparkstadion geplant. Für die fehlenden Einnahmen muss der HSV jetzt Lösungen finden. Vor allem Finanzdirektor Eric Huwer (38) soll dabei helfen. Macht dieser seine Sache gut, wäre er in einem Jahr der logische Nachfolger von Wüstefeld im Vorstand.