Hamburg. Der scheidende HSV-Finanzchef spricht über seine Nachfolge, seine siebenjährige Amtszeit und über die AG-Hauptversammlung.

Frank Wettsteins erster Arbeitstag in dieser Woche beginnt früh. Um kurz vor 5 Uhr morgens sitzt der Finanzvorstand des HSV bereits im Dienstwagen, um aus der Heimat im Rheinland in den hohen Norden zu fahren. Um kurz nach 9 Uhr folgt ein Corona-Schnelltest im Testzentrum an der Barclays Arena, ehe der 48-Jährige um Punkt 10 Uhr an der Abendblatt-Redaktion vorfährt. Im Podcast „HSV – wir müssen reden“ will Wettstein, der vor Kurzem angekündigt hatte, seinen im kommenden Sommer auslaufenden Vertrag nicht zu verlängern, einen ausführlichen Blick zurück nach vorne werfen.

Rund 90 Minuten lang spricht der Wahl-Ottensener über eine mögliche Nachfolgeregelung, gibt einen Ausblick auf die heutige Hauptversammlung der AG und lässt seine bislang siebenjährige Amtszeit Revue passieren. Es sei vor allem „eine sehr intensive Zeit“ gewesen, sagt Wettstein, der sich auch noch sehr genau an seinen ersten Arbeitstag als HSV-Vorstand erinnert: ein Schlichtungstermin beim DFB in der Otto-Fleck-Schneise in Frankfurt am Main, bei der es um die Abfindung des gerade erst entlassenen Mirko Slomka gehen sollte. „Da wusste man direkt, was einen in den nächsten Jahren erwartet“, sagt Wettstein, der tatsächlich das Kunststück fertigbrachte, elf HSV-Trainer, 14 Aufsichtsräte und vier Präsidenten zu überleben. „Der Einzige, der immer da war, war ich.“

HSV News: Wettstein verlässt den Club im Sommer

Damit ist nun im kommenden Sommer Schluss. Bereits vor vier Wochen hatte der Dauerbrenner der HSV-Geschäftsstelle angekündigt, den HSV im kommenden Sommer nach dann knapp acht Jahren zu verlassen. „Ich habe schon vor einem Jahr signalisiert, dass es mir schwerfallen würde, noch eine weitere Amtsperiode dranzuhängen“, sagt Wettstein am Montag im Podcaststudio am Großen Burstah. „Wir haben einen Zustand erreicht, dass wir im hinteren Verlauf der Pandemie sind und diese Krise bewältigt haben plus viele Krisen zuvor. Die Organisation hat zuletzt gezeigt, dass sie funktionsfähig ist. Ich sehe den Club in der sportlichen Führung sehr gut aufgestellt.“

Nach seiner Meinung sogar so gut aufgestellt, dass sich Wettstein deutlich dafür ausspricht, seinen Kollegen Jonas Boldt nach seiner Demission zum Alleinvorstand zu machen. „Meine Präferenz wäre, dass Jonas als Alleinvorstand bleibt. Mit ihm im Vorstand und der zweiten Reihe dahinter wäre die Geschäftsstelle sehr gut aufgestellt. Jonas hat die Qualitäten, dieses Amt auszufüllen“, sagt Wettstein, der auch ausführt, warum er eine Nachfolgeregelung mit einem Kandidaten außerhalb des HSV-Kosmus schwierig finden würde: „Wenn man jemanden von außen nimmt, dann brüskiert man diejenigen aus der zweiten Reihe, die sich möglicherweise Hoffnungen gemacht haben. Und man müsste erst einmal schauen, ob dieser dann auch mit Jonas Boldt harmoniert.“

Wettstein: „Eric Huwer macht einen Klassejob beim HSV“

Sollte der Aufsichtsrat zu der Überzeugung kommen, über den Sommer hinaus auf zwei Vorstände zu setzen, hätte Wettstein einen geeigneten Nachfolger im Kopf, der auch mit Boldt harmoniert: „Dann wäre Eric Huwer sicherlich ein geeigneter Kandidat“, sagt dessen Noch-Chef, der Huwer einst zum Direktor Finanzen befördert hatte. „Eric Huwer macht einen Klassejob beim HSV.“

Er selbst würde aber sicherlich nicht gefragt werden, räumt Wettstein ein, der aber auch ungefragt keinen Hehl daraus macht, dass er wenig bis gar nichts von der Idee hält, dass die Chefetage nach seinem Abschied wieder auf drei Vorstände erweitert wird. „Beim dreiköpfigen Vorstand in Verbindung mit einem neuen Aufsichtsrat wäre die Eruption zu groß“, sagt der Noch-Vorstand, der seine Lieblingsvariante mit einem Ein-Mann-Vorstand auch schon Boldt direkt unterbreitet hat. „Ich spreche mit Jonas fast jeden Tag – und auch darüber haben wir gesprochen …“

AG-Aufsichtsrat wird über den HSV-Vorstand entscheiden

Nur dummerweise dürfen weder Wettstein noch Boldt diese Zukunftsentscheidung treffen. Verantwortlich für die Beantwortung der Frage, wie der HSV-Vorstand nach Wettsteins Aus aufgestellt werden soll, ist der neue AG-Aufsichtsrat, der passenderweise an diesem Dienstag auf der Hauptversammlung der Anteilseigner bestellt wird. Während die Kontrolleure Michael Krall und Felix Goed­hart aus dem Gremium ausscheiden, sollen Vizepräsident Michael Papenfuß, Lena Schrum (Ex-Fußballerin und Geschäftsführerin der ­aware the platform GmbH), Neu-Anteilseigner Thomas Wüstefeld (Geschäftsführer der CaLeJo GmbH) und Hans-Walter Peters, der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken, den Rat komplettieren.

Ein klangvoller Name aus der Wirtschaft fehlt, was auch Wettstein bedauert: „Man guckt schon neidvoll auf die Besetzung des Aufsichtsrats von Bayern München, wo Sponsoren, Anteilseigner und CEOs vertreten sind. Das hat einen enormen Punch.“ Nach Abendblatt-Informationen soll Telekom-Chef und HSV-Fan Timotheus Höttges mit einem Amt im HSV-Aufsichtsrat geliebäugelt haben, aber eben nicht gefragt worden sein.

Wettstein: HSV muss Strukturen überarbeiten

Dieses mögliche Versäumnis führt Wettstein auch auf die aktuelle Struktur zurück, die seiner Meinung nach überarbeitet werden müsste. Wettstein Da kommt relativ wenig Bewegung rein. Ich kann das als Vorstand nicht ändern. Ich kann darauf hinweisen. Aber das muss in den Gremien und der Mitgliedschaft des HSV diskutiert werden“, sagt Wettstein.

„Der Umstand ist allen bewusst, woran der Club in den vergangenen Jahren gekrankt hat: die permanente personelle Fluktuation. Die Grundfrage ist, welche Struktur man aufsetzen muss, damit das Ganze Stabilität erfährt und eben nicht wiederkehrend in einer Neuausrichtung oder einem Richtungswechsel endet, denn das kostet unwahrscheinlich viel Geld und Energie und ist nicht gerade förderlich für den sportlichen Erfolg.“

Streit im HSV-Präsidium drohte zu eskalieren

Als Beispiel für die seiner Meinung nach überholte Struktur nennt Wettstein die schwierige Phase vor einem Jahr, als ein heftiger Streit innerhalb des HSV-Präsidiums den Verein zu zerreißen drohte: „Zu dem Zeitpunkt hatten wir den Präsidiumsstreit und die Diskussion rund um die Besetzung von irgendwelchen Posten rund um den HSV. Da habe ich den Finger gehoben und gesagt, wenn die Gremienbesetzung im Rahmen von machtpolitischen Erwägungen erfolgen soll, dann fühle ich mich da nicht gut aufgehoben.“ Doch selbst nach dem Rücktritt des kompletten Präsidiums habe sich die Lage nicht entspannt: „Das ist prinzipiell weitergegangen. Wir erinnern uns an den Streit rund um den Beirat vor der Mitgliederversammlung.“

Zur Erinnerung: Nachdem der Beirat Marinus Bester, der angeblich nur im Dreierteam mit Paralympics-Siegerin Edina Müller und Philipp Wenzel, ein Mitglied der Fridays-for-Future-Bewegung in Hamburg, bei der vergangenen Mitgliederversammlung antreten wollte, abgelehnt wurde, blieb lediglich Marcell Jansen als einziger Präsidiumskandidat übrig. Und obwohl Jansen als einziger Kandidat antrat, wurde er lediglich mit 68,8 Prozent der Stimmen gewählt.

Frank Wettstein drängt auf Rechtsformänderung

Vergangenheit. Ein Zukunftsthema, das Jansen und Co. nach Meinung von Wettstein nun unbedingt bearbeiteten sollten, ist das Dauerthema Rechtsformänderung. „Mit Blick auf die Restlaufzeit meines Vertrags würde ich ausschließen, dass auf der Strecke noch Bewegung in die Rechtsformthematik kommt“, sagt der Rheinländer, der bereits seit drei Jahren ein fertiges Konzept in der Schublade hat.

„Vielleicht ist es der permanenten Fluktuation geschuldet, dass sich niemand dem Thema verschrieben hat. Es ist natürlich kein schönes Thema. Da muss man sich herantrauen. Dafür braucht man ein breites Kreuz, um dieses Thema durch die Mitgliedschaft zu treiben. Es muss eine Meinungsbildung im Präsidium stattfinden. Am besten beschließt man so etwas aus einer Position der Stärke und nicht, wenn man keine andere Alternative mehr hat.“

„Der Vorstand hat das Ziel, die 0,75 Prozent noch zu platzieren“

Ob die Arbeitsgruppe, die sich nach dem angenommenen Antrag der Mitgliederversammlung um genau dieses Thema kümmern soll, ihre Arbeit bereits aufgenommen hat, kann Wettstein nicht beantworten: „Ich bin nicht Bestandteil der Arbeitsgruppe und kann auch nicht sagen, ob sie überhaupt schon ins Leben gerufen wurde.“ Solange die alte Rechtsform aber noch besteht, habe die HSV AG lediglich noch ein knappes Prozent ihrer Anteile zu verkaufen. „Der Vorstand hat das Ziel, die 0,75 Prozent noch zu platzieren“, sagt Wettstein. „Wenn der Preis stimmt und der Erwerber zum Club passt, wird das erfolgen.“

An diesem Dienstag werden jedenfalls nicht die letzten 0,75 Prozent der HSV-AG-Anteile den Besitzer wechseln, dafür aber 5,1 Prozent der Anteile von Klaus-Michael Kühne. Diese übernimmt verabredungsmäßig Thomas Wüstefeld, der ja auch noch als neuer Aufsichtsrat bestellt wird. Der HSV geht bei diesem Deal allerdings leer aus. Die Möglichkeit, diese Vereinbarung zugunsten des HSV zu modifizieren, habe es laut Wettstein nicht gegeben. Ohnehin habe er nie den engen Draht zu Investor Kühne gehabt, der ihm öffentlich immer attestiert wurde: „Zu keiner Zeit hatten wir regelmäßigen Kontakt. Es gab niemals eine Standleitung. Ich habe nicht mal eine Handynummer von ihm.“

Frank Wettstein macht sich keine Sorgen um den HSV

Doch auch ohne persönliche Kühne-Nummer macht sich Wettstein um den HSV und die Clubfinanzen keine Sorgen. Auch nicht im Hinblick auf die Heim-EM 2024, vor der das Volksparkstadion kostspielig renoviert werden muss. „Das Stadion wird modernisiert. Und die Finanzmittel dafür werden zur Verfügung stehen“, verspricht Wettstein. „Man muss am Kapitalmarkt Geld aufnehmen, aber man hat den nötigen Vorlauf.“

Zum Thema Laufen kann Wettstein ohnehin jede Menge beitragen. Während der Corona-Zeit hat er mit dem Joggen angefangen – und geht mittlerweile nahezu jeden Morgen um die 15 Kilometer im Volkspark laufen. Dass er nun ab Sommer neben einer neuen Laufstrecke auch noch einen neuen Job braucht, hat er mittlerweile realisiert: „Prinzipiell ist das mein Traumjob bei meinem Traumverein“, sagt Wettstein – und gibt ehrlich zu: „Das hätte ich vor sieben Jahren nicht für möglich gehalten.“

Hannover 96, der kommende Gegner des HSV, hat sich nach nur fünf Monaten von Trainer Jan Zimmermann getrennt. Als Nachfolger wird u. a. Ex-HSV-Trainer Daniel Thioune gehandelt. Kurios: Bevor Zimmermann bei Hannover zugesagt hatte, soll er auch schon beim HSV als neuer sportlicher Leiter im Nachwuchs im Wort gewesen sein. Diese Position ist weiterhin vakant.