Hamburg. Nach dem starken Heimspiel des HSV gegen Regensburg folgte trotz Minuskulisse eine Feier mit dem Trainer.
Am Morgen danach ist die Stimme noch immer ein wenig belegt. „Es war ein denkwürdiger Abend“, sagt Muchel am Telefon. Viel geschlafen hätte er nicht, aber die Feste müsse man nun mal so feiern, wie sie fallen. Jan-Michel „Muchel“ Deutsch muss zunächst noch einmal rekapitulieren, wo genau er denn den beeindruckenden 4:1-Sieg seines HSV gegen Jahn Regensburg zelebriert hat.
An die HSV-Kneipe „Windschirm“ am Hallerplatz erinnert er sich jedenfalls noch. Genauso wie an die glückliche Fügung, dass er den Absprung geschafft hat, bevor die Meute weiter ins „Zwick“ am Mittelweg gezogen ist. Doch was der Sänger der HSV-Band Abschlach am meisten erinnert: Die große Party in der Loge direkt nach dem Spiel.
„So eine Feier brauchte man mal wieder als HSV-Fan“, sagt Muchel, der direkt nach dem umjubelten Abpfiff aus einer anderen Loge in die sogenannte Loooge wechselte. Diese Loooge (mit drei „o“s) an der Ecke zwischen Ost- und Nordtribüne gilt seit einigen Wochen als das neue Feier-Epizentrum.
HSV-Coach Walter feiert in der Loge
Der einzige Haken: In den bisherigen sechs Heimspielen des HSV konnte überhaupt erst ein mickriger Sieg (2:1 gegen Sandhausen) von den Initiatoren um den früheren Hockey-Weltklassespieler Moritz Fürste, seinen Bruder Jonas, Goldkehlchen-Frontmann Flemming Pink und die HSV-Podcaster Gato und Kai („HSV – meine Frau“) so richtig gefeiert werden.
„Wir hatten ein bisschen was nachzuholen“, sagt Muchel, der sich später auch noch über einen ganz besonderen Feier-Gast freuen durfte: HSV-Trainer Tim Walter.
Nachdem der Coach auf der Pressekonferenz alles gesagt hatte, was es nach so einem Galaauftritt zu sagen gibt, war der 46-Jährige noch mal auf einen Abstecher in den VIP-Bereich vorbeigekommen. Als er an der offenen Loooge vorbeischlenderte, zog ihn Ersatztorhüter Tom Mickel schließlich zu der 2G-Feiergesellschaft rein. Gemeinsam wurde „HSV – durch dick und dünn“ und „Mein Hamburg lieb ich sehr“ geschmettert, ehe Walter unter donnerndem Applaus weiterzog. „Der Trainer war textsicher“, so Muchel. „Er hat auf jeden Fall die richtigen Töne getroffen.“
Kittel erwischte einen HSV-Sahnetag
Die muss Walter auch schon ein paar Stunden zuvor in der Abschlussbesprechung vor der Partie getroffen haben. „Der HSV war heute wirklich gut“, gab später auch Regensburgs Trainer Mergim Selimbegovic ohne Umschweife zu. „Der Sieg war verdient. Er hätte höher ausfallen können.“ Dabei dürften sich Selimbegovic und Walter einig gewesen sein, dass der herausragende Protagonist in einer guten HSV-Mannschaft Mittelfeldmann Sonny Kittel war. „Ich will keinen herausheben. Aber wenn ich einen heraushebe, dann Sonny“, sagte Walter, ehe in der Loooge vorbeischaute.
Ein Jubel schöner als der andere bei der HSV-Party
Der spielstarke Regisseur, der als echter Gefühlsspieler gilt, hatte tatsächlich einen wirklichen Sahnetag erwischt. Zwei Treffer (das 2:1 durch Faride Alidou/45. und das 4:1 durch Anssi Suhonen/87.) hatte Kittel mustergültig vorbereitet, zudem verwandelte er den Foulelfmeter, den er selbst herausgeholt hatte, sicher zum 3:1 (65.). „Es hat heute sehr viel Spaß gemacht. Wir haben uns belohnt für die Art und Weise, wie wir seit Wochen Fußball spielen. Das macht mich stolz“, sagte Kittel bei Sky.
Kittel bricht sein HSV-Schweigen
Der Spaßfußballer hatte sich zuvor seit knapp einem Jahr öffentlich nicht mehr geäußert, nachdem er im Dezember 2020 nach zwei Unbeherrschtheiten mit Gelb-Rot vom Platz geflogen und dafür (teils heftig) kritisiert worden war. In dieser Saison ist er ruhiger, erfahrener – und auch älter geworden. „Ich war heute wieder der älteste Feldspieler unserer Mannschaft. Das ist schon lustig, so alt bin ich doch noch gar nicht“, sagte der 28 Jahre alte „Oldie“, der gerade erst mit seiner Familie von der hippen Neuen Mitte in Altona ins gediegene Nienstedten gezogen ist.
„Sonny ist als Fußballer und als Mensch gereift“, sagte Trainer Walter, der neben Kittel auch ungefragt jeden weiteren Spieler aufzählte und belobigte. „Wir haben heute von Anfang an gezeigt, dass wir dieses Spiel unbedingt gewinnen wollen“, sagte der Coach.
HSV-Youngster begeistern
Besonders die jungen Talente konnten neben „Opa“ Sonny begeistern. Allen voran Alidou, aber auch die Mittelfeldmänner Ludovit Reis (21) und Anssi Suhonen (20), sowie die Abwehrspieler Mario Vuskovic (20) und Miro Muheim (23).
„Es waren die 90 konstantesten Minuten in dieser Saison“, lobte auch Sportdirektor Michael Mutzel, der beim Spaziergang an der Elbe am Sonntag aber auch um eine realistische Einschätzung bemüht war: „Man darf auch nicht vergessen, dass bei Regensburg kurzfristig drei wichtige Defensivspieler krank ausgefallen waren.“
HSV spielte erstmals konstant über 90 Minuten
Tatsächlich waren die Ausfälle der erkälteten Alex Meyer (Torhüter), Steve Breitkreuz (Innenverteidiger) und Benedikt Saller (Rechtsverteidiger) der bisherigen Überraschungsmannschaft dieser Saison von Anfang an anzumerken. Reis’ Führungstreffer zum 1:0 (31.) war nur die logische Folge, nachdem besonders Stürmer Robert Glatzel bereits eine ganze Reihe von Chancen nicht verwerten konnte.
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Doch anders als bei vorherigen Heimspielen, als der HSV auch oft sehr stark begann und dann sehr stark nachließ, ließen sich die Hamburger diesmal noch nicht mal durch den zwischenzeitlichen Ausgleich durch Jan-Niklas Beste (33.) aus dem Tritt bringen.
„Da wollen wir jetzt weiter anknüpfen“, sagte Kittel, den genauso wenig die Minuskulisse von nur 22.505 Zuschauern wie das erneute Fernbleiben der Ultras irritierte. „In gewisser Weise waren wir diesmal die Stimmungs-Ultras“, sagt Muchel, der sich schon jetzt auf den nächsten Besuch in der Loooge freut. Und vielleicht kommt ja auch wieder Vorsänger Tim Walter vorbei.