Hamburg. Spieler und Fans genießen den Sieg gegen Werder Bremen. Doch was kommt danach? Ein Blick in die Historie sollte Warnung genug sein.
Nach dem historischen Derbysieg ist vor dem Spitzenspiel: Durch das 2:0 bei Werder Bremen – dem ersten Triumph beim Nordrivalen seit fast sechs Jahren (3:1 in der Ersten Bundesliga am 28. November 2015) und zwangsläufig ersten in der Zweiten Liga – hat sich der HSV im deutschen Fußball-Unterhaus nach sieben Spieltagen nun immerhin schon auf auf Rang sechs hochgearbeitet.
Am Wahlsonntag (13.30 Uhr/im Liveticker auf abendblatt.de) kommt es damit zu einem echten Spitzenduell mit dem Viertplatzierten 1. FC Nürnberg.
HSV winkt der Sprung auf Platz eins
Sollte dem HSV im Volksparkstadion dabei der dritte Sieg in Folge gelingen, winkt bei optimalem Verlauf des 8. Spieltages sogar erstmals in der aktuellen Saison der Sprung auf einen direkten Aufstiegsplatz.
Besonders kühne Optimisten könnten die Mannschaft von Trainer Tim Walter am Sonntagnachmittag sogar ganz an der Spitze wähnen – dafür müssten zunächst „nur“ die beiden Erstplatzierten Paderborn (gegen Kiel mit neuem Trainer) und Regensburg (gegen Aue mit neuem Trainer) ihre Heimspiele verlieren und die zweite Spitzenpartie des Wochenendes, Karlsruher SC gegen FC St. Pauli, bestenfalls keinen Sieger finden.
HSV und die Tabelle: Walter wird deutlich
Was Walter von derlei Rechenspielen halten dürfte, ließ er schon unmittelbar nach dem Coup gegen Bremen erahnen. „Das ist mir sch... egal“, entgegnete der 45-Jährige noch am späten Sonnabend im Weserstadion unmissverständlich auf die Frage der Sport1-Moderatorin Ruth Hofmann nach der Bedeutung der aktuellen Tabellensituation.
Auch für Tim Leibold kommt eine Bewertung aufgrund der Platzierung noch zu früh. „Man sollte immer acht bis zehn Spieltage abwarten, um zu sehen, wo die Reise hingehen kann“, sagt der Außenverteidiger, der den HSV gegen Nürnberg für den Gelb-Rot gesperrten Schlüsselspieler Sebastian Schonlau („das tut uns weh“) als Kapitän aufs Feld führen wird.
HSV sieht sich in Entwicklung bestätigt
Das Duell mit seinem Ex-Club hievt Leibold dennoch in die Kategorie Spitzenspiel: „Auch unter dem Aspekt, dass Nürnberg noch kein Spiel verloren hat und wir in den letzten Wochen richtig gut drauf sind.“ Die Siege gegen Sandhausen und Bremen sieht der 27-Jährige als „Bestätigung für die Entwicklung der letzten Wochen, die wir mit dem Trainerteam und der Mannschaft gemacht haben“.
Speziell der Erfolg im Nordderby gebe der Mannschaft nun zusätzlichen Auftrieb, spürt Leibold: „Es war ein sensationeller Abend, der uns Schwung geben sollte für die nächsten Wochen.“ Leibolds Chef bewertet dies ähnlich. „Wir hatten schon nach dem Sieg gegen Sandhausen Rückenwind", sagte Walter nach dem Triumph von Bremen: „Das gibt uns natürlich noch mehr Schub.“
Derbyfluch? Der HSV sollte gewarnt sein
Dabei ist für den HSV gegen Nürnberg nicht nur wegen der Stabilität der Franken, sondern auch aus der eigenen Derby-Historie heraus Vorsicht geboten. Denn gerade nach den letzten Erfolgen in den prestigeträchtigen Nordduellen setzte oftmals allzu schnell Ernüchterung ein.
- Nach 2:0 in Bremen: Der HSV kann ja doch Derby
So folgten für Hamburg auf das 3:1 in Bremen im Herbst 2015 eine ernüchternde 1:3-Heimniederlage gegen Mainz und insgesamt sechs Spiele ohne Sieg. Auch nach dem letzten Derby-Heimsieg gegen Werder (2:1 am 31. Spieltag 2015/16) sah es mit zwei tor- und sieglosen Spielen wenig besser aus.
HSV und die Derbys: Auf Sonne ganz viel Regen
In unguter Erinnerung sind den HSV-Fans auch die Spieltage nach dem letzten Erfolg im Stadtderby: Der ausgiebig zelebrierte 4:0-Sieg beim FC St. Pauli in der Zweitligasaison 2018/19 hatte eine Horrorserie von fünf Niederlagen sowie drei Unentschieden und schließlich den verpassten Wiederaufstieg zur Folge.
Auch die Euphorie nach dem vorigen Sieg gegen St. Pauli – ebenfalls ein 4:0 am Millerntor – wurde im Endspurt der Saison 2001/02 mit zwei 3:4-Niederlagen jäh verspielt. Nach dem letzten Erfolg gegen Nordrivale Hannover 96, ein 3:0 im September 2019, setzte es für den HSV schließlich umgehend ein 0:2 bei St. Pauli.
HSV will gegen Nürnberg nur "super" sein
Nun gilt es für Walter und seine Profis also besonders, die Konzentration hochzuhalten. Verbesserungspotenzial gibt es trotz der zuletzt zwei Siege in Serie ohnehin, das weiß auch Leibold. Gegen Sandhausen und Bremen habe das Team zeitweise die Kontrolle über das Spiel verloren – und zu viele Torchancen ungenutzt gelassen.
„Wir müssen schneller den Sack zumachen, dann ist der Fisch geputzt“, sagt Leibold. „Gegen Sandhausen haben wir super aufgehört, gegen Bremen haben wir super angefangen und super aufgehört.“ Zielsetzung gegen Nürnberg sei nun, das Beste aus diesen zwei Welten zu vereinen.
HSV zwischen Feiern und Konzentration
„Ich glaube, so einen Derbysieg darf man auch mal gebührend feiern“, sagte Leibold am Tag nach dem Sieg an der Weser. „Natürlich kann uns das irgendwo tragen.“ Gleichwohl dürfe die Mannschaft nicht vergessen, dass Glück und Pech im Fußball nahe beieinander lägen. Deshalb werde sich das Team ab Mitte der Woche dann „voll und ganz auf den Club“ konzentrieren.
Am Dienstag nahmen sowohl der HSV als auch der 1. FC Nürnberg die Vorbereitung auf das Traditionsduell auf. Den Derby-Sieg bezeichnete Walter in dem Zuge als „Schnee von gestern“: „Das ist nach dem Spiel schön und vielleicht noch einen Tag später. Aber jetzt ist schon wieder Fokus auf das neue Spiel.“
Leibold: „Am Sonntag kann es weitergehen“
Und auch am Valznerweiher möchte man vor dem Spiel im Volkspark der eigenen Platzierung noch keine allzu große Bedeutung beimessen. „Natürlich ist das gerade eine schöne Momentaufnahme, aber zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht so wirklich interessant“, sagte „Club“-Mittelfeldspieler Tom Krauß nach dem 1:0-Arbeitssieg gegen Hansa Rostock. „Wir denken nicht an die Tabelle. Wir denken von Spiel zu Spiel und wollen Sieg für Sieg holen.“
- Ben-Hatira: „Es wäre ein Traum, zum HSV zurückzukehren“
Beim HSV klingt dies aus Walters Munde ähnlich: „Wir gucken von Woche zu Woche, und wenn wir nächste Woche gewinnen, dann bin ich zufrieden.“ Leibold indes freut sich nun auf das Spiel und das Wiedersehen alter Bekannter: „Und dann kann es am Sonntag hier wieder weitergehen. Auch der Club wird noch einige Spiele verlieren.“
Das hat er zuletzt aber tatsächlich äußert selten, genau genommen nur einmal in den saisonübergreifend letzten 17 Zweitligaspielen – beim 2:5 in Hamburg am 10. Mai. „Dann tun wir uns auf, diese Serie wieder zu unterbrechen“, sagte Tim Walter am Dienstag nach der ersten Trainingseinheit in der Vorbereitung auf das Nürnbergspiel.