Hamburg. Nach dem sportlichen Desaster muss Vorstand Frank Wettstein die finanziellen Folgen erklären. Eine positive Überraschung hat er parat.
Es ist schon ein paar Tage her, da erhielten die Aufsichtsräte des HSV elektronische Post. Ein kleiner Überblick über die aktuelle Finanzsituation der HSV Fußball AG. Nicht mehr, nicht weniger.
Doch die Zahlen, die direkt beim ersten Lesen ins Auge stachen, wirkten ähnlich alarmierend wie die Zahlen, die wenige Tage später auf der Anzeigentafel an der Bremer Brücke aufleuchteten: Osnabrück 3, HSV 2. Die unmittelbaren Auswirkungen dieser Zahlen: Der Traum vom Aufstieg – geplatzt!
An die mittelbaren Auswirkungen dachte am Sonntagabend wahrscheinlich noch kein HSV-Verantwortlicher. Doch so ungewöhnlich es auch klingen mag: Tatsächlich hat der nun feststehende dritte Nicht-Aufstieg in Folge die zuvor per Mail angekündigten Zahlen des Grauens verhindert oder zumindest relativiert.
Denn während in dem Schreiben noch von einem Rekordminus im laufenden Geschäftsjahr von 21 Millionen Euro bei einem auf 15 Millionen Euro zusammengeschrumpftem Eigenkapital die Rede war, ist davon in der Post-Osnabrück-Zeit nicht mehr viel übrig geblieben.
Bundesliga-Aufstieg hätte HSV Rekordminus eingebracht
Der kuriose Hintergrund: Der HSV spart einen erheblichen Millionenbetrag an Aufstiegsprämien und wird dadurch – Stand jetzt – definitiv unter dem bisherigen Rekordminus von 16,9 Millionen Euro aus der Saison 2014/15 bleiben.
Grund für eine spontane Finanzparty sind diese Rechnereien aber natürlich nicht. Denn auch wenn der Nicht-Aufstieg kurzfristig einen positiven Effekt auf den laufenden Geschäftsbericht hat, bleiben die langfristigen Auswirkungen verheerend.
Bestes Beispiel TV-Geld: Statt Einnahmen in der Bundesliga von rund 35 Millionen Euro muss der HSV in der kommenden Saison mit lediglich 19 Millionen Euro in der Zweiten Liga rechnen. Auch die erhofften Sponsoren-, Hospitality- und Zuschauereinnahmen fallen – natürlich auch abhängig von der Corona-Lage – sehr viel geringer aus. Der Umsatz wird erstmals in diesem Jahrtausend auf unter 50 Millionen Euro fallen.
Wettstein muss HSV-Finanzen am 1. Juni erklären
Einen etwas genaueren und aktuelleren Finanzreport dürfen die Anteilseigner der HSV AG bereits am 1. Juni erwarten, wenn der Vorstand auf der bereits terminierten Hauptversammlung Bericht erstattet. Aufsichtsratschef Marcell Jansen wird der Gastgeber sein, Jonas Boldt und Frank Wettstein die Hauptredner. Sportvorstand Boldt soll den Anteilseignern die sportliche Schieflage erklären, Finanzvorstand Wettstein muss die finanzielle Misere erläutern.
Geladen sind neben dem HSV e.V, der kommissarisch durch Geschäftsführer Kumar Tschana vertreten sein wird, auch die Anteilseigner Klaus-Michael Kühne, der 20,44 Prozent der AG-Anteile hält, und sämtliche Minderheitsaktionäre (Helmut Bohnhorst, die Erbengemeinschaft des verstorbenen Unternehmers Alexander Margaritoff, die Familie Burmeister, sowie die AMPri Handelsgesellschaft aus Winsen/Luhe).
Die Anteilseigner dürfen auch Vertraute mitbringen. Milliardär Kühne setzt beispielsweise gerne auf die Expertise von Ex-Aufsichtsratschef Karl Gernandt und dem noch immer aktuellen Kontrolleur Markus Frömming.
Die schlechte Nachricht vorweg: Die finanzielle Lage sieht nach drei Jahren in der Zweiten Liga und 14 Monaten Corona-Krise nicht gut aus. Die etwas bessere Nachricht: Es gibt allerdings auch jede Menge Clubs, denen es finanziell noch deutlich schlechter als dem HSV geht. Absteiger Schalke 04 zum Beispiel. Und vor allem: Werder Bremen.
Der Nordrivale, dem am kommenden Wochenende der erste Abstieg seit 40 Jahren droht, muss im Gegensatz zum HSV noch bis zum 15. September eine Liquiditätslücke schließen, um die erteilten Auflagen und Bedingungen für eine DFL-Lizenz zu erfüllen. „Ansonsten erfolgt ein Punktabzug von sechs Punkten mit sofortiger Wirkung“, heiß es in dem 219 Seiten langen Wertpapierprospekt, den Werder in dieser Woche veröffentlichte, um von Privatanlegern 20 bis 30 Millionen Euro einzusammeln.
HSV will kein KfW-Darlehen beantragen
Ähnliche Anleihen haben auch der HSV und Schalke in der jüngeren Vergangenheit bereits zweimal aufgelegt. Allerdings wurde die letzte Fan-Anleihe beim HSV mit bis zu sechs Prozent verzinst. Bei Werder können risikofreudige Anleger sogar mit einer Verzinsung von bis zu 7,5 Prozent rechnen, was ein sicherer Indikator für das erhebliche Risiko ist.
„Dieses Risiko ist aktuell insbesondere dadurch wesentlich erhöht, dass die Gesellschaft im Zwischenkonzernabschluss zum 31.12.2020 einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von rund 30,6 Millionen Euro ausweist“, heißt es in dem Werder-Prospekt.
Anders als Bremen und viele weitere Clubs wie auch der FC St. Pauli, der 1. FC Köln, Schalke, Eintracht Frankfurt und der VfB Stuttgart will der HSV weiterhin darauf verzichten, einen KfW-Bank-Darlehensantrag oder einen Antrag für eine Landesbürgschaft zu stellen. Ohne die Hilfe der Stadt kommt aber aufgrund der andauernden Corona-Krise auch der HSV nicht aus. So sind die 23,5 Millionen Euro für das Erbbaurecht auf dem Stadiongelände zwar noch nicht eingezahlt, aber längst eingebucht worden.
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Oder in anderen Worten: Ohne das Geld der Stadt hätte der HSV die Latte des Millionen-Rekordminus locker gerissen. Der kleine, aber feine Unterschied zu Werder, St. Pauli und Co: Diese Clubs müssen das geliehene Geld sehr kurzfristig zurückzahlen. Der HSV hat bis auf die jährlichen Zinszahlungen von 500.000 Euro bis zum Jahr 2087 Zeit.
Bleibt nur die Hoffnung, dass sich der Club nicht ähnlich lange Zeit lässt bis zum ersten Aufstieg der Vereinsgeschichte in die Bundesliga.