Hamburg. Obwohl seine Trainerkarriere im Club bescheiden war, glaubt nicht nur Hrubesch an die Wende. Auch die Fans haben wieder Hoffnung.

Mit 70 Jahren hat man natürlich allerhand gesehen in seinem Leben. Den Pokal der Landesmeister beispielsweise. Sogar aus nächster Nähe. Ein volles Maracanã. Paul Breitners volle Haarpracht. Volle Eimer beim Dorsche-Angeln. Jede Menge Talente, Tore, Trophäen – und natürlich auch Fans. Doch als am Sonntagmittag rund 50 bis 60 meist schwarz gekleidete HSV-Anhänger beim Abschlusstraining erschienen, machte auch Horst „Ich habe alles erlebt“ Hrubesch für einen Moment große Augen.

Die vorgezogene Abschlusseinheit vor dem heutigen Spiel gegen den 1. FC Nürnberg (20.30 Uhr/Sky und im Live­ticker bei abendblatt.de) war gerade vorbei, als er und sein Team sich auf den Weg zurück von Trainingsplatz eins in Richtung Stadion machen mussten – und nicht wirklich wussten, was sie nun erwarten würde. Es wurde, so viel sei verraten, eine gelungene Überraschung.

„HSV, HSV, HSV“, schrien die Fans, die eigentlich seit mehr als einem Jahr Corona-Pandemie nicht mehr zu hören sind. Nicht einmal 90 Sekunden dauerte das lautstarke Spektakel, das aber für die 90 Minuten an diesem Montag großen Einfluss haben soll. „Das war schon fantastisch, was da abgegangen ist. Man hat in den Gesichtern der Spieler gesehen, wie sehr sie sich gefreut haben. Eine dolle Geschichte“, sagte Hrubesch wenig später auf seiner ersten (und bislang einzigen) Pressekonferenz als HSV-Trainer. „Das zeigt doch, was diesen HSV ausmacht. Wir sind eine Familie – und wir glauben alle bis zum letzten Tag dran.“

Hrubesch: Der HSV lebt noch!

Mehr als 30 Minuten dauerte Hrubeschs Wort zum Sonntag, das keine Zweifel daran aufkommen lassen sollte, dass sechs Tage nach der Entlassung Daniel Thiounes die Hoffnung im Volkspark zurück ist. „Wir leben noch“, sagte Hrubesch nach seiner ersten Woche als Hoffnungsträger. „Ich gehe auf den Platz, um Spiele zu gewinnen.“

Das hat der so zuverlässige Hrubesch (Zitat: ​„Manni Banane, ich Kopf – Tor“) eigentlich schon immer in seinem Fußballleben so gemacht. „Onkel Hotte“ sagt, was er denkt. Einfach, klar, geradeaus. Anders als Nürnbergs Robert Klauß, dem Hrubesch heute im Volksparkstadion erstmals als HSV-Cheftrainer die Hand schütteln darf, spricht der Fußballlehrer nicht von Matchplänen, von Pressinglinien, asymmetrischen Linksverteidigern oder breit ziehenden Zehnern.

„Der Lange“ redet viel – ohne viel dabei zu sagen. Er spricht von „arbeiten, kämpfen, fighten“, von „machen, tun, funktionieren“ und von „wir müssen um jeden Quadratzentimeter kämpfen.“

Hrubesch glaubt noch an Platz 3 beim HSV

Hrubesch ist kein Freund des komplizierten Kommasatzes. „Wir werden Gas geben“, sagte er gestern. Oder: „Wir haben Qualität.“ Und mehr als ein Dutzend Mal sprach er in seiner ersten Pressekonferenz als Nur-Hrubesch-kann-den-HSV-retten-Übergangstrainer von einer „tollen Geschichte“, einer „super Geschichte“, der „ganzen Geschichte“ oder einfach „diese Geschichte“.

Nun, wie „diese dolle Geschichte“ tatsächlich ausgeht, weiß natürlich noch niemand. Allerdings hatte selbst Optimist Hrubesch Zweifel, dass der HSV noch den zweiten Platz erobern kann. „Wenn, dann geht es über die Relegation“, sagte der Drei-Spiele-Coach, der in diesem Fall zum Fünf-Spiele-Coach werden würde.

Wenn man also so will, dann steht an diesem Montagabend gegen Nürnberg das Vorrundenfinale auf dem Programm, ehe gegen Osnabrück (Achtelfinale) und Braunschweig (Viertelfinale) sowie mit den Relegationsspielen (Halbfinale und Endspiel) die weiteren K.-o.-Partien im Aufstiegskampf folgen.

Warum sich Hrubesch den HSV antut

Die gute Nachricht: Kaum einer kennt sich mit großen Turnieren so gut aus wie Hrubesch, der als Trainer schon zweimal Europameister wurde und (im vollen Maracanã) eine olympische Silbermedaille erhielt. Die schlechte Nachricht: Seine Karriere als Clubtrainer ist nicht nur lange her, sie war vor allem auch wenig erfolgreich.

Seine Stationen: Rot-Weiss Essen, SC Westtünnen, VfL Wolfsburg, FC Swarovski Tirol, Hansa Rostock, Dynamo Dresden, FK Austria Wien und schließlich Samsunspor. Acht Clubs innerhalb von elf Jahren, in denen Hrubesch von 1986 bis 1997 verantwortlich war und die eigentlich nur eines gemeinsam hatten: ausbleibenden Erfolg.

Das alles: lange her. Und deswegen taugt der Blick in den Rückspiegel auch nur bedingt. „Die alten Zeiten helfen uns nicht mehr“, sagte Hrubesch am Sonntag – und meinte damit aber vor allem seine großartigen Zeiten als 83er, WM- und EM-Teilnehmer. „Warum tue ich mir so etwas noch an?“, fragte er sich nun selbst auf der Pressekonferenz, um sich auch direkt die Antwort zu geben: „Weil ich noch immer viel Spaß an allem habe.“

Hrubesch bringt Meißner beim HSV

Und genau diesen Spaß wollte Hrubesch in den vergangenen Tagen auch den HSV-Spielern vermitteln. „Ich habe den Eindruck gewonnen, dass die Jungs ein bisschen freier und offener geworden sind“, sagte der Kommunikator. Er führte Einzelgespräche mit Bakery Jatta („Wir unterstützen ihn“), Simon Terodde („Bin von ihm überzeugt“) und Robin Meißner („Macht einen guten Job“). Ob der 21-Jährige, der unter Thioune noch nie von Anfang an spielen durfte, heute Abend gegen Nürnberg direkt beginnen darf, wollte Hrubesch am Tag zuvor öffentlich noch nicht verraten. Nur so viel: „Die Spieler wissen schon Bescheid.“

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Auch Hrubesch weiß, wovon er redet. Und er weiß auch: Aller Anfang ist schwer. Das gilt sogar für seine Ausnahmekarriere beim DFB, mit dem er nahezu alles gewinnen konnte. Bei seinem ersten Mal als DFB-Coach saß er nach dem EM-Debakel 2000 und dem Vorrundenaus, wo er Erich Ribbeck als Co-Trainer assistierte, auf der Bank und weinte.

Nun hofft ganz Hamburg auf Freudentränen. Nach dem regulären Saisonfinale am 23. Mai. Und dann gerne auch nach einer erfolgreichen Relegation wenige Tage später. Schaut man auf die Tabelle, sind Zweifel erlaubt. Hört man aber nur Hrubesch zu, dann muss man einfach dran glauben. Denn: „Es macht keinen Sinn mehr, Spiele zu verlieren.“

Voraussichtliche Aufstellungen:

HSV: Ulreich – Vagnoman, Leistner, Heyer, Leibold – Onana, Kinsombi – Jatta, Kittel – Meißner, Terodde.

Nürnberg: Mathenia – Valentini, Mühl, Sörensen, Handwerker – Geis – Krauß, Hack – Möller Daehli – Shuranov, Dovedan.