Hamburg. In der Vergangenheit wurden Spieler beim HSV eher schlechter als besser. Ist die Lösung dieses Phänomens gefunden? Eine Spurensuche.

Michael Mutzel schaute am Donnerstagvormittag persönlich vorbei. Der Sportdirektor des HSV ging die Treppe am Volksparkstadion herunter und machte sich während der Trainingseinheit ein Bild von dem auch von ihm zusammengestellten Kader. Was er beim Spiel „Elf gegen Elf“ auf dem Platz neben dem HSV-Campus sah, ließ jedoch nur wenig Rückschlüsse auf die Startelf für das kommende Heimspiel am Sonntag gegen den VfL Bochum (13.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) zu.

Wie so häufig tauschte Trainer Daniel Thioune munter zwischen seiner vermeintlichen A-Elf und den Reservisten durch. Damit hält der Coach den Druck bis zum Spieltag hoch – und pusht seine Spieler zu Höchstleistungen.

Unter Thioune ist ein neuer Konkurrenzkampf beim souveränen Tabellenführer der 2. Bundesliga entstanden, der dazu geführt hat, dass einige Profis mehr aus ihrem Potenzial herausholen. „Die positive Entwicklung einiger Spieler ist einer der Gründe, warum es aktuell gut läuft“, sagt Mutzel im Gespräch mit dem Abendblatt.

Fünf HSV-Spieler wurden schon besser

Dass Spieler in Hamburg auch besser werden können, ist eine neue Erkenntnis beim HSV. War es in der Vergangenheit stets ein schier unerklärbares Phänomen, warum Profis in der Hansestadt nicht ihr volles Leistungsvermögen abgerufen haben, scheint es in dieser Saison anders zu verlaufen.

Mit den Talenten Manuel Wintzheimer (21), Stephan Ambrosius (21) und Amadou Onana (19), die sich einen Stammplatz erkämpft haben, sowie dem wiedererstarkten Khaled Narey (26) und dem in puncto Torbeteiligungen deutlich effektiveren Jeremy Dudziak (25) haben sich zum jetzigen Zeitpunkt bereits fünf Spieler im Vergleich zu den Jahren davor verbessert – oder wie der HSV sagen würde: entwickelt. Eine Einschätzung, die auch Mutzel teilt. „Gerade die jungen Spieler haben große Schritte gemacht. Das war auch vor der Saison unsere Idee.“

Entwicklung: Der HSV-Weg scheint aufzugehen

Nach dem verpassten Aufstieg hatte der HSV eine neue Ausrichtung des Clubs verkündet. „Wir wollen den Schwerpunkt vermehrt auf die Entwicklung legen“, sagte Sportvorstand Jonas Boldt Anfang Juli bei der Antrittspressekonferenz des neuen Trainers Daniel Thioune. Um dieses Ziel zu verwirklichen, verpflichtete der Club mit Sven Ulreich (32), Simon Terodde (32), Toni Leistner (30) und Klaus Gjasula (30) vier Ü-30-Spieler, an denen sich die jungen Talente orientieren sollen.

Kritik aus den den einen oder anderen Fankreisen, in denen diese Transfers kritisch gesehen und nicht in die Kategorie Entwicklung einsortiert werden, widerspricht der HSV. Vielmehr vertreten die Verantwortlichen im Volkspark die Ansicht, dass diese sogenannten Säulenspieler eine wichtige Stütze für die junge Mannschaft sind.

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Für diese Theorie sprechen letztlich die gestiegenen Einsatzzeiten für Talente wie Wintzheimer und Ambrosius, die schon länger beim HSV unter Vertrag stehen, aber erst in dieser Saison den Durchbruch geschafft haben. „Der Kader ist bewusst so zusammengestellt, dass junge Spieler nicht so übermäßig viel Konkurrenz auf ihren Positionen haben“, sagt Mutzel.

Narey (l.) und Wintzheimer (M.) haben sich in dieser Saison verbessert. Terodde zählt mit seinen acht Saisontoren zweifellos zu den Leistungsträgern, diese Leistung ist aber nicht überraschend.
Narey (l.) und Wintzheimer (M.) haben sich in dieser Saison verbessert. Terodde zählt mit seinen acht Saisontoren zweifellos zu den Leistungsträgern, diese Leistung ist aber nicht überraschend. © Witters

Verlängert der HSV mit Ambrosius?

Hinzu kommt, dass der HSV mit Daniel Thioune nun einen Trainer hat, der die Entwicklung von Spielern auch fördert. Intern werden speziell die individuellen Videoanalysen des Trainerteams für die Spieler positiv bewertet – gepaart mit dem entgegengebrachten Vertrauen. „Unsere Talente erarbeiten sich Spielzeit und Vertrauen – und der Trainer macht keinen Unterschied zwischen Jung und Alt, sondern setzt auf Leistung“, sagt Mutzel. „Wir sind stolz darauf, dass wir so viele Talente eingebaut haben.“

Mit Stolz würde der HSV auch gerne die Verlängerung des im kommenden Sommer auslaufenden Vertrags von Ambrosius verkünden. Doch die Verhandlungen ziehen sich seit einigen Wochen hin. Der Club bleibt aber optimistisch, zu einer Einigung mit dem Abwehrspieler zu kommen.

HSV-Talente plötzlich mehr wert

Bis auf Ambrosius haben alle Youngster langfristige Verträge beim HSV – und somit auch einen gewissen Wiederverkaufswert. Am Mittwoch aktualisierte das Fachportal „Transfermarkt.de“ die Marktwerte der Profis. Zu den großen Gewinnern im Volkspark zählen wenig überraschend die Spieler, die sich in dieser Saison am besten entwickelt haben.

So steigerte Onana seinen Wert von 400.000 Euro um beachtliche 275 Prozent auf 1,5 Millionen Euro. Wintzheimer machte einen Sprung um 122,2 Prozent von 450.000 Euro auf eine Million Euro, und Ambrosius soll nun 900.000 Euro statt wie bisher 350.000 Euro wert sein (157,1 Prozent).

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Was wird beim HSV aus Amaechi?

Doch wo ein Gewinner, da auch ein Verlierer. Einer, der sich in dieser Saison entwickeln sollte, momentan aber hintendran scheint, ist Xavier Amaechi (19). Abgeschrieben ist der 19 Jahre alte Engländer deshalb aber keinesfalls. Beim HSV weiß man um die Problematik, dass der Flügelstürmer dringend Spielpraxis benötigt, um sich zu entwickeln. Da er diese beim HSV aktuell nicht in Aussicht gestellt bekommt, könnte im Winter ein Verleih infrage kommen.

HSV-Talent Xavier Amaechi (19) könnte im Winter verliehen werden.
HSV-Talent Xavier Amaechi (19) könnte im Winter verliehen werden. © Witters

Doch der Fall Amaechi soll die insgesamt positive Entwicklung der HSV-Spieler nicht trüben. „Dass wir Tabellenführer sind, obwohl wir den Kurs angepasst und vermehrt junge Spieler eingebaut haben, zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind“, sagt Mutzel, der auch am heutigen Freitag wieder den Weg zum Trainingsplatz einschlagen wird.