Hamburg. Während im Volkspark das Wort Aufstieg auf dem Index steht, gibt es für alle anderen keinen größeren Favoriten.
Mit der Favoritenrolle im Fußball ist das immer so eine Sache. Kaum einer will sie übernehmen, sehr gerne gibt man sie weiter, trotzdem will man wie ein Favorit auftreten und im Idealfall auch nach 90 Minuten dem gerecht geworden sein. Wer Anschauungsmaterial in dieser Hinsicht braucht, der sollte sich an diesem Donnerstag das hübsche Spielchen „Hoch- und Tiefstapeln mit dem HSV“ zu Gemüte führen.
Während im fernen Frankenland Greuther Fürths Trainer Stefan Leitl auf der turnusmäßigen Spieltagspressekonferenz vor der Partie seiner SpVgg gegen den HSV am Sonnabend von den Hamburgern schwärmen und sie über den Klee loben wird, dürfte HSV-Coach Daniel Thioune im Mediengespräch über Zoom ab 15.30 Uhr das machen, was er in den vergangenen Wochen so häufig machen musste: Lobhudeleien relativieren und zu große Erwartungen reduzieren.
Der HSV ist der Favorit der Zweiten Liga. Das sieht man eigentlich überall so – außer beim HSV. Das A...-Wort Aufstieg ist clubintern sogar auf den Index gesetzt worden. „Wir haben in den vergangenen zwei Monaten darüber nicht gesprochen und tun gut daran, das auch nicht in der Zukunft zu machen“, sagte gerade erst Kapitän Tim Leibold im Gespräch mit dem Abendblatt. Und Sportvorstand Jonas Boldt wird nicht müde zu wiederholen, dass er dieses Wort noch nie in den Mund genommen habe.
Darmstadts Trainer Anfang irritiert über HSV-Transfers
In Hamburg kommt die neue Bescheidenheit durchaus an – südlich der Elbe sieht man die Sachlage dagegen anders. Vor dem ersten Spiel der Saison gegen Düsseldorf (2:1) betonte Fortunas Trainer Uwe Rösler, dass der HSV in dieser Saison „der große Favorit“ sei. Eine Woche später, vor dem 4:3 in Paderborn, sagte Paderborns Sportchef Fabian Wohlgemuth: „Der HSV ist für mich der Aufstiegsfavorit Nummer eins!“ Und auch Sportchef-Kollege Rachid Azzouzi ist sich vor dem Duell in Fürth sicher: „Natürlich sind die Hamburger – wie in jedem Spiel der 2. Liga – der Favorit.“
Die wohlklingenden Worte sind nicht immer wohlgemeint. So hat sich Darmstadts Trainer Markus Anfang im Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ irritiert über die mutmaßlich kostspieligen HSV-Transfers von Simon Terodde, Sven Ulreich und Co. gezeigt. „Man muss sagen, dass es Mannschaften gibt, da wundert man sich dann auch ein bisschen, wie das alles entsteht, weil man ja auch um die wirtschaftliche Situation durch Corona weiß“, sagte Anfang.
HSV ist trotz Corona der Krösus der 2. Bundesliga
Tatsächlich ist der HSV trotz Corona in dieser Spielzeit der unangefochtene Krösus der 2. Bundesliga. Während die Hamburger mehr als 27 Millionen Euro für Gehälter ausgeben, sind es bei den Absteigern Düsseldorf rund 15 Millionen Euro und bei Paderborn sogar nur zehn Millionen Euro. Dass Geld aber nicht alles ist, weiß kaum einer besser als Nürnbergs Sportvorstand Dieter Hecking, der in der vergangenen Saison als HSV-Trainer trotz des zweithöchsten Etats der Liga abgeschmiert ist. Glaubt man Hecking, wird dem HSV Ähnliches in dieser Spielzeit aber nicht noch einmal passieren: „Bei dieser Qualität muss der HSV zu den Favoriten gehören.“
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Nun denn, das Blöde am Favoritsein ist ja, dass man fast nur enttäuschen kann. Das hat Heckings Nachfolger Thioune am Dienstagabend gleich zweifach beobachten können. Zunächst sah er, wie die U 21 des HSV ein Testspiel gegen Oberligist Dassendorf mit 1:3 verlor. Und dann, wie das deutsche Nationalteam beim 3:3 gegen die Schweiz enttäuschte. „Wie bei vielen Menschen lief die Nationalmannschaft bei mir nur nebenbei“, sagte Thioune am nächsten Morgen. Ähnliches soll beim HSV verhindert werden. Dafür muss der Club nur eines tun: seiner Favoritenrolle gerecht werden.