Hamburg. Melissa Onana tourte durch Europa, um den besten Club für ihren Bruder Amadou zu finden. Dann kam der HSV.

Der Moment, an dem sich ihr Leben und das ihres Bruders veränderte, wird Melissa Onana so schnell nicht vergessen. „Amadou kam mit elf Jahren aus dem Senegal nach Belgien, um Fußballer zu werden“, erinnert sich die 31-Jährige an die fußballerischen Anfänge ihres Bruders, der gerade einen Vierjahresvertrag beim HSV unterzeichnet hat. „Er spielte sofort bei Anderlecht. Doch nach der ersten Saison war er unzufrieden. Ich fragte ihn, was los sei.“

Über seine Antwort muss sie noch heute schmunzeln. „Amadou sagte mir, dass er seine Chance als Fußballer vertan hätte. Ich beruhigte ihn und sagte, dass kein Fußballer der Welt mit elf oder zwölf Jahren seine Karrierechance vertan hätte. Ab dem Moment entschieden wir, dass wir gemeinsam an seiner Chance arbeiten, Profifußballer zu werden.“

Acht Jahre später steht Amadou Zeund Georges Ba Mvom Onana vor dem Volksparkstadion und lacht. Man kann sein Grinsen nicht sehen, weil er einen blauen Mundschutz trägt. Aber die Augen verraten den heute 19-Jährigen. „Meine Schwester spielt bis heute eine sehr große Rolle in meinem Leben. Sie hat mich begleitet, seitdem ich elf Jahre alt bin. Und jetzt stehe ich hier.“

Schwester Melissa verschickte Videos von Onana

Dass Amadou Onana dort steht, hat er tatsächlich zu großen Teilen seiner zwölf Jahre älteren Schwester zu verdanken. „Ich habe damals angefangen, seine Spiele zu filmen, seine besten Szenen zusammenzuschneiden, sie bei YouTube hochzuladen und PowerPoint-Präsentationen von ihm zu machen“, erinnert sich Melissa im Gespräch mit dem Abendblatt. „Ich habe das ganze Material an jeden geschickt, der irgendetwas mit Profifußball zu tun hatte.“

Doch Amadou Onanas Karriere wollte zunächst trotzdem nur langsam Fahrt aufnehmen. Der lange Schlacks, der mittlerweile 1,95 Meter misst, spielte im Nachwuchs von RSC Anderlecht, bei White Star Brüssel und beim SV Zulte Waregem, ehe Melissa erneut das Gefühl hatte, eingreifen zu müssen. „Mittlerweile filmte ich jede Minute von ihm und versuchte, ihn überall zu promoten.“

Clubs aus Belgien, Frankreich und Österreich zeigten an ihrem Bruder Interesse, doch die Geschwister Onana entschieden sich 2017 für das Nachwuchsleistungszen­trum von 1899 Hoffenheim. „In Hoffenheim hatten sie eine Antwort auf jede meiner Fragen. Und ich hatte sehr viel Fragen“, scherzt Melissa.

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Onanas Schwester machte sich einen Namen

„Aus meiner Sicht war es absolut richtig von Amadous Schwester, nach den besten Entwicklungsmöglichkeiten und -perspektiven für ihren Bruder zu suchen und nicht nach den besten Finanzmöglichkeiten“, sagt HSV-Sportdirektor Michael Mutzel, der seinerzeit die Scoutingabteilung Hoffenheims leitete. „Amadou war schon damals ein hochinteressanter Spieler, der aber noch geformt werden musste. Durch die gute Ausbildung ist er athletischer und technisch besser geworden. Er hat sich super weiterentwickelt.“

Doch nicht nur Amadou entwickelte sich weiter. In der Fußballszene machte sich auch seine Schwester einen Namen. Schnell wurde klar, dass die junge Frau, die in Belgien groß geworden ist, aber auch in Asien, Afrika, den USA, London und im wunderschönen Heilbronn gewohnt hat, nicht nur das Zeug hat, ihren eigenen Bruder zu vertreten.

„Wahrscheinlich wurde ich vor acht Jahren ein Berater, als ich meinen Bruder beriet – und gar nicht wirklich merkte, dass ich schon da als Berater arbeitete“, sagt Melissa, die mittlerweile seit zweieinhalb Jahren in der international anerkannten Berateragentur SBE arbeitet.

Melissa betreut mehrere Fußballer in mehreren Ländern

„Die SBE – Definitiv keine One-Man-Show“, steht auf der Homepage, auf der das internationale Beraterteam mit 19 Männern vorgestellt wird. Und mit einer Frau: Melissa Onana. Amadous große Schwester betreut Spieler in Belgien, Portugal, dem Senegal – und seit diesem Sommer auch in Hamburg.

„Von allen Clubs, zwischen denen wir uns entscheiden mussten, zeigte uns der HSV am besten auf, wie sich Amadou entwickeln kann. Und natürlich spielte Michael Mutzel eine große Rolle. Er kannte Amadou schon aus Hoffenheim“, sagt Melissa, die in Kürze nach Hamburg zu Besuch kommen will. Ihr Bruder und dessen Freundin haben mittlerweile eine Wohnung im Norden Hamburgs gefunden und fühlen sich pudelwohl.

„Ich glaube, dass ich alles richtig gemacht habe“, sagt Amadou Onana am Dienstagmittag. Der Teenager spricht fließend Deutsch – und erzählt ganz nebenbei, dass er auch Englisch, Französisch, Holländisch und Wolof, die Sprache aus seiner Heimat, perfekt beherrsche. „Ich möchte mich hier in Hamburg entwickeln, ich möchte gefordert werden – und ich möchte spielen“, sagt er.

Onana: Erst zwei Testspiele im Männerbereich

Gespielt hat er bereits vor zehn Tagen. 1:0 gegen Hansa Rostock. Nur ein Testspiel. Einerseits. Aber andererseits erst sein zweites Herrenspiel nach einem Kurzeinsatz mit Hoffenheim bei einem Test gegen den FC Sevilla im vergangenen Winter. „Gegen Rostock habe ich in den ersten Minuten ganz schön auf die Hölzer bekommen. Das war wohl mein Willkommensgeschenk im Profibereich“, sagt Onana. „Solche Geschenke werde ich wohl häufiger bekommen. Aber ich werde auch welche verteilen.“

Als seine Schwester hört, dass er an diesem Dienstag seine erste Interviewrunde gibt, sagt sie, man solle ihn fragen, was er noch erreichen wolle. Amadou überlegt. „Ich will Fußball spielen. Was danach kommt, wird man sehen.“

Eine Antwort, die Melissa nicht besser hätte formulieren können. Aber nicht nur sie ist stolz auf ihren Bruder. Auch Amadou ist stolz auf seine Schwester. „Als Frau in so einem Business einzusteigen ist nicht einfach. Sie macht es richtig gut“, sagt der HSV-Neuzugang. „Ich bin sehr froh, sie an meiner Seite zu haben.“​