Hamburg. Trainer-Duo Merlin Polzin und Daniel Thioune haben einen Plan ausgearbeitet und wollen eine neue HSV-Philosophie entwickeln.
Es ist bereits sechs Jahre her, dass ein Zuschauer das Trainerleben des heutigen HSV-Coachs Daniel Thioune nachhaltig veränderte. Ein Student hatte sich damals eine Trainingseinheit der U 17 vom VfL Osnabrück angeschaut, die der damalige Traineranfänger Thioune gerade erst übernommen hatte. Als die Einheit vorbei war, ging der 23-Jährige auf den früheren Profi zu, stellte sich vor und fragte, ob er mal ein paar Tage bei ihm hospitieren dürfe.
Im Gegenzug könne er Thioune anbieten, mal nach Hamburg zu fahren und Gegneranalysen der U-17-Nachwuchsmannschaften des HSV und vom FC St. Pauli anzufertigen. Thioune willigte ein – und war doch überrascht, als er wenig später tatsächlich eine detaillierte Ausarbeitung der beiden U-17-Teams auf seinem Schreibtisch fand. Das Ende der Geschichte: Der Kiebitz durfte hospitieren – und aus ein „paar Tagen“ sind mittlerweile sechs Jahre geworden.
Der damals 23 Jahre alte Germanistik- und Sportwissenschaftsstudent heißt Merlin Polzin, ist neuer Co-Trainer des HSV – und gilt als einer der spannendsten Assistenztrainer im deutschen Profifußball. Die „Deutsche Welle“ beschrieb den gebürtigen Hamburger, der das Fußball-Einmaleins beim Bramfelder SV erlernte, gerade erst als „jüngstes Coaching-Mastermind“. Ein Bier würde er mit dem Überflieger zwar nicht unbedingt trinken, sagt Neu-HSV-Coach Thioune, aber der mittlerweile 29-Jährige sei trotzdem „die verlässliche Komponente“ ihres Trainerteams.
Thioune und Polzin wollen beim HSV eine neue Spielphilosophie implementieren
„Von der Fußballidee her ticken wir beide sehr ähnlich“, sagte Polzin mal der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ über die ungewöhnliche Zusammenarbeit. „Bei vielen Themen liegen wir auf einer Wellenlänge. Wir entwickeln uns gegenseitig weiter. Jeder ist für die Ideen des anderen offen.“ Und für die Idee, nach sechs gemeinsamen Jahren beim VfL zusammen zum HSV zu gehen, war der frühere HSV-Fan natürlich ohnehin offen.
Am Montagvormittag war es dann so weit: finales Gespräch mit Sportvorstand Jonas Boldt, Vertragsunterzeichnung, Fotoshooting. Zwei Jahre ist es her, dass der Hamburger die Frage beantworten sollte, wo sein Traum mal enden soll. „Es soll so hoch gehen, wie es eben geht“, sagte Polzin, der sich am Montag mit Thioune vor einer Wand mit einer großen HSV-Raute wiederfand.
Wer ist der neue HSV-Trainer Daniel Thioune?
Bei dem Foto vor der HSV-Wand soll es nicht bleiben. Gemeinsam wollen Thioune und Polzin, die sich von den Spielern duzen lassen, eine neue Spielphilosophie implementieren, die es den anderen Zweitligisten schwieriger machen soll, das HSV-Spiel zu entschlüsseln. Mehr Tempo, weniger Ballbesitz. Mehr Gegenpressing, weniger Unterzahl. Mehr vertikales Spiel, weniger horizontales Ballgeschiebe. Es soll nicht mehr das eine Spielsystem geben, sondern verschiedene Lösungsansätze.
Beim HSV vorhandene Potenziale besser ausschöpfen
Thioune und Polzin wollen keine komplett neue Mannschaft, sondern vielmehr die bereits vorhandenen Potenziale besser ausschöpfen. Beispiel Sonny Kittel: Der Lustfußballer sorgte in der Rückrunde auf dem linken Flügel nur noch für Frust. Um seine Stärken zu stärken, überlegen Thioune und Polzin nun, den Techniker in der Vorbereitung eher im Zentrum spielen zu lassen.
Einen entscheidenden Schritt nach vorne trauen die beiden Trainer auch dem zuletzt verliehenen Jonas David zu. Nach Josha Vagnoman und Aaron Opoku verlängerte der HSV am Mittwoch auch den im kommenden Jahr auslaufenden Vertrag des Abwehrtalents vorzeitig bis 2024. „Jonas hat in den vergangenen Jahren eine stetige Entwicklung vollzogen“, lobte Sportdirektor Michael Mutzel, der den kompletten Dienstag mit Neu-Trainer Thioune, Sportvorstand Boldt und Chefscout Claus Costa die Köpfe zusammengesteckt hatte.
HSV-Trainer Thioune: Ein Schritt zurück, um Anlauf zu nehmen
Das erste Ergebnis: Am bisherigen Zeitplan soll sich zunächst einmal nichts ändern. Bleibt es dabei, dass der HSV am 11. oder 18. September in die neue Saison startet, soll am 3. August als Trainingsstart festgehalten werden. Eine Woche vorher, ab dem 27. Juli, wollen Thioune und Polzin vor Ort am Volkspark sein und die Vorbereitung der Vorbereitung abschließen.
Bis dahin soll auch entschieden sein, wer das Trainerduo noch ergänzt. Am Mittwoch telefonierte Thioune erstmals länger mit Tobi Schweinsteiger, den der 45-Jährige bislang noch gar nicht kannte. Unter Heckings bisherigem Co-Trainer Dirk Bremser hat der frühere Stürmer dagegen zwei Jahre in Lübeck gespielt. Klar ist nur, dass sich Thioune und Polzin für einen von den beiden Ex-Hecking-Assistenten entscheiden müssen.
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Die Entscheidung über den neuen Kapitän will das Trainerteam dagegen der Mannschaft selbst überlassen – zumindest teilweise. Die Profis sollen in der Vorbereitung ihren Mannschaftsrat wählen, aus dem Thioune dann einen neuen Kapitän bestimmt.
Doch bevor das Kapitel HSV so richtig losgeht, muss das Kapitel VfL Osnabrück zunächst noch einmal so richtig abgeschlossen werden. Seit Montag stand Thiounes Handy nicht mehr still. Beinahe im Sekundentakt erreichten den gebürtigen Osnabrücker WhatsApp- und SMS-Nachrichten. Alte Weggefährten gratulierten, freuten sich und trauerten auch ein wenig. Unter den zahlreichen Nachrichten war auch eine aus dem Büro von Wolfgang Griesert. Der 62 Jahre alte CDU-Politiker ist seit 2013 Oberbürgermeister Osnabrücks und ließ ausrichten, dass er sich über einen kurzen Abschiedsbesuch Thiounes im Rathaus freuen würde. Einen Eintrag ins Goldene Buch der Stadt braucht Thioune nicht zu erwarten. Den hat er bereits vor einem Jahr, nach dem Aufstieg aus der Dritten in die Zweite Liga, hinter sich gebracht.
Sollte ihm ein ähnliches Kunststück eine Liga höher im kommenden Jahr mit dem HSV gelingen, dürfte die nächste Einladung, diesmal aus dem Hamburger Rathaus, folgen. Und sollte es die Überraschung tatsächlich geben, würde Thioune auch sicherlich seine Kein-Bier-Regel mit Co-Trainer Polzin aussetzen. Eine erste Ausnahme hat es bestätigten Quellen zufolge bereits gegeben: am vergangenen Wochenende – nach den finalen Verhandlungen mit dem HSV.
In diesem Sinne: Prost!