Heidenheim/Hamburg. HSV verspielt die Punkte 18 bis 20 nach eigener Führung. Der Direktaufstieg ist passé, jetzt muss Hamburg auf Bielefeld hoffen.

Der HSV hat endgültig ein Last-Minute-Trauma: Auch beim richtungweisenden Aufstiegsspiel in Heidenheim gab die Mannschaft von Trainer Dieter Hecking eine Führung aus der Hand und kassierte in der fünften Minute der Nachspielzeit den entscheidenden Gegentreffer zur 1:2 (0:0)-Niederlage.

Joel Pohjanpalo hatte die im Vergleich zum 1:1 gegen Osnabrück auf vier Positionen veränderte Startelf – unter anderem rückte Jordan Beyer überraschend ins Team – unmittelbar nach Wiederanpfiff mit einer energischen Einzelleistung in Führung geschossen (46.).

Beyer war es dann auch, der bedrängt von Tim Kleindienst den Ball zum Ausgleich ins eigene Tor bugsierte (80.). Timo Letschert hatte zuvor eine Flanke des eingewechselten Heidenheimer Routiniers Marc Schnatterer passieren lassen.

Hecking: "Das ist nicht zu entschuldigen"

Als sich alle schon auf ein Unentschieden eingestellt hatten, schlug Heidenheim noch einmal zu: Nach erneuter Schnatterer-Flanke – diesmal von der linken Seite – und einem Querpass von Schimmer setzte Joker Konstantin Kerschbaumer den Ball zum Siegtreffer ins Hamburger Netz.

"Das letzte Tor darf so nicht fallen", sagte Hecking anschließend bei Sky über den "absoluten Abwehrfehler": "Das ist nicht zu entschuldigen." Statt hinten zu bleiben, sei seine Mannschaft "nach vorne gerannt" und habe so die rechte Seite entblöst. "Es ist nicht gut gespielt von Heidenheim, es war nur unser Fehler."

HSV verspielt Punkte 18 bis 20 nach Führung

Torschütze Pohjanpalo sprach von einem "großen Schock", fand ansonsten aber nur wenige Worte für das Déjà-vu. "Es ist schwierig, irgendetwas zu sagen", so der Finne. "Absoluter Wahnsinn", jubelte dagegen Heidenheims Kleindienst. Diese Worte lassen sich getrost auch auf den HSV anwenden. Am Sonntag büßte der eigentliche Aufstiegsfavorit bereits die Punkte 18 bis 20 nach eigener Führung ein – rekordverdächtig.

Alleine seit dem Restart nach der Corona-Pause hat der HSV bereits zwölf Punkte verspielt. Beim 2:2 in Fürth, beim 2:3 in Stuttgart, beim 3:3 gegen Holstein Kiel und nun in Heidenheim gingen wichtige Zähler sogar erst in der Schlussphase verloren. Insgesamt sieben Punkte, die den Hamburgern nun fehlen. "Wir hätten eigentlich schon längst durch sein müssen, das ist sehr schwer zu verdauen", sagte Hecking nach dem Spiel bei Sky: "Es scheint so, dass der Fußballgott gerade nicht auf unserer Seite ist."

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Auch gegen Heidenheim habe das Team eigentlich die bessere Spielanlage bewiesen. "Wir hatten alles im Griff", sagte Hecking. "In der letzten Viertelstunde wurde es dann unrund. Wir wollten kontern, das haben wir nicht gut zu Ende gespielt." Dazu seien zu viele leichte Ballverluste gekommen. Das neuerliche böse Ende "macht uns keine Freude", klagte Hecking.

Anders sah die Gefühlslage beim Gegenüber aus. "Unglaublich, was meine Mannschaft heute gezeigt hat, leistungsmäßig, aber auch von der Einstellung, vom Willen her", meinte Heidenheims Trainer Frank Schmidt.

Die Statistik

Heidenheim

Kevin Müller – Marnon Busch, Patrick Mainka, Timo Beermann, Jonas Föhrenbach (64. Norman Theuerkauf) – Sebastian Griesbeck (74. Konstantin Kerschbaumer), Niklas Dorsch, Robert Leipertz (64. Marc Schnatterer), Tobias Mohr (53. Dennis Thomalla) – Tim Kleindienst, David Otto (53. Stefan Schimmer)

HSV

Julian Pollersbeck – Timo Letschert, Rick van Drongelen, Jordan Beyer, Tim Leibold – Gideon Jung, Jeremy Dudziak (67. David Kinsombi), Jan Gyamerah (55. Josha Vagnoman) – Aaron Hunt – Martin Harnik (67. Bakery Jatta), Joel Pohjanpalo (82. Lukas Hinterseer)

Schiedsrichter

Deniz Aytekin (Oberasbach)

Tore

0:1 Pohjanpalo (46.), 1:1 Beyer (80./Eigentor), 2:1 Kerschbaumer (90.+5)

Gelbe Karten

Griesbeck, Thomalla  – Jung, Letschert, Beyer, Pollersbeck

1/5

HSV muss auf Arminia-Schützenhilfe hoffen

Durch die Niederlage ist klar: Der HSV kann nicht mehr direkt aufsteigen – der einstige Hauptkonkurrent VfB Stuttgart ist auf Platz zwei nach einem 6:0-Kantersieg im Parallelspiel beim 1. FC Nürnberg auf vier Punkte ereilt. Der HSV muss am 34. Spieltag nun auf einen Heidenheimer Ausrutscher bei Meister Arminia Bielefeld (am Sonntag 3:3 nach 3:0-Führung in Karlsruhe) hoffen.

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Siegen die Schwaben, kommt Hamburg selbst bei einem eigenen Heimerfolg gegen den SV Sandhausen (Sonntag, 15.30 Uhr/im Liveticker bei abendblatt.de) nicht mehr von Platz vier weg. Bei einem Dreier muss der HSV auf einen Nicht-Sieg Heidenheims hoffen – spielt Hamburg Remis und verliert Heidenheim, wären die "Rothosen" aufgrund der besseren Tordifferenz auf dem Relegationsplatz.

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"Wir müssen hoffen, dass uns Arminia Bielefeld den Gefallen tut", sagte Hecking nach dem Spiel. "Wenn es nicht reicht, sind wir selber schuld. Aber eine kleine Chance ist da." Auch Pohjanpalo ("Ich weiß nicht, was der Fußballgott mit diesem HSV noch vorhat") befand: "Wir haben noch dieses eine Spiel, da müssen wir alles geben. Ich hoffe, dass wir es in die Relegation schaffen." Und noch einmal Hecking: "Das sind für die Spieler extremste Situationen jetzt, das durchleben zu müssen."

Vor dem Spiel:

Hecking klärt über taktische Ausrichtung auf

Kurz vor Anpfiff hat Dieter Hecking noch einmal über die taktische Ausrichtung aufgeklärt. "Das ist ein normales 4-3-2-2", sagte er bei Sky. Zur Einstellung sagte Hecking: "Wir können hier nicht auf Unentschieden spielen, das können wir auch gar nicht."

Sein Gegenüber Frank Schmidt wies indes alle Psychospielchen von sich. "Das bringt alles nicht, man muss vom Kopf her bereit sein", sagte Heidenheims Trainer, der außerdem betonte: "Wir haben uns auf Standardsituationen vorbereitet."

Vor dieser Waffe hatte den HSV wenig zuvor im Talk "Sky90" auch schon Friedhelm Funkel gewarnt. "Heidenheim ist eine ganz gefährliche, körperlich robuste Mannschaft, die vor allem bei Standardsituationen gefährlich ist", sagte der erfahrene Aufstiegstrainer.

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HSV in Heidenheim mit vier Neuen

Mit vier Änderungen in der Startelf im Vergleich zum 1:1 gegen Osnabrück geht Hecking die Aufgabe in Heidenheim an. Überraschend sind dabei vor allem die Wechsel von Jordan Beyer für Josha Vagnoman sowie Gideon Jung für Adrian Fein.

Neu im Team sind außerdem Jeremy Dudziak und Rick van Drongelen, der mit Beyer, Timo Letschert und Linksverteidiger Tim Leibold die eine Viererkette bildet.

Zunächst war der Defensivverbund als Dreierkette interpretiert worden. "Ich hoffe, dass das gut geht", sagte HSV-Nachwuchstrainer Rodolfo Cardoso daraufhin im vereinseigenen Youtube-Countdown.

Sonny Kittel und David Kinsombi rücken auf die Bank, auf der unter anderem auch Khaled Narey erstmals nach Verletzungspause wieder Platz nimmt. Vorne bilden Martin Harnik und Joel Pohjanpalo eine Doppelspitze.

Van der Vaart: Acht neue Spieler müssen her

Und van der Vaart ließ noch mehr Kritik an Hecking und auch der Mannschaft folgen. "Die führen und denken, oh wir verteidigen das", sagte der Niederländer angesichts der gehäuften Anzahl später Gegentreffer. "Wie kann es sein, dass man so spielt?", fragte er. Für ihn selbst gelte schließlich noch immer der Leitsatz: "Offensive ist die beste Verteidigung."

Generell bescheinigte van der Vaart seinen Nachfolgern in Hamburg kein sonderlich gutes Zeugnis. "Wenn die nicht gut drauf sind, kann jede Mannschaft den HSV schlagen." Im Aufstiegfall müsse das Team aus seiner Sicht runderneuert werden: "Dann braucht es mindestens acht neue Spieler."

Einzig Adrian Fein habe ihn bislang überzeugt. Er sei der beste HSV-Profi, urteilte van der Vaart: "Ein geiler, junger Spieler, der gut am Ball ist." Kapitän Aaron Hunt sieht der Ex-Profi indes nicht als Führungsspieler. "Er ist ein wichtiger Spieler, weil er am Ball der Beste ist", sagte van der Vaart: "Aber er ist auch gefragt heute."

Van der Vaart kritisiert Hecking-Aussage

HSV-Trainer Dieter Hecking bei der Ankunft am Heidenheimer Stadion.
HSV-Trainer Dieter Hecking bei der Ankunft am Heidenheimer Stadion. © Witters

Für sein Vorgehen, den Druck auf Heidenheim abzuwälzen, erhält Hecking allerdings ordentlich Gegenwind. "Es ist ein bisschen peinlich", urteilte Rafael van der Vaart rund eine Stunde vor Anpfiff in der Live-Sendung "Sky90".

"Der HSV ist immer noch einer der größten Vereine Deutschlands. Da muss man hingehen und sagen: 'Wir machen das!'", sagte der langjährige HSV-Kapitän.

Und auch Friedhelm Funkel äußerte in der Runde sein Unverständnis über die Aussage seines Trainerkollegen. "Heidenheim hat wirklich nichts zu verlieren, der HSV hat aber etwas zu verlieren", sagte Funkel, der ebenfalls feststellte: "Der HSV hat die bessere Mannschaft."

HSV-Psychotrick von Hecking

Dass sich Hecking auf Psycho-Spielchen versteht, bewies er im Vorfeld des Spiel, indem er Heidenheim den größeren Druck zuschrieb. "Wenn sie nicht gewinnen gegen uns, werden sie wohl nicht aufsteigen“, meinte er.

Die Heidenheimer schätzt er aber insgesamt hoch ein. "Heidenheim ist eine Mannschaft, die irgendwann den ganz großen Sprung machen wird", sagte er. "Da wird sehr, sehr professionell gearbeitet mit bescheidenen Mitteln."

Hecking über Heidenheim: "Haben keine Angst"

Trotz aller Anspannung: Von Furcht will Hecking trotz der späten 0:1-Niederlage gegen die Schwaben im Hinspiel (Tor: Jonas Föhrenbach/82.) nichts wissen: "Wir haben vor Heidenheim keine Angst und wollen diese Hürde überspringen."

Aber auch die Gastgeber spüren Druck, in weiten Teilen allerdings als positive Anspannung. "Wir müssen es nicht in die Bundesliga schaffen. Aber wir wollen schon den HSV gern überholen", sagte Heidenheims Vorstandschef Holger Sanwald der Stuttgarter Zeitung.

HSV-Mutmacher von Sergej Barabarez

In den sozialen Medien halten die HSV-Fans unter dem Hashtag #mitHamburgimRücken die Daumen.

Sergej Barbarez verzichtet zwar auf die entsprechenden Kennzeichnung, sendet via Twitter aber dennoch mutmachende Worte in Richtung seines Herzensvereins:

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"Orakel" Hecking vermeidet klare Aussage

Zweimal schon lag das "Orakel vom Volkspark" richtig: Spannung bis zum letzten Spieltag hatte HSV-Trainer Dieter Hecking vor dem Saisonbeginn versprochen. In der Winterpause prophezeite er, "dass man den 1. FC Heidenheim auf dem Zettel haben muss".

Doch bevor es beim FCH im direkten Vergleich um den Aufstieg geht, verlässt Hecking ein wenig der Mut zur dritten klaren Aussage. "Ich spüre große Zuversicht, das gemeinsame Ziel zu erreichen", sagte er am Freitag kryptisch.

HSV-Pressekonferenz vor Heidenheim:

HSV-Trainer Dieter Hecking:
HSV-Trainer Dieter Hecking: "Man darf auch Angst haben"

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