Hamburg. Pollersbeck verdrängt Heuer Fernandes – wie Hecking seine Maßnahmen erklärt. Konkurrenz aus Stuttgart und Heidenheim siegt.
Julian Pollersbeck und David Kinsombi jubelten innerlich, als der Schlusspfiff durch das leere Volksparkstadion ertönte. Es war ein besonderer Tag für beide HSV-Profis, die sich so abgezockt wie Bundesligaspieler verhielten. Der eine (Pollersbeck) ist möglicherweise die neue Nummer eins im Tor des HSV und der andere (Kinsombi) avancierte vom Sorgenkind zum Matchwinner beim 3:2-Heimsieg gegen Abstiegskandidat Wehen Wiesbaden.
„Es hat uns heute gutgetan, auch mal ein paar anderen Spielern das Vertrauen zu schenken“, sagte Doppel-Torschütze Kinsombi, der voll des Lobes für den zweiten Matchwinner war. „Polle hat seine Sache gut gemacht, er stand zu Recht im Tor.“
Das Lob für seine eigene Leistung erhielt der Deutsch-Kongolese wenig später von seinem Trainer. "Er hat während der Corona-Pause viel gearbeitet und wirkt deutlich spritziger als zuvor", sagte Dieter Hecking.
Hecking erklärt Pollersbeck-Debüt
Der Coach vertraute beiden leidgeplagten Akteuren überraschend in der Startelf des HSV. Vor allem Pollersbecks Nominierung hatte zuvor kein vermeintlicher Experte auf dem Schirm. Der frühere U-21-Europameister scheint vorerst den bisherigen Stammkeeper Daniel Heuer Fernandes aus Leistungsgründen zwischen den Pfosten verdrängt zu haben.
Denn dank zweier starker Paraden dürfte Pollersbecks Saisondebüt keine Eintagsfliege bleiben. Auch wenn Hecking das in dieser Form noch nicht bestätigen wollte.
„Ferro hat gute Spiele für uns gemacht, musste aber zuletzt drei mental sehr schwierige Spiele verkraften. Deshalb hat er heute einen freien Tag bekommen", sagte der HSV-Coach, der seiner zweifellos seltenen Maßnahme nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken wollte. „Es ist keine außergewöhnliche Maßnahme, in einer englischen Woche auch mal dem Torwart eine Pause zu geben.“ Diese Meinung haben allerdings nicht viele seiner Trainerkollegen.
Pollersbeck: HSV-Comeback nach 13 Monaten
Pollersbeck, die bisherige Numer drei, stand zuletzt vor 13 Monaten am 32. Spieltag der Vorsaison gegen Ingolstadt (4. Mai 2019) im HSV-Tor. Damals setzte es eine schmerzhafte 0:3-Heimpleite gegen den späteren Absteiger. Tabellarisch war es eine ähnliche Konstellation wie diesmal gegen Wiesbaden – allerdings mit unterschiedlichem Ausgang.
Denn diesmal bestand der HSV den Charaktertest gegen den Aufsteiger aus der hessischen Landeshauptstadt. Dank eines Doppelpacks von David Kinsombi, der in dieser Saison bestenfalls eine Nebenrolle eingenommen hatte.
Da auch der VfB Stuttgart (51 Punkte) bei Dynamo Dresden (2:0) sowie Verfolger Heidenheim (48) gegen Aue (3:0) gewonnen haben, liegen die Hamburger (49 Punkte) weiterhin auf dem Relegationsplatz. Stuttgarts Gegner Dresden befand sich nach mehreren Corona-Fällen zuletzt zwei Wochen in Quarantäne und hat noch Trainingsrückstände.
Hecking bringt vier Neue nach Stuttgart-K.o.
Im Vergleich zur unnötigen 2:3-Niederlage am vergangenen Donnerstag bei Aufstiegsrivale VfB Stuttgart veränderte Trainer Dieter Hecking seine Mannschaft auf vier Positionen. Neben Pollersbeck und Kinsombi rückten Sonny Kittel und Louis Schaub neu in die Startelf.
Jeremy Dudziak, Martin Harnik und Bakery Jatta hatten dagegen vorerst das Nachsehen. Im Gegensatz zu Heuer Fernandes, der es unverletzt nicht mal mehr in den Kader schaffte, wurden alle drei aber zumindest eingewechselt.
"Nach so einem schweren Spiel (2:3 in Stuttgart; Anm. d. Red.) geht es vor allem um Frische, auch im Kopf. Deswegen hat der Trainer so entschieden", sagte Sportvorstand Jonas Boldt vor der Partie. "Wir haben grundsätzlich drei gute Torhüter, es war immer Spitz auf Knopf."
In einer leicht veränderten Grundformation agierte Hunt als zweiter Sechser neben Adrian Fein aus der Tiefe heraus. Eine Position davor sorgte Kinsombi auf die Zehn für mehr Offensivpower als zuletzt. "Er hat in seinen Spielen gezeigt, dass er Torgefahr ausstrahlt", sagte Boldt und sollte recht behalten.
HSV dreht Spiel gegen Wiesbaden
Der HSV begann zunächst so dominant wie eigentlich immer in dieser Saison. Doch wie seit einigen Wochen, verpassten es die Hamburger, sich mit Toren für ihre Leistung zu belohnen. Bezeichnend dafür ließ sich Stürmer Joel Pohjanpalo zwei Meter vor dem leeren Tor von einer scharfen Vagnoman-Hereingabe tunneln, statt zu vollstrecken (7.).
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Vorne war der HSV also mal wieder nicht konsequent genug und hinten (mal wieder) grob fahrlässig: Unverschuldet musste Pollersbeck bereits nach zwölf Minuten das erste Mal hinter sich greifen. Wiesbadens Torjäger Schäffler traf mit einem zauberhaften Lupfer nach einem katastrophalen Fehlpass von Abwehrspieler Timo Letschert im eigenen Strafraum.
Geht das Nervenflattern beim HSV etwa schon wieder los, müssen sich die eigenen Fans gefragt haben. Doch bevor dieser Gedanke an Fahrt aufnehmen konnte, hatten die Gastgeber das Spiel bereits gedreht. Zunächst konterte der HSV den frühen Rückstand nahezu im direkten Gegenzug mit einem fast genauso schönen Treffer von Kinsombi (14.), der bereits im Hinspiel (1:1) getroffen hatte. Wenig später erhöhten die Hamburger durch Pohjanpalo auf 2:1 (27.).
HSV-Verteidiger Letschert patzt doppelt
Wer nun aber glaubte, die Führung würde dem HSV mehr Sicherheit geben, sah sich getäuscht. Die Gäste hatten zur Pause mehr Torschüsse auf dem Konto als der Aufstiegsanwärter aus der Hansestadt.
Im zweiten Durchgang begannen die Hamburger zunächst ähnlich engagiert wie zu Beginn, ehe sich Letschert seinen zweiten Aussetzer des Tages leistete. Der Niederländer kam im Strafraum gegen Wiesbadens Ajani deutlich zu spät und verursachte einen Strafstoß, den Manuel Schäffler souverän zum Ausgleich verwandelte (57.).
Letschert, der unmittelbar nach dieser Szene ausgewechselt wurde, erhielt nach dem Spiel Trost von seinem Trainer. „Die Mannschaft hat auch für Timo gespielt und seine Fehler ausgemerzt“, sagte Hecking.
Kinsombi mit bezeichnendem Jubel
Denn als alles danach aussah, dass Gäste-Torjäger Schäffler zum Matchwinner wird, schlug erneut Kinsombi zum erlösenden 3:2 zu (77.). Bezeichnend war vor allem sein Jubel, bei dem er seine Kritiker zum Schweigen aufforderte.
„Es war heute eine Sache des Willens", sagte Trainer Hecking. „Wir mussten nach der Niederlage in Stuttgart wieder aufstehen und das haben wir geschafft – mehr aber auch nicht."
HSV: Warum Pollersbeck Heuer Fernandes ablöst
Das große Diskussionsthema im Volkspark war aber neben Kinsombis Doppelpack der Torwartwechsel. Heuer Fernandes hatte sich zuletzt einige Unsicherheiten geleistet. Beim 2:2 in Fürth (2:2) landete nahezu jeder lange Ball im Seitenaus, beim 0:0 gegen Bielefeld strahlte er bei den wenigen Offensivaktionen des Gegners kaum Sicherheit aus und verschuldete kurz vor Schluss eine Ecke ohne Not. Beim jüngsten Auftritt am Donnerstag in Stuttgart verursachte er einen Elfmeter, der zum zwischenzeitlichen 2:2 führte.
Offenbar reichten Trainer Hecking diese Vorfälle aus, um den Torwart zu wechseln. Pollersbeck war in den vergangenen Wochen immer wieder vom HSV-Coach gelobt worden. Nun erhielt er erstmals in dieser Saison eine Chance, sich zu beweisen. Und er nutzte sie.
HSV braucht Sieg im Aufstiegskampf
Für Hecking steht der Torwartwechsel symbolisch für die letzte Patrone im Aufstiegskampf. Vor dem Spiel hatte seine Mannschaft nur zwei Punkte nach dem Restart geholt. Vor allem wegen der bitteren Auswärtsniederlage beim VfB war ein Heimsieg gegen Wiesbaden Pflicht für den HSV. "Wir wollen heute wieder angreifen, um das Schiff in die richtige Richtung zu lenken", sagte Boldt vor der Partie.
Der Manager darf sich nun bei den Steuermännern Kinsombi und Pollersbeck bedanken.
Die Statistik:
HSV: Pollersbeck – Vagnoman, van Drongelen, Letschert (61. Beyer), Leibold – Fein, Hunt (61. Dudziak) – Kinsombi (81. Moritz) – Schaub (61. Jatta), Pohjanpalo, Kittel (89. Harnik). – Trainer: Hecking
Wehen: Lindner – Mockenhaupt, Dams, Röcker (46. Ajani) – Kuhn (84. Knöll), Chato, Franke – Aigner (75. Schwadorf), Titsch-Rivero (84. Schönfeld), Kyereh (75. Tietz) – Schäffler. – Trainer: Rehm
Schiedsrichter: Dr. Martin Thomsen (Kleve)
Tore: 0:1 Schäffler (12.), 1:1 Kinsombi (14.), 2:1 Pohjanpalo (27.), 2:2 Schäffler (57., Foulelfmeter), 3:2 Kinsombi (77.)
Gelbe Karten: Pohjanpalo (2), Fein (2) – Schäffler (8), Schwadorf
Torschüsse: 12:14
Ecken: 6:10
Ballbesitz: 66:34 %
Zuschauer: keine