Hamburg. Stadtrivalen haben sich für ein Trainingslager in Isolation die gleiche leerstehende Bleibe ausgeguckt. Was das HSV-Stammhotel sagt.

Es gibt Geschichten, die man sich eigentlich nur schwer vorstellen kann. Doch seit der Corona-Krise ist eben alles anders. Wer hätte es schon für möglich gehalten, dass ein Bundesligaspieler seine Teamkollegen per Facebook-Liveübertragung dabei filmt, wie diese sich gerade in der Kabine über ihre Gehälter unterhalten. Hertha-Stürmer Salomon Kalou hat es möglich gemacht.

Ebenfalls kaum vorstellbar: Die Mannschaften des HSV und des FC St. Pauli wohnen eine Woche lang zusammen in einem leer stehenden Hotel. Theoretisch wäre selbst das möglich. Wie das Abendblatt erfuhr, haben beide Hamburger Zweitligisten auf der Suche nach einem sogenannten Quarantäne-Quartier das Lindner-Park Hotel Hagenbeck in Stellingen ins Auge gefasst.

Hotel: Ein Verein müsste Kompromisse eingehen

Hintergrund: Am heutigen Mittwoch entschied die Bundesregierung nach Abstimmung mit den Länderchefs über die Saisonfortsetzung in den Bundesligen. Beschlossen wurde, dass die Ligen Mitte die Spielzeit mit Geisterspielen wieder aufnehmen dürfen. Dann müssten alle Clubs vor dem Neustart in ein Isolationstrainingslager. Die genaue Rahmengestaltung sowie die exakte Terminierung des nächsten Spieltages wurde nun der Deutschen Fußball Liga (DFL) aufgetragen.

Das Lindner-Park Hotel Hagenbeck (Archiv)
Das Lindner-Park Hotel Hagenbeck (Archiv) © Picture Alliance

Dass der HSV und St. Pauli Etage über Etage in dasselbe Hotel ziehen, ist daher möglich, aber unwahrscheinlich. "Von der Kapazität her würden wir es hinbekommen, zwei Vereine aufzunehmen“, sagte Hotel-Verkaufs­leiter Daniel Rach. "Aber gerade bei der räumlichen Situation der Essensausgabe – gesetzliche Vorgaben vorausgesetzt – müsste ein Verein Kompromisse eingehen. Daher wäre eine Doppellösung eher unrealistisch“, sagt Rach. Für St. Pauli ist neben dem Lindner-Hotel auch das Hotel Engel in Lokstedt eine Option.

HSV: Teamhotel Grand Elysée stünde parat

Wahrscheinlicher ist aber ohnehin, dass der HSV in sein Teamhotel Grand Elysée am Dammtor zieht. Finanzvorstand Frank Wettstein hatte sich bereits am Montag bei Geschäftsführer Stephan von Bülow erkundigt und ein positives Signal empfangen. "Wenn der HSV das möchte, stellen wir eine Etage zur Verfügung. Wir stehen auch in schweren Zeiten zum HSV“, sagte von Bülow am Dienstag auf Nachfrage.

Bevor die Clubs diese Entscheidungen treffen, muss aber zunächst die Regierung entscheiden. In den vergangenen Tagen sah alles danach aus, dass das von der DFL präsentierte Konzept der Task Force "Sportmedizin/Sonderspielbetrieb" von der Politik ohne weiteren Widerspruch abgesegnet wird.

Politiker entsetzt über Herthas Kalou

Bis eben Salomon Kalou mit seinem Smartphone durch die Hertha-Kabine lief und nicht nur seine Kollegen bei vertraulichen Gesprächen filmte, sondern mit seinen Aufnahmen auch darlegte, dass einige Fußballer die ausgearbeiteten Hygienevorschriften offenbar nicht ganz so ernst nehmen. Mit seinem Video brachte Kalou die anstehende Entscheidung noch einmal ordentlich ins Wanken. Politiker wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ("Bringt Konzept in Verruf"), Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller ("ausgemachte Blödheit") oder FDP-Chef Christian Lindner ("Ein Warnschuss") reagierten entsetzt.

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Kalou-Video legt Berliner Missstände offen

Auch am Tag danach wurde nicht klar, warum der Stürmer von der Elfenbeinküste alle Bemühungen der DFL und der Clubs mit seinem Livestream konterkarierte. "Ich kann verstehen, dass die Menschen wütend auf mich sind. Ich bin es auch", sagte Kalou am Dienstag bei "Spiegel Online". Nach seiner sofortigen Suspendierung zeigte sich der 34-Jährige geläutert und beschämt. "Es war respektlos, und dafür möchte ich mich aufrichtig entschuldigen. Aber ich bin mehr als diese fünf schlechten Minuten."

Genau genommen waren es sogar mehr als 20 Minuten, in denen Kalou dokumentierte, wie es hinter den Kulissen von Hertha BSC aussieht. Er filmte etwa, wie sein Teamkollege Jordan Toruna­righa von einem Physiotherapeuten auf das Coronavirus getestet wurde – in einem Raum, in dem sich laut Vorschrift nur zwei Personen aufhalten dürfen. Bei einem Abstrich, den eigentlich nur die Mannschaftsärzte durchführen sollten.

HSV: Auch zweite Corona-Testreihe negativ

Auch beim HSV und beim FC St. Pauli sorgte der Vorfall teamintern für Kopfschütteln. Die Clubs wehren sich gegen eine Pauschalverurteilung der Spieler. Die Mannschaften würden die Schutzvorschriften sehr ernst nehmen, heißt es. Am Montag hatten beide Clubs ihre Spieler, Trainer und Betreuer zum zweiten Mal auf Covid-19 untersucht. Beim HSV verliefen nach Abendblatt-Informationen alle Tests negativ. Damit wäre der Weg frei für die Rückkehr zum regulären Mannschaftstraining.

Am Dienstag verkündete der Hamburger Senat allerdings, dass Mannschaftssportarten vorerst weiter untersagt bleiben. Der HSV und der FC St. Pauli hoffen aber, durch die Entscheidung der Regierung am Mittwoch gleichzeitig die Erlaubnis für die Wiederaufnahme des normalen Mannschaftstrainings zu bekommen. Spätestens am Freitag wollen sich die Zweitligisten wieder mit dem gesamten Team vorbereiten. Eine Woche bliebe den Clubs dann noch bis zum möglichen Neustart der Saison.

Länder-Unterschiede verhindern fairen Wettbewerb

Die Bundesligisten SC Paderborn (Montag), RB Leipzig und der VfL Wolfsburg (Dienstag) haben das Teamtraining bereits wieder aufgenommen. Die DFL hatte eigentlich auf eine solidarische Lösung gesetzt, bei der alle Vereine gleichzeitig starten. Doch die individuellen Ausnahmegenehmigungen der Bundesländer haben einen fairen Wettbewerb bereits verhindert. Für Donnerstag hat die DFL kurzfristig eine Mitgliederversammlung angesetzt. Bei der Videokonferenz sollen die 36 Proficlubs die Ergebnisse des Polit-Gipfels erörtern.

Dabei wird es auch darum gehen, wie mit den Clubs umgegangen wird, in denen Mitglieder des Teams positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Die DFL hatte am Montag mitgeteilt, dass bei der ersten Reihentestung zehn Infektionen festgestellt werden konnten.

HSV-Konkurrent Aue in Quarantäne

Nachdem der 1. FC Köln (3) und Dynamo Dresden (1) ihre Fälle vermeldet hatten, wurden am Dienstag weitere Fälle bei Borussia Mönchengladbach (2) bekannt. Die betroffenen Personen wurden vom Trainingsbetrieb isoliert. In der zweiten Runde wurde ein Profi von Erzgebirge Aue positiv getestet. Das gesamte Team bleibt nun bis Donnerstag in häuslicher Quarantäne. Dann soll ein weiterer Test Aufschluss darüber geben, ob der Rest der Mannschaft wieder trainieren kann.

Die kalkulierte Kapazität von rund 20.000 Corona-Tests bis Saisonende in den Profiligen hatte bundesweit für Kritik und Unverständnis gesorgt. Die DFL sieht sich in ihrem Konzept nach den ersten Ergebnissen aber bestätigt und hofft nun auf das grüne Licht der Politik.

Überträgt Sky die Geisterspiele kostenlos?

Unklar ist noch, ob sich die Rechteinhaber um Sky mit der Liga darauf einigen können, dass die geplanten Geisterspiele für alle Menschen frei empfangbar zu sehen sein werden. Die Politik pocht auf diese Lösung. Sie befürchtet, dass sich Fans andernfalls zum gemeinsamen Fußballgucken treffen könnten und somit die Ansteckungsgefahr erhöhen.

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Selten mussten im Fußball so viele Entscheidungen in so kurzer Zeit getroffen werden. Aber in der Corona-Krise – das wird dieser Tage noch einmal ganz deutlich – ist eben alles etwas anders.​