Hamburg. Mit 34 Jahren ist Marcell Jansen der wichtigste Mann im Volkspark. Seine Karriere verläuft kurios. Ein Porträt.
Wahrscheinlich ist es wenig überraschend, dass Marcell Jansens Fußballerkarriere vor allem mit seinen Füßen begann. Das ist aber natürlich nur die halbe Geschichte. Zur ganzen Geschichte gehört, dass Jansens Schuhgröße 43 entscheidend war. Es ist die gleiche Schuhgröße wie die von Ex-Profi Markus Hausweiler. Dessen Schuhe waren die Lösung, als 2004 Mönchengladbachs Co-Trainer den damals 18-jährigen Jansen anrief und ihn fragte, ob er im Profitraining aushelfen könne.
Jansen sortierte als Zivildienstleistender auf der Geschäftsstelle gerade die Pässe der Jugendspieler alphabetisch und hatte keine Sportsachen dabei. „Dann nimmst du eben die Schuhe von Hausweiler“, soll der Co-Trainer gesagt haben. Jansen gehorchte, zog im Training groß auf und lief in der Rückrunde bei jedem Spiel der Profis auf. „Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt Jansen, wenn der heute 34-Jährige die kleine Anekdote vom Beginn seiner großen Profikarriere als Fußballer erzählt.
Wenn man so will, dann ist dieses „zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein“ eine Qualität, die Jansen wie kein Zweiter perfektionierte. Vor zwei Jahren etwa brauchte der damalige HSV-Präsident Jens Meier ein bekanntes Gesicht, um den kriselnden AG-Aufsichtsrat ein wenig aufzupäppeln – und „Cello“, so lautet sein Spitzname, war zur Stelle.
HSV-Boss Jansen übernimmt Verantwortung
Als sich dann Bernd Hoffmann in Rekordzeit quasi selbst vom Präsidenten zum Vorstandschef beförderte, war das Präsidentenamt plötzlich vakant – und Jansen schlug erneut zu. Und am Sonnabend saß der frühere Zivildienstleistende der Borussia-Geschäftsstelle im zweiten Stock des HSV-Campus, als der komplette HSV implodierte, Aufsichtsratschef Max-Arnold Köttgen hinschmiss und nach einem geeigneten Nachfolger gesucht wurde. Und Jansen? Genau: richtiger Zeitpunkt, richtiger Ort.
„Ich glaube nicht, dass Marcell sich einen großen Masterplan gemacht und den dann nach und nach abgearbeitet hat. Vieles hat sich einfach so ergeben“, sagt Sven Neuhaus. Der frühere HSV-Torhüter, der in Profitagen lange mit Jansen das Hotelzimmer teilte und auch später eng mit seinem Ex-Kollegen durch die Stiftung Hamburger Weg verbunden blieb, kennt Jansen so gut wie kaum ein anderer.
„Marcell hat sich nie vor der Verantwortung gedrückt“, sagt Neuhaus wenige Minuten, bevor Jansen in einer digitalen Pressekonferenz als Aufsichtsratschef und Präsident in Personalunion, also quasi als „Mister HSV“, vorgestellt wird.
Jansen schwärmt von seiner Kindheit
Drei Jahre lang haben Neuhaus und Jansen beim HSV zusammengespielt, wurden Kumpel, waren auf Abschlussfahrt auf Mallorca. „Auch da hat er seine rheinländischen Qualitäten unter Beweis gestellt“, sagt Neuhaus, und lacht. „Cello ist einfach ein guter Typ, mit dem man auch gerne mal feiern geht.“
Doch mit dem Feiern hat es in den vergangenen Jahren nicht mehr ganz so oft geklappt. „Natürlich hat er durch seine ganzen Start-ups und seine HSV-Funktionen weniger Zeit, aber wir treffen uns noch immer regelmäßig“, sagt Neuhaus. „Am meisten gefreut hat mich aber, dass Cello einfach Cello geblieben ist.“
Fragt man Jansen dazu, dann sagt er selbst: „Ich bin keiner, der sich verändert. Ich weiß, wo ich herkomme.“ Aus Mönchengladbach. Der Vater war Warenannahmeleiter bei Kaiser’s Tengelmann. Die Mutter arbeitete im Lager bei Aldi. „Wir wohnten auf 60 Quadratmetern und sind maximal einmal im Jahr in den Urlaub gefahren. Trotzdem hatte ich die beste Kindheit, die ich mir vorstellen kann“, sagt Jansen.
Jansen kann Völler-Verschmähung nicht mehr hören
Dass man durch Fußball so richtig Geld verdienen kann, lernte Jansen auf der Überholspur. Als 16-Jähriger bekam er in der B-Jugend von Borussia Mönchengladbach 200 Mark, die er auf dem Sparbuch bunkerte. Als 21-Jähriger wechselte er für 14 Millionen Euro zu Bayern München. „Du bekommst als junger Mann kaum die Zeit, das zu verarbeiten“, sagte er mal der „Zeit“.
Für Cello ging es in Höchstgeschwindigkeit weiter. Nationalmannschaftsdebüt 2005, Sommermärchen 2006, Deutscher Meister mit den Bayern 2008, die erste Europameisterschaft, der Wechsel zum HSV, wieder eine Weltmeisterschaft. Die nächste Europameisterschaft. Und. Und. Und irgendwann war Schluss. Mit nur 29 Jahren.
„Wer so was macht, hat den Fußball nie geliebt“, sagte Rudi Völler. Ein Satz, der Jansen seitdem verfolgt und den er heute nicht mehr hören kann. Den Fußball habe er immer geliebt, sagt er. Das Geschäft Fußball dagegen nie. „Ich konnte nach meinem Vertragsende in Hamburg kein anderes Wappen mehr küssen als die Raute.“
Jansens steile Karriere überrascht Ex-Mitspieler
Also küsste er die Raute. Erst in der Landesliga, dann in der Oberliga. Jansen ging und geht in der dritten Mannschaft des HSV auf Torejagd, am Dienstag sagte er wie Ex-Profi Piotr Trochowski für eine weitere Saison zu.
Aber vor allem kümmerte er sich um seine Karriere nach der Karriere. „Er war schon immer ein Stratege – und bei seiner Entscheidung zum Karriereende war er eben auch konsequent genug zu sagen, dass nun Schluss sei“, sagt Sven Neuhaus. „Für ihn war klar, dass sein Lebensmittelpunkt Hamburg bleibt. Hier hatte er sich ein Netzwerk über die Jahre aufgebaut.“
Oder anders gesagt: Hier war er gleich mehrfach zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Aus dem Fußballer Cello wurde in Rekordzeit der Geschäftsmann Herr Jansen. „Mir war immer klar, dass Marcell ein cleverer Junge ist, der viele Zusammenhänge schneller schnallt“, sagt Neuhaus. „Trotzdem hat mich überrascht, wie schnell er vom Cappi-verkehrtrum-tragenden-Fußballer zum seriösen Anzugträger-Funktionär geworden ist.“
Doch irgendwann passen Ort und Zeitpunkt nicht zusammen. So ist es noch gar nicht lange her, dass Jansen im Fachmagazin „Capital“ berichtet, wie er mit der Start-up-App Picue „einen einstelligen Millionenbetrag versenkt“ habe. „Es war mein größter wirtschaftlicher Fehlschlag“, sagt Jansen, der sich von der Pleite aber nicht beeindrucken ließ. Als Fußballer weiß er: Geht der erste Ball nicht rein, muss man beim Abstauber richtig stehen.
Die Karriere des Fußballers Marcell Jansen:
Die Karriere des Fußballers Marcell Jansen
Jansen ist jetzt der wichtigste HSV-Mann
Mittlerweile ist er an fünf Start-ups beteiligt, hat 60 Arbeitsplätze geschaffen. Die gemeinsame Klammer: Immer geht es um Gesundheit. Das glutenfreie Café Isabella, das Sanitätshaus S’tatics, die Fitnessmarke Gymjunky, die Restaurantkette Kinneloa und der Sportplatz Hansebeach. Sein Motto als Geschäftsmann: „Liebe Leute, wartet bitte nicht darauf, dass andere eure Herausforderungen lösen. Denn das wird nicht passieren.“
Die Herausforderung HSV muss nun vor allem er angehen. Natürlich nicht alleine, aber als wohl wichtigster Mann. Mit 34 Jahren ist er jüngster Vereinspräsident – und seit Sonnabend auch noch jüngster AG-Aufsichtsratsvorsitzender. Ihm ganz eng zur Seite steht mit Jonas Boldt ausgerechnet einer der jüngsten Vorstände im deutschen Profifußball. Bleibt die Frage: Kann das gut gehen?
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Reist man ein gutes Jahr zurück, war sich einer ziemlich sicher, dass dieser Youngster den Laden schon schmeißen wird. „Marcell Jansen wird ein guter Präsident für den HSV sein. Wir sind in den Führungspositionen jetzt gut aufgestellt.“ Sagte kein Geringerer als Bernd Hoffmann. Auf der Mitgliederversammlung 2019.
Zurück in der Zukunft ist Hoffmann Geschichte. Und Jansen? Der tritt mit Schuhgröße 43 in die Fußstapfen des zurückgetretenen Köttgen. Und sagt: „Ich sehe den HSV gut aufgestellt.“
Manchmal muss man eben nur zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein.