Hamburg. Einer der fähigsten Chefs in der Geschichte des Clubs musste gehen. Jetzt müssen andere Kühne die Grenzen aufzeigen.

Für viele Beobachter schien die Sachlage der vergangenen Tage klar: Die ganze Welt bekämpft Corona – nur der HSV bekämpft sich selbst. Vorstandsstreit, Showdown im Volkspark, Aufsichtsratssitzungen, ganz viel Hinterzimmerpolitik – und das alles ausgerechnet in der größten Krise, die neben dem ganzen Globus natürlich auch die Welt des Fußballs lahmlegt.

Die Mehrheitsmeinung: Es gab wahrscheinlich keinen schlechteren Zeitpunkt für dieses HSV-Serienfinale, das man nicht einmal den Machern von Netflix zugetraut hätte.

Vielleicht gab es in Wahrheit aber auch keinen besseren Zeitpunkt.

HSV-Aufsichtsrat zum Handeln gezwungen

Ohne Corona hätte der HSV zuletzt gegen Tabellenführer Arminia Bielefeld gespielt, der nächste Gegner wäre der Tabellenzweite VfB Stuttgart gewesen. Man kann nur erahnen, was in der Mannschaft von Trainer Dieter Hecking los gewesen wäre, wenn ausgerechnet zwischen diesen beiden Spitzenspielen die HSV-Führung sich selbst zerfleischt hätte. Nun „nutzte“ der Club die spielfreie Zwangspause zum Frühlingsanfang für das ganz große Reinemachen, um im Idealfall ab sofort zusammen die Mutter aller Herausforderungen – Corona, was sonst? – bestmöglich zu bekämpfen.

Klar war jedenfalls nach den Ereignissen der vergangenen drei Wochen, dass es ein „Weiter so“ beim HSV unter diesen Voraussetzungen und in dieser Situation auf keinen Fall geben konnte. Der Club brauchte im Führungsstreit um Vorstandschef Bernd Hoffmann eine konsequente Entscheidung, die er schließlich am Sonnabend bekam: Hoffmann wurde freigestellt, seine treuen Aufsichtsräte Max-Arnold Köttgen und Thomas Schulz traten zurück.

Neuer Vorstand muss Kühne Grenzen aufzeigen

Die Gewinner des Machtkampfes: die verbliebenen Vorstände Jonas Boldt und Frank Wettstein, die jetzt eine Doppelspitze bilden. Marcell Jansen, der nun Präsident und Aufsichtsratschef in Personalunion ist. Und: Investor Klaus-Michael Kühne, der nie einen Hehl daraus machte, viel von Jansen und Wettstein, aber wenig bis gar nichts von Hoffmann und seinen Getreuen zu halten.

Und an dieser Stelle wird es nun interessant. Denn so richtig die Entscheidung war, fortan auf ein Team statt auf Tamtam zu setzen, so wichtig wird es für die Protagonisten der neuen HSV-Führung jetzt sein, dem streitbaren Milliardär Kühne gewisse Grenzen aufzuzeigen.

Ein gutes Verhältnis zum zweitgrößten Anteilseigner (nach dem HSV e. V.) ist wichtig und gut, noch besser und wichtiger wäre, wenn Jansen, Wettstein und Boldt auch weiter dazu stehen, keinen weiteren Anteilsverkauf an Kühne in Erwägung zu ziehen. Das Gerücht, dass der Machtkampf nur ein ausgeklügelter Plan aus der Firmenzentrale von Kühne + Nagel in der HafenCity war, muss genau das bleiben: ein ziemlich wildes, aber unbestätigtes Gerücht.

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Kompetenz reichte Hoffmann nicht

Ziemlich wild müssen die letzten 20 Tage auch Bernd Hoffmann vorgekommen sein. So lange ist es her, dass das Abendblatt mit dem Bericht „Der große Krach“ den Stein ins Rollen brachte. Das Tragische an der ganzen Geschichte: Wahrscheinlich gab es keinen fähigeren Clubchef seit Wolfgang Klein und seinen Titeln in den 80er-Jahren.

Doch am Ende genügt nicht mal im Haifischbecken Profifußball Kompetenz allein. Ein kluger Kopf hat einmal gesagt: Aus einem Quadrat kann man keinen Kreis machen. Oder anders gesagt: Bernd Hoffmann ist und bleibt Bernd Hoffmann. Der Hoffmann, der den HSV einst in den Top 20 Europas etablierte und dann über fehlende Teamfähigkeit stolperte. Und der Hoffmann, der den HSV zurück in die Bundesliga auf Augenhöhe mit Schalke und Frankfurt führen wollte – sich dabei aber erneut selbst ein Bein stellte.

Seit Sonnabend ist Bernd Hoffmanns HSV-Geschichte beendet. Der großartige Tiziano Terzani (1938–2004) würde wohl sagen: Sein Ende ist ein Anfang.