Hamburg. Bernd Hoffmann erhält wohl hohe Abfindung, da eine Vertragsklausel unwirksam werden dürfte. Vor allem Jansen forcierte Hoffmanns Aus.
Die beiden rot-weißen Absperrbänder, die am Vortag den HSV-Campus vor allzu neugierigen Zeitgenossen schützen sollten, sind am Sonntagmorgen verschwunden. Auch von den drei Ordnern, die noch am Sonnabend die tagenden HSV-Aufsichtsräte bestmöglich abschirmten, ist am Tag danach nichts mehr zu sehen. Lediglich ein Übertragungswagen des Bezahlsenders Sky und ein Moderator, der sich tapfer mit einem Regenschirm gegen den plötzlichen Wintereinbruch wehrt, sind auch am Sonntag wieder vor Ort. Wenn man so will, dann sind sie die letzte Konstante im Volkspark. Der Rest des HSV ist an diesem Wochenende implodiert.
Es war gegen 16.45 Uhr am Sonnabend, als sogar die Webseite des HSV für wenige Minuten offline ging. Kurz zuvor war die viereinhalbstündige Sitzung des siebenköpfigen Aufsichtsrats, der von 11 Uhr an im zweiten Stock des Campus tagte, mit einem Tusch zu Ende gegangen. So wurden neben der erwarteten Trennung von Clubchef Bernd Hoffmann auch die Rücktritte von Kontrollchef Max-Arnold Köttgen und von Aufsichtsrat Thomas Schulz zunächst über die eigene Webseite bekannt gegeben, genauso wie die Beförderung Marcell Jansens zum Aufsichtsratschef und von den Vorständen Jonas Boldt (Sport) und Frank Wettstein (Finanzen) zur neuen Führungs-Doppelspitze. Überlastet werden sollte der Server aber erst, als Bernd Hoffmanns Abschiedsbotschaft online gestellt und damit sein zweiter Rauswurf nach 2011 endgültig offiziell wurde.
HSV: Köttgen verliert den Kampf um Hoffmann
Als nach wenigen Minuten die vereinseigene Homepage wieder online war, waren Bernd Hoffmanns Worte weiß auf blau zu lesen: „Es war mir eine Ehre, dem HSV zu dienen.“ Es war der pathetische Schlusspunkt eines Machtkampfes, der sich nach einer Abendblatt-Enthüllung über knapp drei Wochen hinzog – und in der finalen Abstimmung des Aufsichtsrates am Sonnabend seinen Höhepunkt erreichte. Am Ende stimmten nach Abendblatt-Informationen fünf Kontrolleure gegen eine weitere Zusammenarbeit mit Hoffmann, zwei (Köttgen und Schulz) stimmten dafür.
„Die mehrheitlich gegen mein Votum getroffene Entscheidung des Aufsichtsrates, sich vom Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann zu trennen, bedeutet für mich, dass ich der HSV Fußball AG weder als Aufsichtsratsvorsitzender noch als normales Mitglied des Kontrollgremiums weiter zur Verfügung stehe“, sagte Köttgen wenig später mit brüchiger Stimme. „Diese Entscheidung treffe ich schweren Herzens, halte sie aber für notwendig.“
So überraschend der Rücktritt Köttgens für viele HSV-Beobachter auch kam, so logisch war er für Köttgen selbst. Der 62-Jährige hatte in den vergangenen Tagen vor der entscheidenden Sitzung im Volkspark hinter den Kulissen wie ein Löwe für einen Verbleib von Vorstandschef Hoffmann gekämpft, diesen Kampf aber schon vor dem Zusammentreffen im Campus am Sonnabend als verloren akzeptiert. Seine wohlformulierte Rücktrittsrede hatte Köttgen bereits am Freitagabend zu Papier gebracht.
Vor allem Jansen wollte Hoffmanns HSV-Aus
Auch Hoffmann hatte sich in den vergangenen Tagen in zahlreichen Gesprächen immer wieder zuversichtlich gezeigt, dass er den Streit um Kompetenzüberschreitungen gegen seine Vorstandskollegen Boldt und Wettstein nicht verlieren würde. Am Ende wusste aber auch er, dass seine Stunde beim HSV zum zweiten Mal nach 2011 geschlagen hatte. „Es war eine fantastische Zeit“, ließ sich Hoffmann zitieren.
Immerhin darf sich der 57-Jährige nun auf eine fantastische Abfindung freuen. Zwar sah sein bis 2021 laufender Vertrag eine Klausel vor, nach der sein Arbeitspapier bereits vier Wochen vor Ende des laufenden Geschäftsjahres zum 30. Juni beendet werden könnte. Allerdings beinhaltet diese Klausel auch den Zusatz, dass dies nur für den Fall des Nicht-Aufstiegs gelte. Da eine Entscheidung über den Aufstieg coronabedingt allerdings Anfang Juni nahezu ausgeschlossen ist, dürfte die Klausel aller Voraussicht nach hinfällig sein. Der verbliebene Rest-Aufsichtsrat muss sich also mit Hoffmann, dem auch in der kommenden Saison 480.000 Euro plus Prämien zustehen, auf eine entsprechende Abfindungsregelung einigen.
Die Gespräche über eine finanzielle Einigung wird nun ausgerechnet Marcell Jansen führen. Der frühere Profi, den Hoffmann 2008 für acht Millionen Euro von Bayern München zum HSV lotste, war nach dem durch das Abendblatt öffentlich gewordenen Machtkampf eine der treibenden Kräfte, die sich für eine Beurlaubung Hoffmanns einsetzte. „Wir können uns in dieser schwersten Krisenzeit des gesamten Profifußballs keine Energieverluste und belasteten Vertrauensverhältnisse leisten. Der volle Fokus muss auf die HSV-Interessen gerichtet sein“, sagte Jansen, der kurz vor dem Ende der Sitzung am Sonnabend von den verbleibenden Kontrolleuren zum Köttgen-Nachfolger gewählt wurde.
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Kühne begrüßt die Hoffmann-Entlassung
Als Präsident des HSV e. V. und als AG-Aufsichtsratschef ist Jansen nun das neue Schwergewicht des HSV. Ein Schwergewicht, das sich vor allem über das Wohlwollen vom HSV-Schwerstgewicht Klaus-Michael Kühne (82) freuen darf. Das Büro des Investors, der 20,6 Prozent der AG-Anteile hält, ließ am Sonntag auf Abendblatt-Anfrage ausrichten, dass er die jüngste Entwicklung begrüße, diese aber nicht weiter kommentieren wolle. Schon in den vergangenen Tagen hatte sich Kühne anerkennend über Jansen geäußert. Der Gelobte betonte zuletzt aber mehrfach, dass er keinen Sitz im Vorstand anstreben würde.
An diesem Montag von 14 Uhr an will Jansen nun erstmals in seiner neuen Rolle als Aufsichtsratschef Rede und Antwort stehen. Coronabedingt in einer digitalen Pressekonferenz wird der 34-Jährige auch erklären müssen, wie er zu Kühnes Wunsch, weitere AG-Anteile zu erwerben, stehe. Ein erster echter Härtetest, wie unabhängig er vom streitbaren Anteilseigner ist, steht Jansen bei der Neubesetzung des Aufsichtsrats bevor. Das Kontrollgremium ist zwar mit nun nur noch fünf Mitgliedern weiter voll beschlussfähig, muss aber den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend drei Monate nach der nächsten Gesellschafterversammlung wieder auf sieben Mitglieder aufgestockt werden.
Hoffmann-Vertrauten beim HSV droht das Aus
Das alles ist Zukunftsmusik. Im Hier und Jetzt gilt es nun, so schnell wie möglich die aufgerissenen Wunden im Führungskampf zu heilen. Dabei dürfte das große Stühlerücken im Volkspark nicht ganz vorbei sein. Hoffmann-Vertraute wie etwa Stephan Hildebrandt, der seit dem 29. Mai 2019 für die Unternehmensentwicklung der HSV AG verantwortlich ist, droht ebenfalls das Aus. Allzu viel Zeit wird sich die neue Doppelspitze Boldt/Wettstein allerdings nicht geben, um bald wieder zur Tagesordnung überzugehen. Auf dieser steht schließlich noch immer ein nicht ganz unwichtiger Punkt ganz oben geschrieben: Die Existenzsicherung des HSV in Coronazeiten.
„Ich bin sicher, dass wir unseren Club wieder in der Bundesliga und nach Corona auch wieder mit unseren fantastischen Fans im Volkspark und in den Stadien der Bundesliga sehen werden“, sagte am Sonnabend nicht Marcell Jansen. Sondern Bernd Hoffmann. Sein versöhnliches Schlusswort: „Ich werde dem HSV natürlich als lebenslanges Mitglied weiter eng verbunden bleiben.“
Ein Versprechen. Keine Drohung.