Hamburg. Team ist vom Landesligisten zum Zweitliga-Topteam aufgestiegen. Macher erklärt den Erfolg – und träumt von der Bundesliga.

Holger Sanwald ist am Dienstagmorgen gerade auf dem Weg zur DFL-Mitgliederversammlung nach Frankfurt, als ihn das Abendblatt auf dem Handy erreicht, um mit ihm über das Spitzenspiel zwischen dem Tabellenzweiten HSV und dem Tabellenvierten 1. FC Heidenheim am Freitag (18.30 Uhr) zu sprechen. „Spitzenspiel?“, fragt Sanwald und muss gleich ein wenig schmunzeln. „Für uns ist das kein Spitzenspiel, weil der HSV eine andere Dimension ist. Für uns ist das ein David-gegen-Goliath-Vergleich“, sagt Sanwald.

Um die Geschichte des Davids aus Heidenheim an der Brenz zu erzählen, unterhält man sich am besten mit dem heutigen Vorstandsvorsitzenden des Zweitligisten, der am Freitag erstmals in der Vereinsgeschichte gegen den HSV gewinnen will. 25 Jahre ist es her, dass Sanwald die Fußballabteilung des damaligen Landesligisten Heidenheimer SB übernahm.

Als ehrenamtliche Ein-Mann-Geschäftsstelle. Heute ist der 52-Jährige der Chef eines 2700 Mitglieder starken Vereins, der einen jährlichen Umsatz von 30 Millionen Euro macht, ein Sponsorennetz von 500 Partnern aufgebaut hat und mehr als 400 Menschen rund um den Club beschäftigt. Wie hat Sanwald das geschafft?

Gemeinschaftsprojekt Heidenheim

Der Schwabe holt kurz Luft, als er gebeten wird, das Märchen von Heidenheim in wenigen Sätzen zu erzählen. „Als ich hier angefangen habe, hätte sich niemand vorstellen können, wo wir heute stehen“, sagt Sanwald, der Macher von mittlerweile fünf Aufstiegen. Das Geheimnis des Erfolgs sei aber kein Geldgeber, Investor oder millionenschwerer Mäzen.

„Wir sind kein Kunstprodukt, das ist uns wichtig. Es ist uns gelungen, ein Gemeinschaftsprojekt aufzubauen, in dem jeder in dieselbe Richtung denkt“, sagt Sanwald, der zusammen mit Trainer Frank Schmidt das Gemeinschaftsprojekt Heidenheim in die Spitzengruppe der Zweiten Liga geführt hat.

Am Freitag könnten die Schwaben mit einem Sieg im Volkspark bis auf drei Punkte an den HSV heranrücken – und stünden wieder da, wo sie im Mai nach der bislang besten Saison der Vereinsgeschichte standen, als am Ende nur zwei Punkte bis zum direkten Aufstiegsplatz fehlten. Ist Heidenheim schon reif für die Bundesliga?

Sanwald nennt den Aufstieg eine Vision, aber kein Muss. „Wenn wir eine perfekte Saison spielen, kann am Ende des Tages auch mal der Aufstieg herauskommen. Wenn wir verkrampfen und denken, dass wir jetzt unbedingt aufsteigen wollen, werden wir nichts gewinnen. Das gilt auch für das Spiel beim HSV.“

Fernandes pausiert

  • Zuschauen: HSV-Torhüter Daniel Heuer Fernan­des konnte wegen muskulärer Probleme am Dienstag nicht mit der Mannschaft trainieren. Dafür waren Martin Harnik und Xavier Amaechi wieder dabei. Deren Sturmkollege Lukas Hinterseer übte individuell.
  • Zuschauer: Für das Spiel gegen Heidenheim am Freitag sind bislang 40.000 Tickets verkauft, darunter knapp 300 an Gästefans.
  • Zusammen essen: Die Mannschaft des HSV ließ am Dienstag einen mobilen Burgerladen zum Volkspark kommen und spendierte den Mitarbeitern ein Mittagessen.
  • Zusammen spielen: Mit Torwart Tom Mickel spielt die U 21 heute (19.30 Uhr) gegen Lüneburg.

Der Aufstieg des 1. FC Heidenheim ist bislang vor allem mit dem Sommer 2003 verbunden. Damals holte Sanwald den gebürtigen Heidenheimer Frank Schmidt von Waldhof Mannheim zurück in die Heimat. Als Sechser war Schmidt der Chef im Mittelfeld. Drei Jahre später wurde er mit 33 Trainer und führte den Verein nach der Ausgliederung innerhalb von sechs Jahren zu drei Aufstiegen.

Immer an Schmidts Seite: Holger Sanwald. „Wir sind blind abgestimmt. Ich weiß genau, wie er tickt und was er will. Das ist wie eine Fußball-Ehe“, sagt Sanwald, der damit auch gleichzeitig den Grund nennt, warum die beiden in Heidenheim auf einen Sportdirektor verzichten. „Wir haben ein extrem enges Verhältnis über Jahre aufgebaut. Wenn wir dazwischen jemanden reinsetzen würden, wäre das eine potenzielle Gefahr und für denjenigen unglaublich schwer“, sagt er.

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Auch ohne Sportchef schafft es Heidenheim aber immer wieder, Topspieler wie Robert Glatzel (für sechs Millionen Euro zu Cardiff City) gleichwertig zu ersetzen. Kapitän Marc Schnatterer, der seit 2008 in 363 Spielen für Heidenheim 107 Tore schoss, ist neben Sanwald und Schmidt die große Konstante des Vereins. Schmidt ist sogar noch vor Freiburgs Christian Streich der dienstälteste Trainer im deutschen Profifußball. In seinen zwölf Jahren in Heidenheim verschliss der HSV ganze 18 Trainer.

Wohl auch deswegen zögert Sanwald keine Sekunde, als er gefragt wird, ob er gerne mal für einen Tag der Chef beim HSV wäre. „Nein“, sagt der Macher von Heidenheim. „Ich habe hier meine Rolle gefunden, und die will ich noch viele Jahre ausfüllen, solange es mir Spaß macht und die Mitglieder das wollen.“

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Im Volkspark ist Sanwald am Freitag in jedem Fall dabei. Wenige Tage vor dem Spitzenspiel lässt der Chef von Heidenheim durchblicken, dass ihn ein Auswärtserfolg nicht überraschen würde. „Der HSV hat in der Zweiten Liga eigentlich nichts verloren. Dadurch gibt es dort einen großen Druck, wieder rauszukommen“, sagt Sanwald. Diesen Druck gebe es in Heidenheim eben nicht.

Der David-gegen-Goliath-Vergleich ist aber selbst in der 49.000-Einwohner-Stadt immer schwerer aufrechtzuerhalten. Heidenheim investiert mit einem Etat von 15 Millionen Euro für die Fußballabteilung zwar nur halb so viel pro Jahr wie der HSV. Im Ligavergleich gehört der Club mit TV-Einnahmen von 15 Millionen Euro wirtschaftlich aber schon in die obere Hälfte aller 18 Vereine.

Und so würde es nicht verwundern, wenn das Märchen von Heidenheim am Ende der Saison ein neues Kapitel erhalten würde. „Für uns wäre der Aufstieg ein Wunder“, sagt Sanwald und gerät am Telefon ein wenig ins Träumen. „Ein Wunder kann auch mal passieren.“​