Hamburg. Die Stimmung ist nach dem 1:1 bei Kellerkind Wehen eingetrübt. Zeit, den HSV mit einem Blick in die Geschichtsbücher aufzumuntern.

Zwei Punkte in Überzahl gegen den Tabellenletzten hergeschenkt, vier Auswärtspartien ohne Sieg, dazu die harte Bauchlandung im Pokal nach einem hoffnungsvollen Sieg in der Liga und eine länger werdende Verletztenliste – angesichts dieser Tendenzen wären die Alarmsirenen im Umfeld des HSV in der Vergangenheit wohl längst mindestens auf Stand-by geschaltet worden.

Doch Dieter Hecking bevorzugt in diesen Tagen einen harten Gegenkurs und weist die Mahner ob der aus seiner Sicht überzogenen Erwartungshaltung rigoros in die Schranken. In einer beispiellosen Schimpftirade hielt der HSV-Trainer am Tag nach dem 1:1 bei Wehen-Wiesbaden ("Hören Sie auf mit diesem Scheiß!") die Hamburger Journalisten an der kurzen Leine. Roter Kopf statt roter Knopf!

Die Statistik spricht für den HSV

Und der HSV-Trainer hat tatsächlich allen Grund, (noch) eine ruhige Kugel zu schieben. Schließlich hält die Faktenlage nach zwölf Spieltagen in der Zweiten Fußball-Bundesliga auch einige positive Erkenntnisse bereit: Mit 25 Punkten, der besten Offensive (29 Treffer) sowie Defensive (11 Gegentreffer) und der damit verbundenen Tabellenführung liegt der HSV klar auf Aufstiegskurs.

Sagt nicht nur das Gefühl, sagt auch die Statistik. Schließlich haben in 37 Jahren eingleisiger 2. Bundesliga nur fünf Mannschaften zum Vergleichszeitpunkt am 12. Spieltag mehr Treffer erzielt als der HSV. Und all jene sind am Ende aufgestiegen. Von den sechs Teams, die bis dato ebenso wie Hamburg 29 Tore erzielten, feierten immerhin vier später auch den Aufstieg.

Lediglich der kommende HSV-Gegner Holstein Kiel stand 2017/18 nach zwölf Spieltagen bei 29 Toren, 22 Runden später aber mit leeren Händen da. Ebenso schlecht erging es in der Spielzeit 1983/84 Hessen Kassel, denen wohl damals schon die Treffer von Dieter Hecking entscheidend hätten helfen können. Der damalige Mittelfeldspieler wechselte aber erst zwei Jahre später nach Kassel – und traf immerhin achtmal.

Die Vereine mit den meisten Treffern nach dem 12. Zweitligaspieltag:

  • Hannover 96 (Saison 2001/02): 35 Tore, am Ende aufgestiegen
  • Stuttgarter Kickers (1987/88): 33 Tore, aufgestiegen
  • Eintracht Frankfurt (2011/12): 31 Tore, aufgestiegen
  • KSC (2006/07): 30 Tore, aufgestiegen
  • KSC (1983/84): 30 Tore, aufgestiegen
  • HSV (2019/20): 29 Tore, ?
  • Holstein Kiel (2017/18): 29 Tore, nicht aufgestiegen
  • Fortuna Düsseldorf (2011/12): 29 Tore, aufgestiegen
  • FC St. Pauli (2000/01): 29 Tore, aufgestiegen
  • SC Freiburg (1992/93): 29 Tore, aufgestiegen
  • MSV Duisburg (1990/91): 29 Tore, aufgestiegen
  • Hessen Kassel (1983/84): 29 Tore, nicht aufgestiegen

Kurios: Aufsteiger SC Freiburg und HSV exakt gleichauf

Hecking war auch Zeitzeuge eines besonderen Kuriosums. In der Saison 1992/93 lieferte er sich mit dem VfB Leipzig ein heißes Aufstiegsrennen mit dem SC Freiburg. Der Konkurrent aus dem Breisgau war seinerzeit allerdings ab dem siebten Spieltag nicht mehr von Rang eins zu verdrängen. Dabei könnte Freiburgs Saisonverlauf für einen verblüffenden Mutmacher für den HSV herhalten.

Lang, lange Haare ist's her: Der spätere HSV-Manager Jens Todt 1992 im Trikot des Bundesliga-Aufsteigers SC Freiburg.
Lang, lange Haare ist's her: Der spätere HSV-Manager Jens Todt 1992 im Trikot des Bundesliga-Aufsteigers SC Freiburg. © Imago/Ferdi Hartung

Denn die SC-Bilanz um den späteren HSV-Sportchef Jens Todt sah nach zwölf Spieltagen damals wie folgt aus: Sieben Siege, vier Unentschieden, eine Niederlage bei einem Torverhältnis von 29:11 (plus 18). Kommt Ihnen bekannt vor? Falls nicht, dann checken Sie doch einmal, wie sich der HSV in die aktuelle Zweitliga-Tabelle einfügt...

Weitere Parallelen zwischen HSV und Freiburg

Für die Klickfaulen: Richtig, Freiburgs damalige und Hamburgs jetzige Bilanz ist nach zwölf Ligaspielen komplett identisch. Weitere Doublette: Auch seinerzeit pflasterte ein besonderer "Doubleheader" Freiburgs Aufstiegsweg. In der Hinrunde siegten die Südbadener erst mit 2:1 bei Hertha BSC, um unmittelbar danach in der zweiten Runde des DFB-Pokals gegen eben jene Berliner zuhause auszuscheiden (2:4). HSV gegen VfB lässt grüßen!

Zuvor war der SC wie heuer Hamburg (1:1 gegen Darmstadt) mit einem eher bescheidenen Remis (2:2 gegen den VfB Oldenburg) in die Runde gestolpert. Machte alles nichts, nach 43 von 46 Spieltagen in der Mega-Wiedervereinigungsliga feierten die Schützlinge von Volker Finke den erstmaligen Aufstieg in die Bundesliga – das Ziel, das in diesen Tagen auch dem HSV vor Augen steht.

Diese HSV-Artikel könnten Sie auch interessieren:

Und der SC Freiburg machte damit gleichzeitig die in Hamburg bekannte Schmach wett, in der Vorsaison nach langer Tabellenführung doch noch den Aufstieg aus der Hand gegeben zu haben. Weiterer Mutmacher: Am 13. Spieltag siegte Freiburg mit 2:1 gegen den FC St. Pauli. Bestes Omen also für den HSV vor seinem anstehenden Nordderby gegen Holstein Kiel.

Weitere Vereine mit gleich gutem Torverhältnis nach zwölf Spieltagen wie der HSV (+18):

  • SpVgg Greuther Fürth (2011/12): +18, aufgestiegen
  • FSV Mainz 05 (2001/02): +18, nicht aufgestiegen
  • VfL Bochum (1995/96): +18, aufgestiegen
  • Hannover 96 (1986/87): +18, aufgestiegen

Auch HSV-Trainer Hecking stieg damals auf

Diese Aussicht könnte auch Hecking weiter beruhigen, der sich vor 26 Jahren übrigens ganz selbstlos mit den Freiburgern freuen konnte. Zwar verlor er mit Leipzig das Spitzen-Hinspiel mit 0:1, siegte dafür im Rückspiel mit 2:0 (wobei Hecking in diesem Spiel nicht im Kader stand) und stieg am Ende als Drittplatzierter in die Bundesliga auf.

Dieter Hecking (l., gegen Hannovers Milos Djelmas) in der Leipziger Aufstiegssaison.
Dieter Hecking (l., gegen Hannovers Milos Djelmas) in der Leipziger Aufstiegssaison. © Imago/Rust

Den Umweg über den dritten Rang, der anders als damals heutzutage die Relegationsspiele bedeutet, würde Dieter Hecking mit dem HSV diesmal wiederum selbstredend allzu gerne vermeiden...