Hamburg. Nach dem ersten Saisondrittel hat der HSV nahezu die gleiche Punktausbeute wie 2018. Hecking warnt vor zu hohen Erwartungen.
Dieter Hecking bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Wer die Kombination „Dieter“, „Hecking“ und „Fels in der Brandung“ bei Google eingibt, dem werden 10.600 Treffer angeboten. Und so war es auch wenig verwunderlich, dass sich der HSV-Trainer selbst am Tag nach dem extrem unglücklichen 1:1 bei Schlusslicht Wehen-Wiesbaden zunächst nicht beirren lassen wollte. „Das alles lässt mich nicht unruhig werden“, sagte Hecking, als er nach dem Vormittag von Journalisten umrundet wurde. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.
Doch nach der Ruhe kommt der Sturm. Und der zog am Montag in der turnusmäßigen Frage- und Antwortrunde am Tag nach dem Spiel nach handgestoppten elf Minuten und 45 Sekunden auf. Ein leichtes Grollen war bereits zu vernehmen, als der HSV-Coach auf die aktuelle Auswärtsschwäche (vier Spiele ohne Sieg) angesprochen wurde. „Das interessiert mich herzlich wenig“, brummte Hecking. „Irgendwann werden wir auswärts wieder gewinnen – hoffentlich schon am Wochenende in Kiel. Dann ist dieses Thema auch kein Thema mehr.“
Als dann aber ein Medienvertreter die Umstände in Wiesbaden ansprach, die Stadionbaustelle, die wenigen Zuschauer, die Tabellensituation, blitzte und donnerte es vom einen auf den anderen Moment gewaltig. „Hören Sie auf mit diesem Scheiß!“, schimpfte Hecking. Einmal, zweimal, dreimal. Und jede weitere Nachfrage sorgte für weitere Blitze. „Hören Sie doch auf“, brodelte es aus Hecking heraus. „Quatsch“, ächzte der HSV-Trainer. Noch mal: „Quatsch!“ Und noch mal: „Quatsch! Quatsch!!“ 60 Sekunden dauerte das in dieser Saison bislang einmalige Donnergrollen, dann kam langsam wieder die Sonne heraus.
Eigentlich läuft es für den HSV...
Den wahren Grund für den heckingschen Ausbruch kann man in einem Wort zusammenfassen: Erwartungshaltung, die 17 Buchstaben, die es in Heckings noch kurzer Zeit als HSV-Trainer bereits zu seinem persönlichen Unwort des Jahres gebracht haben. „Ich kann mich nur immer wieder wiederholen“, wiederholte also Hecking: „Wir sind in einem Prozess. Wir sind keine Mannschaft, die wie das Messer durch die Butter durch die Saison gehen wird.“
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Dabei könnte man beim Blick auf die Tabelle sehr wohl behaupten, dass die Spielzeit – um im Bild zu bleiben – bislang wie geschnitten Brot läuft. Nach dem ersten Saisondrittel ist der HSV trotz des 1:1 in Wiesbaden weiterhin Tabellenführer, hat erst einmal verloren, die mit Abstand meisten Tore geschossen, die wenigsten Tore kassiert. So gut lief es für den HSV nach zwölf Spieltagen schon lange nicht mehr.
Von wegen!
Der HSV und Hecking sind gewarnt
Fast auf den Tag genau ein Jahr ist es her, als der HSV auch in der vergangenen Saison erstmals die Tabellenführung übernommen hatte. Auch damals waren zwölf Spieltage absolviert. Auch damals war die Begeisterung zwischenzeitlich groß. Und auch damals war es immer wieder Hecking-Vorgänger Hannes Wolf, der vor zu großen Erwartungen warnte.
Der HSV und die Erwartungshaltung. Die wurde auch deutlich, als Hecking am vergangenen Dienstag direkt nach dem knapp verlorenen Pokalspiel gegen Stuttgart mit der ersten Frage bombadiert wurde, ob der HSV vielleicht doch nicht so gut sei, wie in dieser Spielzeit bislang immer behauptet wurde. Hecking schüttelte energisch den Kopf. „Wir sind gut“, sagte der Coach. „Wir sind sogar richtig gut.“
Wie gut ist richtig gut beim HSV?
Bleibt aber nach vier sieglosen Auswärtsspielen in Folge noch die Frage: Wie gut ist richtig gut? Die Kurz-Antwort: Nicht so gut, dass der Aufstieg ein Selbstgänger wird. Aber zweifellos besser als vor einem Jahr.
Die lange Antwort gab am Montagmittag einer, der den HSV mindestens genauso gut kennt wie Hamburgs kommenden Gegner Holstein Kiel: Finn Porath. Der gebürtige Schleswig-Holsteiner spielte sieben Jahre für den HSV, ehe er nach zwei Jahren als Leihprofi in Unterhaching im Sommer an die Kieler Förde wechselte. Am Montag setzte sich der 22-Jährige ins Auto, um über die A 7 in die Heimatstadt zu düsen – und im Podcaststudio vom Abendblatt über seinen Herzensverein zu sprechen.
„Ich denke schon, dass der HSV aufsteigt. Der HSV ist qualitativ sehr gut besetzt und spielt den für diese Liga besseren und erfolgreicheren Fußball als etwa Stuttgart“, sagte also Porath, der – anders als Ex-Kollege Törles Knöll – im Falle eines Torerfolgs gegen seinen früheren Club nicht jubeln könnte. „Das würde sich falsch anfühlen. Ich bin Ewigkeiten beim HSV gewesen.“
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Natürlich sei der HSV auch ohne die Ausfälle von Aaron Hunt und Martin Harnik (beide Oberschenkelzerrung) in Kiel der Favorit. Aber: „Wir haben eine sehr gute Phase unter dem neuen Trainer Ole Werner“, so Porath. Und weiter: „Es ist für niemanden leicht, in Kiel zu gewinnen.“
Frage man Porath aber nach dem größten HSV-Trumpf in dieser Saison, muss der Mittelfeldmann nicht lange überlegen. „Wenn du so einen guten Trainer wie Dieter Hecking hast, der Ruhe reinbringt und auch nicht nach einer Derby-Niederlage alles gleich infrage stellt, sind das gute Faktoren.“
Vom bisher in Hamburg ungekannten Hören-Sie-doch-auf-mit-diesem-Scheiß-Trainer hatte Porath am Montagmittag übrigens noch nichts gehört. Und Hecking? Dem würden wohl auch nur vier Wörter für diese ganze Diskussion einfallen: Quatsch. Quatsch. Quatsch. Und: Quatsch.
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